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- Anwaltsprüfung in Kalifornien
Kim Kardashian: Ein kleiner Flausch Beständigkeit
Nadia Shehadeh über Kim Kardashian, die ständig durch die Anwaltsprüfung fällt
Es gibt in diesen Zeiten nicht viel, auf dass man sich verlassen kann. In der Glitzerwelt der Pop- und Influencerkultur kann man aber seit Jahren auf eine Sache zählen: Kim Kardashian rasselt durch die kalifornische Anwaltsprüfung.
Kim möchte Anwältin werden und damit in die Fußstapfen ihres Vaters, Robert Kardashian treten, eines prominenten Anwalts aus Los Angeles, der vor allem durch seine Mitarbeit in der Verteidigung im Fall O. J. Simpson bekannt wurde. Dafür lernt sie nicht an einer Universität, sondern unter Aufsicht praktizierender Juristen. Zuerst musste sie die gefürchtete »Baby Bar« bestehen. Sie schaffte das erst im vierten Versuch, Ende 2021. Seitdem versucht sie, die »California Bar Examination« zu bezwingen, also die reguläre kalifornische Anwaltsprüfung, die über die Zulassung zum Anwaltsberuf entscheidet.
Seit 2018 ist sie bei der Stange – und ist verlässlich erfolglos. Im Sommer dieses Jahres legte sie die Prüfung mal wieder ab – und verkündete im November, erneut verkackt zu haben. Das Versagen der ältesten Kardashian wirkt wie ein kleiner Flausch Beständigkeit in einer von harschen Veränderungen geprägten Welt: Corona, Kriege, Umweltkatastrophen – nichts davon kann verhindern, dass Kardashian stabil und verlässlich immer wieder ihre Prüfungen vergeigt.
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Sie war lange Kolumnistin des »Missy Magazine« und ist außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Zuletzt hat Shehadeh bei Ullstein das Buch »Anti-Girlboss. Den Kapitalismus vom Sofa aus bekämpfen« veröffentlicht. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Pop-Richtfest«.
Während die Welt immer wieder kippt und sich neu sortiert, bleibt Kardashians Kampf gegen die »Bar« ein leises und doch hartnäckiges Grundrauschen. Ein Zeichen dafür, dass selbst eine Frau mit globaler Marke und Milliardenimperium die gleichen Lernhöllen erlebt wie Menschen, die Nachts über Gesetzestexte verzweifeln. Geld kann man erben. Einen akademischen Titel nicht – auch wenn Geld es natürlich einfacher macht, an sein berufliches Ziel zu gelangen.
Aber auch mit ihrer ganzen Kohle scheitert Kardashian. Und vielleicht passt das perfekt zu unserer Epoche. In einer Zeit, in der performative Kompetenz überall gefeiert wird, zeigt ihr Misserfolg, dass es trotzdem – zum Glück – noch Grenzen gibt. So oft kommen Menschen, die sich überzeugend präsentieren, weiter als Menschen, die tatsächlich verstehen, wovon sie sprechen. Doch gerade darin liegt die Ironie bei Kardashian. All das, worin sie sonst brilliert, hilft ihr bei der Anwaltsprüfung kein Stück weiter.
Denn auch wenn Wirkung vermeintlich Wissen schlägt und Auftreten oft mehr wiegt als Argumente: Die Anwaltsprüfung lässt sich nicht verarschen. Sie misst nur, ob jemand die Gesetze versteht und anwenden kann. Und genau das macht Kardashians Situation so faszinierend. Ihre performative Kompetenz lässt sie am Traum festhalten. Sie kann in Interviews erklären, warum sie das alles macht. Sie kann sich selbst als Figur inszenieren, die nicht aufgibt. Und ihre Motivation, diesen für sie steinigen Weg dennoch weiter zu gehen, auch für ihre Marke zu nutzen.
So auch in der Anwaltsserie »All’s Fair«, in der Kardashian mitwirkt. In dieser Serie spielt sie die Figur Allura Grant, eine erfolgreiche Anwältin, die eine ausschließlich weibliche Scheidungsrechtskanzlei leitet. Fast schon manifestiert sie mit der Serie ihren Traum, irgendwann endlich Anwältin zu sein. Aber auch hier wird sie nicht einfach durchgewunken: Die Serie wurde zum Beispiel von einigen als »die schlechteste Fernsehserie aller Zeiten« bezeichnet, mit kaum noch verborgener Ironie in den Rezensionen. In diesem Sinne sitzt Kardashian sowohl im echten Prüfungsraum als auch auf der Bühne, in der sie eine Anwältin darstellt – zwei Ebenen verschmelzen. Und das macht die Produktion am Ende für mich zu einer Klasse für sich.
Die Anwaltsprüfung bleibt in Zukunft aber weiter unbeeindruckt. Für sie zählt Kardashians Performance nicht. Vielleicht ist das gut, wahrscheinlich sogar wichtig. Vielleicht erinnert uns Kardashian daran, dass es trotz aller Inszenierung noch Räume gibt, in denen die reale Welt stur bleibt. Wo man nicht weiterkommt, weil man es schön erzählt, sondern nur, weil man etwas kann und begreift. In einer Gesellschaft, die immer stärker auf Oberfläche reagiert, tut dieser kleine Widerstand der Realität fast gut. Und er zeigt uns, dass nicht alle Türen durch Selbstinszenierung aufgehen. Manche bleiben verschlossen, bis jemand tatsächlich das nötige Wissen hat.
Das ist für mich kein Anlass für Spott oder Häme. Das ist Trost. Es zeigt, dass ein letztes Fitzelchen »Gleichheit« manchmal dort entsteht, wo man es am wenigsten erwartet. Kardashian macht das gerade sichtbar. Und das macht für mich unsere Zeit ein kleines bisschen erträglicher.
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