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Abwendungsvereinbarung schützt Mieter in Gneisenaustraße
Keine Luxussanierung, kein Verkauf als Eigentumswohnungen – auch Schönleinstraße 19 bekommt zweite Chance
Es ist eine überraschende Nachricht: Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat mit dem Käufer des Eckhauses Gneisenaustraße 9 und Nostitzstraße 11 eine Abwendungsvereinbarung unterzeichnet. Das erklärt Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) dem »nd«. Mit dieser Vereinbarung verhindert der Käufer, dass der Bezirk sein Vorkaufsrecht nutzt. Aber nicht ohne Preis: Vereinbart wurde der Schutz vor Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen, dass es keine Luxussanierungen geben wird und dass in dem Haus auch keine möblierten Wohnungen vermietet werden. Es geht um 20 Wohnungen und zwei Gewerbe.
»Wir haben einen Teilerfolg errungen«, sagt Schmidt. Man sei nah dran gewesen, den Vorkauf mit einer Genossenschaft zu erreichen. »Das hat der Käufer wohl gemerkt, weil es zahlreiche Begehungen gab«, erläutert Schmidt. Seit 2021 kommt es nur noch selten dazu, dass Bezirke ihr Vorkaufsrecht nutzen. Mit diesem Mittel können unter bestimmten Voraussetzungen Bezirke, nachdem sie über den Verkauf einer Immobilie informiert wurden, in Milieuschutzgebieten das Objekt dann lieber selbst kaufen oder einen gemeinwohlorientierten Dritten zum Zuge kommen lassen.
Aber 2021 schränkte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts diese Praxis erheblich ein. Ein bezirklicher Vorkauf ist nur noch in Ausnahmefällen möglich, etwa wenn das zu verkaufende Gebäude enorm sanierungsbedürftig ist. Die Folge: Wurden 2020 in Berlin nach Angaben des Berliner Mietervereins noch 4061 Wohnungen mithilfe dieses Instruments vor Investoren gerettet, waren es 2021 schon nur noch 2350. Und seit dem Urteil wurde lediglich noch eine einstellige Zahl an Häusern so gekauft.
Damit Käufer Abwendungsvereinbarungen unterschreiben, muss ein bezirklicher Vorkauf realistisch sein. Das war wohl im Fall der Gneisenaustraße 9 so. Der Teilerfolg strahlt auf andere Fälle aus. »Wir schauen jetzt optimistisch auf die Schönleinstraße 19«, sagt Florian Schmidt.
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Dort wittert die Hausgemeinschaft eine zweite Chance. »Ja, wir sind wieder zurück – zurück auf dem Markt«, teilt die Hausgemeinschaft mit. Eigentlich sollte das Haus in Kreuzberg von einer Erbengemeinschaft an die Winneg, einem Wiener Projektentwickler, veräußert werden. Anfang des Jahres scheiterte der Versuch, das enorm sanierungsbedürftige Gebäude über das bezirkliche Vorkaufsrecht einem landeseigenen Wohnungsunternehmen oder einer Genossenschaft zu übergeben. Aber die Winneg ist vom Kauf zurückgetreten.
Jetzt will eine andere GmbH das Haus erwerben. Zu deren Unternehmensgeflecht gehören nicht nur Gesellschaften, die Immobilien besitzen, sondern auch Anbieter möblierter Wohnungen und Designerapartments auf Zeit. Vor allem in den hippen Ortsteilen Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg werden diese von Unternehmen aus dem Geflecht angeboten. Das Konzept, möblierte Wohnungen und Apartments zu vermieten, ist in der Kritik, weil diese meist sehr teuer angeboten werden und die Mietpreisbremse oft umgangen wird.
Die erneute Verkaufsabsicht eröffnet neue Möglichkeiten. Denn jetzt gibt es eine neue Frist, innerhalb derer der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Vorkaufsrecht ausüben kann. Bis zum 15. Dezember muss das geschehen. Die Hausgemeinschaft sucht nun einen alternativen Käufer, der Mieter*innen gegenüber freundlich und gemeinwohlorientiert ausgerichtet ist und »der mit gutem Herz und Gewissen ein Zeichen gegen Verdrängung setzt«. Aktuell sieht es so aus, als könnte die Genossenschaft, die schon für die Gneisenaustraße 9 im Spiel war, das Haus kaufen. Das teilt Baustadtrat Schmidt dem »nd« mit.
»Es tut gut, dass wir es als kleine Hausgemeinschaft geschafft haben, einen Investor zu vertreiben.«
Felix Thieme
Mieter Schönleinstraße 19
»Die zweite Chance ist da, weil wir dieses Mal einen Akteur haben, der Interesse hat«, sagt Schmidt. Dennoch könnte auch der Senat eine Rolle spielen. »Wir prüfen noch, ob ähnlich wie in anderen Fällen eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft oder Fördermittel zum Einsatz kommen könnten.« Bei dem Genossenschaftsmodell sei der Senat allenfalls am Rande beteiligt. Beim vorherigen Versuch hatten Bezirk und Mieter*innengemeinschaft gehofft, der Senat würde Mittel bereitstellen, damit ein landeseigenes Wohnungsunternehmen das Haus kauft. Dem hatte der Senat aber eine Abfuhr erteilt. Im Landeshaushalt fehlten dafür die Mittel, meinte Bausenator Christian Gaebler (SPD).
Aber ohne finanzielle Unterstützung des Landes scheint das Projekt wirtschaftlich nicht realisierbar. Denn neben dem auf rund 1,4 Millionen Euro geschätzten Kaufpreis müsste noch viel Geld investiert werden, um das Haus instand zu setzen. Die Mieter*innengemeinschaft schätzt die dafür notwendige Summe auf rund drei Millionen Euro. Geheizt wird das Haus momentan noch mit Kohle, der verstorbene vorherige Eigentümer hatte nur das Nötigste gemacht.
»Der erneute Verkauf zeigt ja, dass das Gebäude schwierig ist«, sagt Baustadtrat Schmidt. Deswegen prüfe man auch, ob eine Herabsetzung der Kaufsumme auf den Verkehrswert möglich ist. »Wenn dieser niedriger wäre, würde das den Vorkauf erleichtern.«
Nach dem Scheitern des Vorkaufs im Januar sei in der Hausgemeinschaft »die Puste raus«, sagt Felix T., der seit mehr als 20 Jahren dort lebt. »Aber die Stimmung ist gut. Es tut gut, dass wir es als kleine Hausgemeinschaft geschafft haben, einen Investor zu vertreiben. Dass das möglich ist, ist gut zu wissen, auch für andere.«
Was die aktuellen Pläne betrifft, sind die Mieter*innen noch skeptisch. »Wir haben jetzt nicht alle einen Freudentanz gemacht, als wir das gehört haben«, sagt Felix T. Man sei vorsichtig optimistisch, weil man die junge Genossenschaft, die im Gespräch ist, nicht kenne. »Das ist jetzt nicht die Genossenschaft Bremer Höhe. Wenn die unser Haus kaufen würde, würden wir alle jubeln.« Für die Schönleinstraße 19 wäre es deshalb wichtig, wenn auch weitere Gesprächspartner hinzugezogen würden.
Über den Fall der Schönleinstraße 19 hinaus ist es den Mieter*innen wichtig, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts wieder ermöglicht wird. Dafür müsste aber einerseits die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, andererseits müssten ausreichend Mittel im Landeshaushalt zur Verfügung stehen.
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