Erst vergangene Woche erklärte der Deutsche Mieterbund, die Wohnungskrise betreffe inzwischen immer mehr ursprünglich gut situierte Personen.[1] Nun kommt Bernd Bütow, Hauptgeschäftsführer des Verbands Creditreform, zu einem ähnlichen Fazit. »Die Überschuldung ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen«, sagt er am Freitag bei der Präsentation des »Schuldneratlas 2025«.
Seit 2018 hat die Überschuldungsrate in Deutschland erstmals wieder zugenommen und stieg um etwa zwei Prozent. 5,67 Millionen Menschen über 18 Jahre sind laut Creditreform überschuldet, die Quote liegt bei 8,16 Prozent. Überschuldung bedeutet, dass die Gesamtausgaben einer Person ihre Einnahmen übersteigen. Besonders Personen unter 30 und über 60 sind gefährdet.
»Die Überschuldung ist in der gesellschaftlichen Mitte angekommen.«
Bernd Bütow Creditreform
Während der Lockdowns in der Pandemie gab es weniger Möglichkeiten, Geld auszugeben. Danach hatte sich einhergehend mit dem Ukraine-Krieg das Phänomen des »Angstsparens« verbreitet. Haushalte hatten aus Sorge vor bestehenden und kommenden Krisen besonders wenig ausgegeben. Nun seien die finanziellen Puffer aufgebraucht und es mache sich die Mehrfachbelastung aus Rezession, hohen Wohn- und Energiepreisen, Lebenshaltungskosten, Kreditzinsen sowie der steigenden Arbeitslosigkeit bemerkbar. Dass die wirtschaftliche Resilienz der Bevölkerung gesunken sei, schloss kürzlich auch das Ifo-Institut in einer Studie.
Das zeige sich über beinahe alle sozialen Gruppen hinweg. Überschuldung sei immer noch ein besonderes Problem ökonomisch schwacher Schichten, betreffe aber nicht mehr nur Personen aus prekären Verhältnissen, erklärt der Forscher Rainer Bovelet. Der Anteil überschuldeter Geringverdiener ist bundesweit um 21 Prozent gesunken, während der der Normalverdiener um sechs Prozent gestiegen ist. Man könne von einer Art »Erosion der Mittelschicht« sprechen, so Bovelet. »Diese Trendwende ist ein Ausdruck wirtschaftlicher Ermüdung, der inzwischen alle Bereiche erfasst hat«, ergänzt Bütow.
Ein Warnsignal sei, dass derzeit »harte« und »weiche« Verschuldung parallel zueinander stiegen, so die Ergebnisse des »Schuldneratlas«. Erstere ist eine juristisch relevante Verschuldung, sie kann Inkassoverfahren und Haftbefehle zur Folge haben. Zweitere sind anhaltende Zahlungsprobleme ohne rechtliche Konsequenzen. Steigen beide Formen zugleich, sei das ein Zeichen für eine breite strukturelle Verschlechterung der Finanzen.
Jüngere Menschen verschulden sich vor allem durch Kleinstkredite bei sogenannten »Buy-now-Pay-later«-Angeboten[2] (dt.: Jetzt kaufen, später bezahlen) im Internet. Rechnungen können in Raten oder nach einem längeren Zeitraum beglichen werden, Direktzahlmöglichkeiten gibt es zum Teil nicht mehr und Verbraucher*innen verlieren dabei leicht den Überblick. Sie haben allerdings noch die Möglichkeit, sich im späteren Erwerbsleben aus der Überschuldungsspirale zu befreien. Bei Älteren ist das oft nicht mehr der Fall. Ihnen machen vor allem die Wohnkosten zu schaffen, außerdem beeinflussen sich Einkommensarmut, Überschuldung und Altersarmut gegenseitig.
Männer sind weiterhin deutlich häufiger überschuldet als Frauen. Das hänge damit zusammen, dass sie in vielen Fällen die Hauptverdiener seien, so Bovelet. Unter Alleinerziehenden sei dagegen jede dritte Frau überschuldet. Zwischen Ost und West gibt es dagegen keine großen Unterschiede bei der Überschuldung. Derzeit breitet sie sich besonders im Ruhrgebiet aus, Spitzenreiter sind etwa Duisburg, Essen und Dortmund. Die höchste Überschuldungsrate findet sich in Bremerhaven, dort liegt sie bei 18,33 Prozent. Ein Gegenbeispiel ist Jena. Dort ging die Überschuldung in 20 Jahren um 33 Prozent zurück – das liegt Bovelet zufolge an der innovativen Wirtschaft der Thüringer Stadt.