Neuer Druck auf Selenskyj in der Ukraine

Der ukrainische Präsident macht im neuen Korruptionsskandal eine schlechte Figur

Trotz massiver Veruntreuung europäischer Gelder verspricht Bundeskanzler Friedrich Merz der Ukraine weitere Mittel.
Trotz massiver Veruntreuung europäischer Gelder verspricht Bundeskanzler Friedrich Merz der Ukraine weitere Mittel.

Der Korruptionsskandal im ukrainischen Energiesektor rund um Timur Minditsch, einen Vertrauten von Präsident Wolodymyr, wird für die Ukraine zu einer echten Herausforderung. Während die Menschen mit immer mehr Einschnitten und Knappheiten konfrontiert werden, müssen sie zusehen, wie sich die Elite auf ihre Kosten und zu Lasten ihrer Sicherheit weiter bereichert.

Am Sonnabend will die Antikorruptionsaktivistin Maria Barabasch auf dem Maidan in Kiew demonstrieren. Dabei soll es auch um die immer schlechtere Lage der ukrainischen Armee in Pokrowsk gehen. Selenskyj weigere sich, den Rückzugsbefehl zu geben, weil er nach dem Aufdecken der »Minditsch-Files« keine weiteren schlechten Nachrichten haben will, so Barabasch.

Der Präsident gerät unter Druck

Präsident Selenskyj ist weiter bemüht, den Skandal von sich zu weisen und als vom Ausland gesteuert darzustellen. Mehrfach hatte der Inlandsgeheimdienst SBU versucht, eine russische Spur zu konstruieren, ohne Erfolg. Auch andere bekannte Ablenkungsmanöver wie Medienkampagnen und inszenierte Hausdurchsuchungen haben bisher nicht das erwünschte Ergebnis gebracht: zu zeigen, dass Selenskyj von nichts wusste.

Gegenüber dem Nachrichtenportal Politicon versuchte der Leiter des Präsidentenbüros, Andrij Jermak, seinem Chef einen Persilschein auszustellen. Selenskyj sei ein »sehr prinzipientreuer Mensch« und »nicht korrumpiert«. Im Gegenteil: Angeblich lässt der Präsident »absolut freie Untersuchungen« zu. Überzeugend wirkt das nicht.

Selenskyjs Verhalten wirft Fragen auf

Selenskyj gerät zunehmend unter Druck. »Die Enthüllungen waren für Herrn Selenskyj eine dramatische Wende der Ereignisse«, konstatiert die »New York Times«. Das Bild eines Anführers, der die ukrainische Politik durchsichtiger machen und die Oligarchen aus der Politik vertreiben wollte, hat massive Risse bekommen. Statt als Reformer aufzutreten, spielt Selenskyj immer mehr nach den Regeln des alten Systems.

Am Donnerstag erließ Selenskyj schließlich Sanktionen gegen seinen Vertrauten und Oleksandr Zukerman, einen weiteren Verdächtigen. Statt sich damit als starken Mann präsentieren zu können, warf Selenskyj neue Fragen auf. So wurden die Sanktionen nur für drei Jahre statt wie üblich für zehn erlassen. Zudem werden Minditsch und Zukerman als israelische und nicht ukrainische Staatsbürger sanktioniert. Und zuletzt verzichtete Selenskyj darauf, den beiden die ukrainische Staatsbürgerschaft zu entziehen, obwohl er dieses Mittel nur allzu gerne nutzt. Das sei nichts weiter als vorgetäuschter Aktivismus, merken ukrainische Journalisten an. Schon in drei Jahren hat Minditsch wieder Zugriff auf sein Vermögen und Eigentum.

Die Korruption ist schlimmer geworden, sagen Umfragen

Es scheint immer offensichtlicher, dass die Erfolgsmeldungen in Sachen Korruptionsbekämpfung mit der (gefühlten) Realität in der Ukraine nur marginal etwas gemeinsam haben. Einer aktuellen Umfrage des Forschungsunternehmens Soziopolis zufolge glauben 73,9 Prozent der Befragten, dass es seit dem russischen Einmarsch im Februar 2022 erheblich mehr Korruption in der Ukraine gibt. Dabei nennen die meisten Befragten Selenskyj als Hauptverantwortlichen für diese Entwicklung. Lediglich sechs Prozent glauben, dass es in der Ukraine weniger Korruption gibt.

»Dies zeugt von einer Krise des Vertrauens in die Institutionen. Die Bürger nehmen Korruption nicht als einzelne Missbräuche, sondern als systemisches Merkmal des politischen Feldes wahr«, kommentieren die Soziologen ihre Umfrage.

Wie zum Beweis nahm der SBU am Freitag in einem Kiewer Restaurant Walerij Tokar, den Chef der Partei Garant, fest, da er einen Listenplatz für die (wann auch immer) kommende Parlamentswahl für 160 000 US-Dollar verkauft haben soll.

EU erbost, aber weiter mit Unterstützung

Der aktuelle Skandal um die »Minditsch-Files« sorgt auch bei der EU für Unruhe. Die Korruption führe dazu, dass die Hilfsbereitschaft der Europäer sinke, sagte Polens Präsident Donald Tusk. Mehrere Zeitungen schreiben, dass der EU-Beitrittsprozess durch die Enthüllungen eine deutliche Delle bekommen hat.

In Brüssel, so das Nachrichtenportal Politico, fordert man von Kiew Antworten. Die höchst wahrscheinliche Verstrickung Selenskyjs bedeute, »dass die Europäische Kommission zweifellos neu bewerten muss, wie sie ihre Mittel für den Energiesektor der Ukraine ausgibt«, zitiert Politico einen Beamten.

Auch wenn im Hintergrund noch härtere Reformen gefordert werden dürften, wird die Unterstützung in keinem Fall zurückgefahren. In Kiew geht man davon aus, dass Brüssel das »allgemeine Tabu zur öffentlichen Kritik der Ukraine« aufrechterhält. Wie das funktionieren wird, zeigten in den vergangenen Tagen bereits Deutschlands Außenminister Johann Wadephul und Kanzler Friedrich Merz. Beide äußerten sich leicht besorgt über den Korruptionsskandal, nur um direkt danach neue Gelder für Kiew zu verkünden.

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