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Wagnis oder Harakiri? Linus Straßers Experiment im Olympia-Jahr
Mit neuem Material will der 33-Jährige noch einmal angreifen
Wer im Sport weiterkommen will, muss manchmal neue Wege einschlagen, auch mal Bewährtes hinter sich lassen. Linus Straßer hat mit Blick auf die Olympischen Winterspiele in Mailand und Cortina d’Ampezzo im kommenden Februar allerdings gleich eine für einen Skirennläufer ganz große Veränderung vorgenommen, die schwierigste vielleicht überhaupt. Er hat die Ski-Marke gewechselt, jenen Ausrüster verlassen, mit dem er in den vergangenen Jahren fünf Weltcuprennen gewonnen hat, darunter die prestigeträchtigen Slalom-Klassiker in Kitzbühel und Schladming, und insgesamt 18 Mal auf dem Podest stand. »Mir ist klar, dass ein Risiko dabei ist«, sagt er. »Aber am Schluss ist es meine Karriere, meine Entscheidung, mein Erfolg, mein Misserfolg.«
Auf Anhieb wird nicht alles klappen
Skiwechsel sind nicht unüblich, aber viele Athleten scheuen diesen Schritt in einer Saison mit Olympischen Spielen, denn zu groß ist die Gefahr, dass nicht alles auf Anhieb klappt. Ein Skiwechsel bedeutet ja auch eine neue Bindung, neue Schuhe – und viel Zeit zum Testen, zum Tüfteln, bis alles in diesem sensiblen Gefüge aufeinander, auf die verschiedenen Schneebedingungen und auf den Athleten abgestimmt ist. Ob schon alles passt oder zumindest für die um diese Jahreszeit oft speziellen Verhältnisse in Finnland, wird sich beim ersten Weltcup-Slalom der Saison am Sonntag (die Frauen sind schon am Samstag an der Reihe) in Levi zeigen.
»Ich habe den Aufwand unterschätzt.«
Linus Straßer Ski-Profi
»Ich habe den Aufwand unterschätzt«, gibt Straßer zu. Am Ende der Vorbereitung sei ihm ein bisschen die Zeit davongelaufen. Er hat sich deshalb vor allem auf den Slalom, seine Spezialdisziplin, konzentriert, der Riesenslalom lief bisher nur nebenher. Nicht bei allen Bedingungen passt das Material schon optimal. Er weiß deshalb, dass das eine oder andere Rennen mal nicht so funktionieren kann und er »ein bisschen Lehrgeld« zahlen wird. Straßer schließt auch nicht aus, dass sich der Abstimmungsprozess die ganze Saison hinzieht – und ist sich der Konsequenzen bewusst: »Dann muss ich mir ständig die Frage gefallen lassen, ob es schlau war.«
Neue Herausforderung gesucht
Er hat keinen Zweifel, dass es für ihn der richtige Schritt war. »Das kennt jeder im Berufsleben, dass man manchmal eine neue Herausforderung, neue Reize braucht.« Die Idee reifte am Ende der vergangenen Saison. Linus Straßer hatte mit WM-Bronze gerade die erste Einzelmedaille bei einem Großereignis gewonnen, aber anschließend etwas gehadert, davon gesprochen, dass er sehr kämpfen müsse, um die Motivation, den Hunger aufrecht zu halten. Der vergangene Winter war kein schlechter, aber eben mit Ausnahme der WM-Medaille auch kein sehr guter. Zum ersten Mal seit fünf Jahren blieb er ohne einen Podestplatz im Weltcup.
Mit seinem alten Ausrüster wusste er, »dass ich Rennen gewinnen kann«, sagt Straßer. »Mir ging es darum, zu schauen, ob nicht vielleicht noch mehr geht.« Ob er also auch die ganz wichtigen Rennen gewinnen kann, bei Olympia zum Beispiel. »Das sind die großen Tage«, sagt er. »Und ich glaube, da braucht es manchmal große Entscheidungen.«
Vielleicht noch das i-Tüpfelchen
Straßer ist vor ein paar Tagen 33 Jahre geworden; es bleiben nicht mehr viele Winter, um aus dieser schon erfolgreichen Karriere eine noch bessere, erfolgreichere zu machen. Im Sommer kam das zweite Kind zur Welt, das erste, die dreijährige Tochter, fragt ihn nun schon, wenn er wieder seine Sachen packt, wo er hinfährt und warum er wegfährt. Es fällt nicht leicht, so oft von zu Hause weg zu sein. Aber: »Ich genieße auch meine sportliche Karriere.«
Nun mit den neuen Skiern unter den Füßen sogar noch mehr, trotz des zusätzlichen Zeitaufwands in der Vorbereitung. Er sei »noch nie so motiviert durchs Sommertraining« gekommen wie vor dieser Saison, sagt Straßer. »Der Wechsel hat schon seinen Zweck erfüllt.« Den einen Zweck jedenfalls. Aber noch wichtiger wäre der andere: mit dem neuen Material noch schneller durch die Tore zu carven.
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