nd-aktuell.de / 14.11.2025 / Politik

Gesellschaft ohne Gerechtigkeit

UN-Sonderberichterstatterin: »Die Rechte auf Leben und Freiheit sind im Iran derzeit auf beispiellose Weise bedroht«

Daniela Sepehri
Menschen auf der Straße in Teheran, im Hintergrund eine Plakatwand, auf der die getöteten libanesischen Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah (Mitte) und sein Nachfolger Haschem Safieddine (rechts) sowie der getötete General der iranischen Revolutionsgarde Qasem Soleimani abgebildet sind.
Menschen auf der Straße in Teheran, im Hintergrund eine Plakatwand, auf der die getöteten libanesischen Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah (Mitte) und sein Nachfolger Haschem Safieddine (rechts) sowie der getötete General der iranischen Revolutionsgarde Qasem Soleimani abgebildet sind.

Als Zahra Shahbaz Tabari im Oktober zum Tode verurteilt wurde, dauerte die Verhandlung zehn Minuten. Die 67-jährige Iranerin war im April 2025 verhaftet und in das Lakan-Gefängnis in Rascht gebracht worden. Dort wurde sie wochenlang verhört und bedroht, um sie zu Geständnissen über angebliche Verbindungen zu einer oppositionellen Gruppe zu zwingen. Sie bestreitet alle Vorwürfe. Ihr Verfahren fand per Videoübertragung aus dem Gefängnis statt, ihren Anwalt sah sie erst während der Sitzung.

Ihr Fall steht für eine Repressionswelle, die sich in den vergangenen Monaten in der Islamischen Republik Iran dramatisch verschärft hat. Die Unabhängige Internationale Untersuchungskommission der Vereinten Nationen sprach zuletzt von Hinrichtungen in »industriellem Ausmaß« und einer »ernsthaften Verschlechterung der Menschenrechtslage« seit dem Krieg mit Israel.

Nach dem israelischen Angriff am 13. Juni und dem darauffolgenden zwölftägigen Krieg nahm die Repression im Inland massiv zu. Die Vorsitzende der UN-Untersuchungskommission, Sara Hossain, warnt vor den Folgen der Eskalation: Nach den Angriffen habe die iranische Regierung mit einer »innerstaatlichen Repressionswelle« reagiert, die den Zugang zu rechtsstaatlichen Verfahren weiter eingeschränkt und das Recht auf Leben ausgehöhlt habe.

Die Kommission dokumentierte die Festnahme tausender Menschen, darunter Journalistinnen, Anwältinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen – viele allein wegen ihrer Äußerungen in sozialen Medien. Das iranische Parlament erweiterte im Zuge dessen den Straftatbestand der »Spionage« und weitete die Todesstrafe aus. Zugleich wurde das Verbreiten von Inhalten, die die Regierung als »falsche Informationen« einstuft, weiter kriminalisiert.

Amnesty International zufolge wurden seit Anfang des Jahres mehr als 1300 Menschen in Iran hingerichtet – die höchste Zahl seit 2015. Das in Washington ansässige Abdorrahman Boroumand Center für Human Rights in Iran zählt sogar 1450 Hinrichtungen seit Jahresbeginn. Die meisten dokumentierten Todesurteile verstoßen der Untersuchungskommission zufolge gegen internationales Recht. Der UN-Experte Max du Plessis warnt: »Wenn Hinrichtungen Teil eines systematischen Angriffs auf die Zivilbevölkerung sind, könnten sie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gelten.« Die Repression trifft vor allem ethnische und religiöse Minderheiten. Nach Angaben der Kommission wurden über 330 Kurdinnen sowie zahlreiche Araberinnen verhaftet, hunderttausende Afghaninnen deportiert. Mitglieder der Bahai-Religionsgemeinschaft werden als »zionistische Spione« diffamiert und festgenommen.

Zudem beobachtet die UN eine Zunahme geschlechtsspezifischer Gewalt. Zwischen März und September 2025 seien mindestens 60 Femizide dokumentiert worden. Rechtsreformen zur Bekämfung der Gewalt an Frauen seien blockiert, während sogenannte Ehrenmorde weiterhin straflos blieben. Parallel dazu hat die Regierung die Überwachung verschärft, Geschäfte geschlossen, die Frauen ohne Kopftuch bedienen, und die »Sittenpolizei« wieder verstärkt auf die Straßen geschickt.

Auch im Ausland wird Druck ausgeübt. Die Kommission dokumentierte zunehmende transnationale Repression: Familien iranischer Journalist*innen im Exil würden bedroht und verhört, insgesamt hätten über 45 Medienschaffende in sieben Ländern Drohungen erhalten. »Diese Einschüchterungen verletzen Irans Verpflichtungen, das Recht auf Meinungsfreiheit zu achten«, sagte UN-Expertin Viviana Krsticevic.

In ihrem Bericht an die UN-Generalversammlung betonte Sara Hossain: »Das Versagen, Gerechtigkeit zu schaffen, ist nicht neutral. Es verlängert das Leiden der Opfer und untergräbt die Pflicht des Staates, Wahrheit, Rechenschaft und Wiedergutmachung zu gewährleisten.«

Die UN-Sonderberichterstatterin zur Menschenrechtssituation im Iran, Mai Sato, erklärte vor der Generalversammlung, die israelischen und US-amerikanischen Luftangriffe hätten internationales Recht verletzt; das Ende des Krieges habe den Menschen in Iran keine Erleichterung gebracht. »Die externe Aggression hat eine tiefere interne Repression befeuert«, sagte Sato. »Die Rechte auf Leben und Freiheit sind im Iran derzeit auf beispiellose Weise bedroht.«