Werbung

Somalia: Trainingsanzug statt bodenlangen Kleidern

Somalische Frauen erspielen sich mit Basketball Freiräume

  • Bettina Rühl
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Frauen von Garowe fühlen sich durch das Basketballspiel beflügelt, auch im Alltag Hindernisse zu überwinden.
Die Frauen von Garowe fühlen sich durch das Basketballspiel beflügelt, auch im Alltag Hindernisse zu überwinden.

Hamda Abdullahi sitzt sehr aufrecht auf dem Sofa im Wohnzimmer einer Bekannten und erzählt vom Glücksgefühl, das sie beim Basketballspielen empfindet. Ihr Team trainiert in Garowe, der Hauptstand der Region Puntland im Norden Somalias. Wenn die Frauen mit dem Basketball auf dem Platz sind, spiegelt sich die Freude am Training tatsächlich in ihren Gesichtern. »Ich habe gesehen wie glücklich sie sind«, erinnert sich die 18-jährige Roda Ibrahim, die neben Hamda sitzt. »Deshalb wollte ich mitmachen.«

Um zu entdecken, wie viel Freude sie beim Sport empfinden kann, musste die 25-jährige Hamda erst einmal ihre Scham überwinden und einen Trainingsanzug anziehen, dann darin auch noch die Umkleidekabine verlassen und sich den Blicken der anderen aussetzen, darunter womöglich auch Männer. Jetzt, sechs Jahre später, ist sie froh darüber, dass sie diesen Schritt geschafft hat. »Ich habe mittlerweile viele Freundinnen und es fällt mir leichter, mit anderen Menschen Kontakt aufzunehmen«, sagt sie, die immer noch eher zurückhaltend wirkt und mit leiser Stimme spricht. »Auf dem Spielfeld geht das wie von alleine.« Ohne viel Zutun sei sie Teil des Teams geworden.

Hamda und Roda tragen schwarze, bodenlange Kleider und schwarze Kopftücher, die auch den Haaransatz bedecken. Niemals gingen sie in einer Hose auf die Straße, aber »auf dem Spielfeld gelten andere Regeln«, weiß Hamda heute. Die somalische Gesellschaft ist konservativ, für Frauen gelten bei der Kleidung strenge Vorschriften. Als sie die anderen Basketballerinnen zum ersten Mal auf dem Spielfeld sah, fand auch Hamda deren Sportkleidung unschicklich. Mitmachen wollte sie trotzdem – als kleines Mädchen hatte sie in der Grundschule Sportunterricht gehabt, »und ich erinnerte mich daran, wie glücklich mich das gemacht hatte«.

Jeder Ausweg scheint recht

Inzwischen war das Gefühl von Glück in Hamdas Leben selten geworden. 2019 ging sie in die Sekundarschule, doch ihre Familie argumentierte gegen den Unterricht – ihnen fehle das Geld dafür. Hamda allerdings wollte unbedingt weiter lernen. Der Druck habe sie sehr belastet, sagt sie heute. Zwischenzeitlich habe sie sogar darüber nachgedacht, sich mit anderen jungen Menschen aus ihrem Bekanntenkreis auf den Weg nach Europa zu machen, um sich im Leben etwas aufbauen zu können.

»Damals gab es hier in Garowe viele jungen Menschen, die über das Meer ins Ausland gingen«, erzählt Hamda. »Sie bezahlten keine Schlepper, sie schlossen sich einfach zu Gruppen zusammen und zogen los.« Alle hätten ihr geraten, die Route über Libyen zu versuchen – ein Land, das für brutale, kriminelle Netzwerke berüchtigt ist, die Migrantinnen und Migranten in regelrechten Foltercamps gefangen halten und quälen, um von Verwandten Lösegeld zu erpressen. »Ich wusste damals noch nicht viel über Menschenschmuggel«, sagt Hamda. Inzwischen habe sie sich informiert und sei mehr als froh darüber, den Rat ihrer Freunde nicht befolgt zu haben.

