Omid Sarlak: Opfer eines mörderischen Systems

Nach dem Tod eines jungen Mannes vermuten viele eine gezielte Tötung durch das iranische Regime

  • Daniela Sepehri
  • Lesedauer: 4 Min.
Omid Sarlak
Omid Sarlak

In der westiranischen Stadt Aligudarz weht der Wind über die Hügel von Lorestan, einer Provinz im Westen des Irans. Auf Videos im Internet ist zu sehen, wie sich hunderte Menschen auf einem schmalen Feldweg drängen, viele mit schwarzen Tüchern und erhobenen Fäusten. »Nieder mit dem Diktator!«, rufen sie, als der schlichte Holzsarg durch die Menge getragen wird. Im Lautsprecher läuft Musik aus dem Schahname, dem persischen Nationalepos. Männer rezitieren Verse über Heldenmut und Freiheit, junge Frauen werfen Blumen auf den Sarg. Ein Vater schreit mit gebrochener Stimme in die Menge: »Sie haben meinen Champion hier getötet!“

Der Tote heißt Omid Sarlak, ein 22-jähriger Mann aus der Provinz Lorestan. Omid bedeutet Hoffnung. Nur wenige Stunden vor seinem Tod hatte er auf Instagram ein Video gepostet, in dem er ein Porträt des Obersten Führers der Islamischen Republik Iran, Ali Khamenei, anzündet. Unterlegt war das Video mit der Stimme des früheren Schahs Mohammad Reza Pahlavi – eine offene Provokation. Dazu schrieb Sarlak: »Wie lange sollen wir noch Erniedrigung und Armut ertragen? Das ist der Moment, euch zu zeigen, junge Menschen. Diese Kleriker sind nur ein Strom, den Irans Jugend überqueren muss.“

Wenige Stunden später wurde sein Körper in einem Auto nahe des Arsalan-Gudarzi-Stadions gefunden. Laut Polizei hatte er sich »mit einer Pistole selbst erschossen«. Angehörige berichten hingegen, sie hätten den Leichnam nicht sehen dürfen und seien unter Druck gesetzt worden, die offizielle Version zu bestätigen.

In einem Land, in dem jedes Bild von Khamenei staatlich geschützt ist, gilt das Verbrennen seines Porträts als Angriff auf das Herz des Systems. Dennoch vernichten Aktivistinnen immer wieder Bilder von Khamenei, um ihren Protest kundzutun. Bereits während der »Frau-Leben-Freiheit«-Proteste im Herbst 2022 zerrissen unzählige Schülerinnen mit offenen Haaren an ihren Schulen die Porträts des Obersten Führers. Fotos, wie sie mit dem Mittelfinger und unverdeckten Haaren davor standen, kursierten weltweit und wurden zum Symbol des Widerstands.

»Wie lange sollen wir noch Erniedrigung und Armut ertragen? Das ist der Moment, euch zu zeigen, junge Menschen.«

Omid Sarlak in einer Videobotschaft kurz vor seinem Tod

In den sozialen Netzwerken verbreitete sich die Nachricht über den Tod Sarlaks in rasantem Tempo. Aktivistinnen teilten Screenshots seiner letzten Instagram-Stories. Andere nannten ihn einen Patrioten, einen, der »nicht mehr schweigen konnte«. Niemand glaubt an die Version des Regimes, Sarlak habe sich selbst das Leben genommen. Für sie ist klar: Es ist ein weiterer staatlicher Mord an einem jungen Mann, der es gewagt hat, gegen das Regime aufzubegehren.

Unabhängig überprüfen lässt sich bislang wenig. Doch die Widersprüche in der Darstellung der Behörden erinnern an zahlreiche ähnliche Fälle: Immer wieder erklären iranische Sicherheitskräfte Tote zu Selbstmörderinnen – ob politische Gefangene, Aktivistinnen oder Studierende. Im Jahr 2018 starb beispielsweise der kanadisch-iranische Umweltschützer Kavous Seyed-Emami unter Folter im Evin-Gefängnis; staatlichen Stellen zufolge soll er sich jedoch das Leben genommen haben aufgrund der angeblichen Beweise gegen ihn als »Spion«. Auch die 16-jährige Nika Schakarami, die zu Beginn der »Frau-Leben-Freiheit«-Bewegung tot aufgefunden wurde, nachdem sie an Protesten teilgenommen hat, wurde vom Regime als Suizid geframt. Eine Untersuchung von BBC bestätigte später, was für die Freiheitsbewegung längst klar war: Sicherheitskräfte hatten Schakarami misshandelt und getötet.

Wenn die Behörden des Regimes von Suizid sprechen, ist für viele Iranerinnen sofort klar: Der Staat will seine eigene Gewalt vertuschen. Aus Sarlaks Beerdigung wurde ein Protestmarsch – wie so oft, wenn politische Dissidentinnen getötet werden in Iran. Die Trauernden riefen Parolen wie »Nieder mit dem Diktator« und »Diese verwelkte Blume ist ein Geschenk an die Heimat«. In Videos, die von iranischen Exilmedien veröffentlicht wurden, sind lange Reihen von Menschen zu sehen.

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Sarlaks Tod hat eine Welle der Empörung und Solidarität ausgelöst. Innerhalb von Stunden verbreitete sich der Hashtag #OmidSarlak weltweit. Iranische Aktivist*innen im Exil posten Videos, in denen sie selbst Fotos von Khamenei anzünden. »Er veröffentlichte diese Stories und ging auf die Straße. Wenige Stunden später wurde sein von Kugeln durchsiebter Körper in einem Auto gefunden«, schrieb der Dichter Schahram Sadidi aus Sabzevar, der Fotos von Sarlak online veröffentlichte. »Die Familie hat den Leichnam noch immer nicht erhalten und wird gezwungen, von Selbstmord zu sprechen.«

Sarlaks letzter Post auf Instagram: »Zeigt euch jetzt. Hier ist das Feld, beweist euch. Hat jede Stadt nicht vier mutige junge Menschen? Ich werde der Erste sein.« Vor allem dieser letzte Satz kursiert seither auf Bannern, Graffiti und in den sozialen Netzwerken.

Offizielle Stellen in Teheran schweigen bislang zu den Todesumständen Sarlaks. Der Polizeikommandant von Aligudarz, Ali Azadollahi, erklärte lediglich, die Ermittlungen dauerten an. Weder Justiz noch Geheimdienst haben eine unabhängige Untersuchung angekündigt. Menschenrechtsgruppen fordern Aufklärung und sehen Parallelen zu anderen Todesfällen, etwa zu Sara Tabrizi, einer ehemaligen politischen Gefangenen, die 2024 unter dubiosen Umständen tot aufgefunden wurde, nachdem sie von Sicherheitskräften verhört worden war.

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