nd-aktuell.de / 13.11.2025 / Berlin

Antiziganismus in Berlin: Nach 15 Jahren noch viel zu tun

Seit 2010 setzen sich der Verein Amaro Foro und dessen Anlaufstelle für die Rechte von Roma in Berlin ein

Lola Zeller
15 Jahre Amaro Foro: Ein Grund zu feiern!
15 Jahre Amaro Foro: Ein Grund zu feiern!

Als Roma-Selbstorganisation mussten wir uns am Anfang erst einmal beweisen», sagt Violeta Balog, stellvertretende Vorsitzende des Vereins Amaro Foro. Die Anfänge des Vereins liegen inzwischen 15 Jahre zurück. Im Jahr 2010 entstand die Mobile Anlaufstelle für Wanderarbeiter*innen und Roma, zunächst in der Trägerschaft des bundesweiten Dachverbands Amaro Drom. Im selben Jahr gründete sich der Berliner Landesverband Amaro Foro. Am Mittwoch feierten der Verein und die Anlaufstelle mit Unterstützer*innen und Wegbegleiter*innen im Kiezraum auf dem Dragoner-Areal in Kreuzberg ihr 15-jähriges Bestehen.

«Als junger Verein waren wir sehr idealistisch und aktivistisch», sagt Balog. Damit habe man sich nicht nur Freunde gemacht, und am Anfang war es schwierig, Fördermittel vom Land zu erhalten. «Aber wir haben wichtige Arbeit gemacht. Das haben auch Politik und Verwaltung gesehen.»

Die Beratung von Roma und der Einsatz für deren Rechte in Berlin waren vor 15 Jahren besonders wichtig. Denn 2009 kamen viele Familien aus Bulgarien und Rumänien in die deutsche Hauptstadt, um ihr seit dem Beitritt ihrer Heimatländer gegebenes Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union zu nutzen. Das Land Berlin wiederum stand vor der Herausforderung, die Familien zu versorgen, die keinen Wohnraum in der Stadt hatten. Die ehemalige Sozialsenatorin und damalige Linke-Abgeordnete Elke Breitenbach kann sich noch gut an diese Zeit erinnern: «Man wollte die Menschen nicht in der Stadt haben», sagt sie während einer Podiumsdiskussion im Kiezraum. Die Hilfesysteme und die Verwaltung seien überfordert gewesen.

«Und dann kamen die jungen Wilden und haben das Unmögliche gefordert», sagt Breitenbach. Das Unmögliche war etwa Wohnraum. Der Verein Amaro Foro habe damals aus sehr jungen Menschen bestanden, die in den Augen der Politiker*innen noch so unerfahren waren im Umgang mit öffentlichen Geldern, dass man ihnen zunächst nicht zu viel davon geben wollte. Doch in Zusammenarbeit mit einem anderen Verein wurde der Auftrag erteilt, eine Anlaufstelle für Erstberatungen und Weitervermittlung in die Hilfesysteme aufzubauen. So entstand die Mobile Anlaufstelle für Wanderarbeiter*innen und Roma. Es sei ein politischer «Kardinalfehler» gewesen, davon auszugehen, dass die rumänischen und bulgarischen Staatsbürger*innen die Stadt in absehbarer Zeit wieder verlassen wollen.

«Jetzt sind wir einen ganzen Schritt weiter», sagt Breitenbach. Die Anlaufstelle von Amaro Foro sei zu einer wichtigen Einrichtung in Berlin geworden. Und dennoch: Antiziganismus und Rassismus in der Gesellschaft wüchsen schnell[1], und viele der Probleme von damals bestünden weiterhin. «Grundsätzlich hat sich nicht viel verändert für Menschen aus Rumänien und Bulgarien und erst recht nicht für Sinti und Roma», sagt Breitenbach.

Auch aus Violeta Balogs Sicht ist noch längst nicht alles geschafft. «Ich habe nicht das Gefühl, dass Sinti und Roma gleichberechtigte Bürger in der Gesellschaft sind», sagt sie. Vor allem in den vergangenen Monaten sei die Situation schwieriger geworden – auch in der Zusammenarbeit mit den Berliner Regierungsparteien CDU und SPD.

Auf die sich im aktuellen Wahlkampf zuspitzende Lage weist Amaro Foro auch in einer aktuellen Pressemitteilung hin: Der CDU-Abgeordnete Timur Husein hatte sich in den sozialen Medien gegen die designierte Linke-Spitzenkandidatin Elif Eralp ausgesprochen, weil diese ein Bleiberecht für Sinti und Roma fordert. Eralp hatte dies im nd-Interview mit der historischen Verantwortung begründet[2], die Deutschland angesichts der Ermordung von 500 000 Angehörigen der Minderheit in der Nazizeit trägt. Husein, Sprecher für Antisemitismusbekämpfung und Mitglied der Enquete-Kommission «Für gesellschaftlichen Zusammenhalt, gegen Antisemitismus, Rassismus, Muslimfeindlichkeit und jede Form der Diskriminierung», verwendete das Z-Wort und schrieb von «illegaler Einwanderung».

Laut Amaro Foro und der bundesweiten Melde- und Informationsstelle Antiziganismus reproduziert Husein mit seinen Aussagen «jahrhundertealte antiziganistische Stereotype». Das Z-Wort sei eine «rassistische und tief verletzende» Fremdbezeichnung. «Unter dieser Bezeichnung wurden Sinti und Roma während der nationalsozialistischen Verfolgung stigmatisiert, verfolgt und ermordet. Ihnen wurde in den Konzentrationslagern der Buchstabe ›Z‹ in die Haut tätowiert – als Zeichen der Entmenschlichung und Vernichtung», heißt es in der Pressemitteilung.