Teil eines Teams werden

Dabei half auch die Tatsache, dass sie eines Tages von dem Projekt einer internationalen Organisation hörte, das Frauen Basketball-Training ermöglichte. Hamda wusste sofort, dass sie dabei sein wollte. Basketball habe sie »davor bewahrt, den Netzwerken der Menschenhändler in die Hände zu fallen«, weil sie seltener alleine zu Hause saß, weniger grübelte und weil sie nicht mehr so oft an ihre Zukunft dachte, die ihr so dunkel erschien. »Wenn ich vom Training nach Hause kam, war ich völlig ausgepowert. Ich war zufrieden und wollte nur noch schlafen.«

In den ersten Wochen trainierte sie heimlich, weil sie die Reaktion ihrer Eltern fürchtete. Lange konnte sie ihre neue Freizeitbeschäftigung allerdings nicht verstecken, denn den Eltern fiel auf, dass ihre Tochter jeden Abend das Haus verließ und sich veränderte. Schließlich gab Hamda ihrem Bohren nach und erzählte, dass sie regelmäßig zum Training ging. »Meine Eltern sagten, das sei nach den Regeln des Islam verboten und forderten, dass ich damit aufhöre.« Sie machte trotzdem weiter. Schließlich hätten ihre Eltern nachgegeben, »weil sie merkten, wie gut mir der Sport tat«.

Sport gibt Hoffnung

Die jüngere Roda scheint vieles leichter zu nehmen als Hamda, jedenfalls kostete es sie von Anfang an weniger Überwindung, die Umkleidekabine im Trainingsanzug zu verlassen. »Auf dem Spielfeld waren ja alle Frauen so angezogen«, sagt Roda, die quirliger und aufgeschlossener wirkt. Zu Hause versuchte auch sie zunächst über Monate, ihre neue Leidenschaft geheim zu halten, aber schließlich verlangte ihre neue Umtriebigkeit nach einer Erklärung. Letztlich gaben auch ihre Eltern nach, weil sie spürten, welch positiven Einfluss der Sport auf ihre Tochter hatte. Roda ist ihnen dankbar dafür.

»Ohne das Basketballspielen würde mir vieles fehlen, körperlich und mental«, meint sie. »Ich würde nur zu Hause sitzen und nichts tun.« Das allerdings ist schwer vorstellbar, bei Rodas derzeit vollgepackten Tagen: Auf dem College macht sie den Schulabschluss nach, das Unterrichtsprogramm ist auf Schulabbrecher ausgerichtet. Roda musste die Schule vor einigen Jahren frühzeitig verlassen, um im Friseursalon ihrer Mutter mitarbeiten zu können. Ihr Vater sei schon alt und nicht mehr in der Lage, Geld zu verdienen, erzählt die 18-Jährige. Die Schulgebühr für das College verdient sie sich jetzt selbst im Salon ihrer Mutter. Auch mit Basketball verdienten die Frauen zunächst etwas Geld: Wenn ihr Team spielte, bekamen sie eine kleine Entschädigung. Mittlerweile ist das Projekt abgeschlossen, die Frauen spielen trotzdem weiter. Normalerweise trainieren sie dreimal in der Woche, nur im Moment pausieren sie, weil ihre Trainerin auf Reisen ist.

Zukunftspläne

Je wieder auf den Sport zu verzichten, kann sich Roda nicht vorstellen – ganz im Gegenteil. »Ich möchte Profibasketballerin werden«, sagt sie mit Nachdruck. Sie hat sich ein hohes Ziel gesetzt: die somalische Frauen-Nationalmannschaft. Das sei keine bloße Träumerei, meint Roda: Vor gut einem Jahr habe sie bereits bei einem Turnier mit der Nationalmannschaft in Mogadischu gespielt, das sei ganz gut gelaufen. Außerdem hätten es bereits fünf Spielerinnen aus Garowe geschafft, in die Nationalmannschaft aufgenommen zu werden.

Hamda hat kein so klares Ziel. Aber die Entlastung und der Ausgleich durch den Sport haben ihr in den vergangenen Jahren geholfen, den Mut nicht zu verlieren und ein Studium durchzuziehen, mittlerweile hat sie ein Diplom in Wirtschaftswissenschaften. Einen Job hat sie bisher trotzdem nicht gefunden. Aber inzwischen genug Zuversicht, um zu Hause nach einem Weg in die Zukunft zu suchen.

Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Dank der Unterstützung unserer Community können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen

Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.

- Anzeige -
- Anzeige -