2024 erhoben sich überall in Kenia[1], von Nairobi bis Mombasa, junge Menschen gegen die Regierung. Die Protestbilder gingen um die Welt, ihre Bedeutung reichte weit über das Land hinaus.
Das ostafrikanische Kenia spielt eine Schlüsselrolle in der umkämpften Weltordnung. Während der Westen seinen Einfluss in Afrika zu halten versucht, rücken China und Russland auf dem Kontinent vor. Westafrika wendet sich zunehmend Moskau zu, Südafrika stellt mit seiner Klage gegen Israel die moralische Autorität des Westens infrage. Im Sudan und in der DR Kongo toben Stellvertreterkriege, an denen auch westliche Staaten beteiligt sind. In dieser Konkurrenz versucht der Westen, seinen politischen und wirtschaftlichen Stützpunkt in Kenia zu halten.
Diese »Partnerschaft« hat ihren Preis. Strukturanpassungsprogramme, Handelsabkommen und Investitionen sichern vor allem die Interessen westlicher Konzerne und kenianischer Eliten. Der Menschenrechtler Dan Owalla nennt dies eine »Neo-Neokolonialisierung« – eine neue Abhängigkeit, die alte Muster fortschreibt. Sie wird begleitet von zunehmender Militarisierung und einer Politik der Repression. Proteste werden als Gefahr für das Image Kenias als »stabile Demokratie« dargestellt – des verlässlichen Verbündeten in einer instabilen Region.
Die fragile Balance zwischen internationaler Anpassung und innerer Kontrolle zerbrach Anfang 2024, als in Kenia massenhaft gegen Femizide protestiert wurde. Die Proteste führten zwei wichtige Elemente in die kenianische Gesellschaft ein, die für die späteren Gen-Z-Mobilisierungen wichtig wurden: Sie durchbrachen die Mauer der Scham und der Angst. Dies ermöglichte die spätere Mobilisierung, die ohne Anführer blieb und ethnien-, klassen- und generationsübergreifend war. Bei den Protesten verbanden sich transnationale feministische Forderungen mit dem Widerstand gegen Polizeibrutalität und wirtschaftliche Gewalt. Letztere werden mit der Position Kenias in der globalen Politik und Wirtschaft erklärt, insbesondere in Bezug auf seine ausländischen Kreditgeber – allen voran der internationale Währungsfonds (IWF), die Weltbank und China. Dies öffnete den politischen Raum für die Gen-Z-Proteste des Sommers 2024.
Als die kenianische Regierung Steuererhöhungen auf Grundnahrungsmittel und mobile Geldtransfers ankündigte, um die Vorgaben des IWF zu erfüllen, riefen junge Menschen unter dem Hashtag #RejectFinanceBill2024 zu Protesten auf. Am 25. Juni stürmten Demonstrierende das Parlament in Nairobi. Die Polizei reagierte mit Tränengas, Wasserwerfern und scharfer Munition. Der an den Staatspräsidenten gerichtete Ruf »Ruto must go« [2]wurde zum Symbol einer neuen demokratischen Sehnsucht, die über unmittelbare Forderungen hinausreichte.
Viele Beobachter*innen reagierten überrascht, was allerdings mehr über das Verhältnis des Westens zum Globalen Süden aussagt als über die Realität vor Ort. Der afrikanische Kontinent wird vom Westen als zeitloser Ort von Abhängigkeit, Ausbeutung und Gewalt verstanden, wo massenhafter Widerstand eine Ausnahme ist. Doch die Proteste sind Teil einer langen Geschichte politischer Kämpfe.
Die Menschen in Kenia sind in diesem Jahr erneut auf die Straße gegangen, wenn auch in geringerer Anzahl: Alle haben Angst um ihr Leben, denn die staatliche Gewalt ist noch stärker geworden. Das, was die Proteste 2024 in Bewegung gesetzt haben, wirkt weiter fort. Es zeigt sich in politischen Gesprächen, in einem wachsenden Klassenbewusstsein und auch in der Angst der Eliten. Die Generation Z steht weder am Anfang noch am Ende dieser Prozesse. Sie hat lediglich sichtbar gemacht, was schon lang brodelt: der Wunsch nach Würde, Selbstbestimmung und einer Zukunft jenseits der neo-neo-kolonialen Logik.
Radwa Khaled-Ibrahim arbeitet als Referentin für Kritische Nothilfe bei Medico International
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195441.gen-z-kenia-gegen-femizide-und-polizeigewalt.html