Der Verein fordert, dass sich Husein öffentlich entschuldigt, die CDU sich von den Äußerungen distanziert[3] und politische und dienstliche Konsequenzen geprüft werden. Der Berliner Flüchtlingsrat hat sich bereits an die Ombudsstelle des Landesantidiskriminierungsgesetzes gewandt, um die Aussagen prüfen zu lassen. Husein selbst entgegnete auf Twitter, er habe das Z-Wort benutzt, weil viele Menschen die Bezeichnung Sinti und Roma nicht kennen würden und weil es als Eigenbezeichnung verwendet werde. Persönlich nutze er das Z-Wort grundsätzlich nicht. Er lasse sich aber nicht vorwerfen, «ein Nazi zu sein, wenn ich den Begriff doch verwende».

Neben solchen individuellen Ausfällen und der weiten Verbreitung von antiziganistischen Narrativen in den Medien kritisiert Amaro Foro seit 15 Jahren strukturelle Diskriminierung von Roma, etwa durch Behörden und auf dem Wohnungsmarkt. «EU-Bürger*innen haben einen schwierigeren Zugang zu den Jobcentern, und besonders betrifft das Menschen aus Rumänien und Bulgarien», sagt Laura Bastian, Sozialarbeiterin bei Amaro Foro. Ihrer Erfahrung nach versuchen Jobcenter unter anderem, die Arbeitsverhältnisse derjenigen infrage zu stellen, die Leistungen beantragen.

Oft erhielten die Betroffenen Ablehnungsbescheide mit seitenlangem Begründungstext, versehen mit Verweisen auf Gerichtsurteile auf verschiedenen Ebenen, die laut Bastian teilweise nichts mit dem spezifischen Antrag zu tun haben. Diese Texte zu verstehen und anzufechten, stelle eine große Hürde dar. In ihren Augen handelt es sich um «indirekte Diskriminierung», weil von diesem behördlichen Handeln eine bestimmte Gruppe, also in diesem Fall rumänische und bulgarische Staatsbürger*innen, besonders betroffen seien.

«Wenn ich etwas brauche, dann ist jemand da und hilft.»

Klientin der Anlaufstelle für Roma

Bastians Beobachtungen decken sich mit den von Amaro Foro[4] gesammelten Erfahrungsberichten. «Die pauschalisierende Kriminalisierung insbesondere von bulgarischen und rumänischen Staatsbürger*innen zieht sich wie ein roter Faden durch die 15 Jahre Beratungsarbeit der Anlaufstelle», heißt es in einer ausführlichen Bilanz des Vereins. Dort werden einige Fälle aus der Beratungsarbeit dargestellt: Einem Rumänen sei gesagt worden, das Jobcenter lasse alle Arbeitsverträge von rumänischen und bulgarischen Staatsbürger*innen polizeilich prüfen, weil davon ausgegangen werde, es handele sich um Betrug.

Einem anderen Mann wurden existenzsichernde Leistungen zunächst nicht bewilligt, weil er aufgrund seiner geringfügigen Beschäftigung keinen Anspruch habe. Einer Familie wurden aufstockende Leistungen untersagt, weil dem Familienvater unterstellt wurde, er habe seine Arbeit im Bauwesen nur angenommen, um Leistungen zu beziehen. «Wir machen die Erfahrung, dass viele unserer Klient*innen ihre Rechte vor Gericht erkämpfen müssen», sagt Georgi Ivanov von Amaro Foro. Die entsprechenden Verfahren würden die Klient*innen dann in den allermeisten Fällen gewinnen.

Die Menschen, die in der Anlaufstelle für europäische Roma Unterstützung bekommen, zeigen sich dankbar. Im Kiezraum zeigt Amaro Foro ein Video mit Aufzeichnungen von Menschen, die von ihren Erlebnissen in Berlin berichten. «Ich fühle mich endlich gut hier in Deutschland, nach langer Zeit. Es ist nicht mehr wie früher. Ich weiß jetzt: Wenn ich etwas brauche, dann ist jemand da und hilft», sagt eine Frau.

Seit 15 Jahren lebt sie in Deutschland, arbeitet als häusliche Pflegehelferin und spricht Deutsch. «Aber wenn ich einen Brief im Briefkasten habe, dann ist es immer noch sehr schwer, die Sprache zu verstehen.» Deshalb meldet sie sich weiterhin bei der Beratung, wenn sie Schwierigkeiten mit Anträgen hat. «Ich wünsche mir, dass meine Kinder ein besseres Leben haben», sagt die Pflegehelferin. Ihre Tochter sei 12 Jahre alt, ihr Sohn 17. «Er war damals nur zwei Jahre alt. Jetzt lernt er fürs Abitur.»

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190612.antiziganismus-roma-in-berlin-diskriminierung-nimmt-kein-ende.html?sstr=amaro foro
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195094.linke-spitzenkandidatin-eralp-wir-moechten-dass-gefluechtete-zugang-zu-wohnungen-haben.html?sstr=eralp
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195384.einlasskontrollen-goerlitzer-park-schoener-leben-ohne-cdu.html?sstr=eralp
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185337.antiziganismus-roma-in-berlin-ein-jahrzehnt-stigmatisierung.html?sstr=amaro foro