nd-aktuell.de / 16.11.2025 / Politik

Zaid A.: »Die Gerichte hier tanzen nicht nach Budapests Pfeife«

Nach der ersten Anhörung vor einem französischen Gericht spricht der im Budapest-Komplex beschuldigte Zaid A. über das Verfahren

Interview: Jan Theurich (Dunya Collective)
Im Oktober stellte sich Zaid A. überraschend den französischen Behörden.
Im Oktober stellte sich Zaid A. überraschend den französischen Behörden.

Vergangenen Mittwoch fand Ihre erste Anhörung vor einem Pariser Gericht statt. Wie lief es und was erwarten Sie von dem Verfahren?

Direkt zu Beginn hatte der Staatsanwalt eine Vertagung beantragt, da er noch keine Zeit hatte, die Unterlagen der Verteidigung zu lesen. Der Richter hat dem Antrag stattgegeben und die Verhandlung wurde nun auf den 14. Januar vertagt. Meine Verteidigung und ich sind aber zuversichtlich. Man merkt, dass der Staatsanwalt keinen bösen Willen hat. Ich hoffe, dass die französische Justiz dem ungarischen Auslieferungsersuchen nicht folgt[1].

Warum haben Sie sich ausgerechnet in Frankreich gestellt?

Für mich war klar: Wenn ich mich stelle, dann an einem Ort, an dem Gerichte nicht automatisch das Auslieferungsersuchen eines autoritären oder faschistoid geführten Staates durchwinken[2]. Frankreich ist kritischer gegenüber Ungarns politischer und juristischer Verfasstheit. Die Realität in Ungarns Gefängnissen ist dokumentiert und war bereits im Fall von Gino[3] (weiterer Betroffener im Budapest-Komplex, d. Red.), dessen Auslieferung verweigert wurde, ausschlaggebend. Ich rechne damit, dass das Gericht auch bei mir kritisch auf die Zusicherungen Ungarns blickt. Die Gerichte hier tanzen nicht nach Budapests Pfeife. Sie wissen, was in Ungarn passiert und sehen die politische und humanitäre Gefährdungslage.

Anders als in Deutschland?

Ich habe gemerkt, dass deutsche Behörden und Gerichte kein Interesse haben, sich mit meinem Fall zu beschäftigen. Ich war akut von der Auslieferung nach Ungarn bedroht, hatte Meldeauflagen und der Verfassungsschutz wollte »mich kennenlernen« und zur Kooperation bewegen. Da war mir klar: Mit diesen Behörden will ich nichts zu tun haben. Ich hatte keine Illusionen, dass es anders ausgeht als im Fall von Maja.

Maja T. gehört ebenfalls zu den beschuldigten im Budapest-Komplex, T. wurde im Juni 2024 nach Ungarn ausgeliefert – kurz danach erklärte das Bundesverfassungsgericht eine Auslieferung als rechtswidrig. Wie sah die Reaktion der deutschen Behörden aus, nachdem Sie untergetaucht waren?

Ich glaube, sie waren eher erleichtert. Sie wollten mich loswerden und sich auf die anderen Beschuldigten konzentrieren. Nicht einmal bei meiner Familie sind sie aufgetaucht, obwohl ich Meldeauflagen hatte. Ich glaube, das ist auch ein Erfolg der Solidaritätsarbeit. Angesichts der großen öffentlichen Empörung nach Majas Auslieferung haben sie wohl gehofft, den Fall schnell vom Tisch zu bekommen.

Warum wurden Sie überhaupt aus der Auslieferungshaft entlassen?

Das Argument meiner Anwältin Anna Busl war einfach: Ich hatte mich gestellt, also bestand keine Fluchtgefahr. Das wurde anerkannt. Seltsam ist, dass andere sich ebenfalls gestellt haben, aber trotzdem bis heute sitzen. Es wurde über die vergangenen Jahre einfach normalisiert, dass Menschen lange in Haft sind, bevor ein Prozess beginnt. Das muss nicht so sein.

Wie nehmen Sie die öffentliche Reaktion in Frankreich wahr?

Es gibt deutlich mehr Aufmerksamkeit als in Deutschland. Die linke Presse ist stärker. Das Interesse der eher bürgerlichen Presse ist, anders als in Ginos Fall, bisher eher gering. Vielen macht Sorgen, dass europäische Behörden bereit sind, einem autoritär geführten Staat wie Ungarn zuzuarbeiten. Meine Situation löst hier eher Besorgnis aus als Ablehnung.

Erfahren Sie Solidarität?

Ja, sehr viel. Ich fühle mich unterstützt und umsorgt. Die linke Bewegung hier ist aktiv und dynamisch, das gibt mir Kraft.

Trotz ihrer Haftverschonung müssen sie sich regelmäßig bei der Polizei melden. Wie sieht Ihr Alltag im Moment aus?

Es gibt schwierige Momente, in denen man mit Unsicherheit, Angst oder neuen Extremsituationen umgehen muss. Aber ich fühle mich nicht allein. Auch wenn ich physisch weit weg bin: In meinen Gedanken gibt es keine Einsamkeit, weil ich die Unterstützung spüre.

Hätten Sie gedacht, dass Solidarität über Staatsgrenzen hinweg so gut funktionieren kann?

Ich habe mir vorher nicht viele Gedanken gemacht. Es ist gut zu sehen, dass es funktioniert und mehr Aufmerksamkeit bringt. Die Faschisierung der Gesellschaft ist ja ein globales Problem.

Wie blicken Sie auf diese globale Faschisierung?

Das ist alles sehr bedrohlich. Besonders mit Blick auf die USA und wie schnell so etwas gehen kann: Staatsumbau, polizeilich-militärische Angriffe auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Das gibt einen Vorgeschmack darauf, wie es sich in Deutschland und Europa entwickeln könnte. In vielen Ländern sind es dieselben Argumentationsmuster und Dynamiken der Neuen Rechten.

Sehen Sie das Verfahren als Teil dieser Entwicklung?

Ohne globale Faschisierung sähen die Verfahren anders aus. Es sollte hier keine Verfolgung von Antifaschist*innen geben. In Budapest laufen Neonazis in SS-Uniformen herum; der »Tag der Ehre« ist ein großes Treffen der europäischen Neonaziszene. Das wird akzeptiert – teils von der ungarischen Regierung unterstützt. Am Rande dieses Events kommt es seit Jahren zu Angriffen auf Unbeteiligte. Wo ist da der Verfolgungswille?
Stattdessen werden Menschen verfolgt, die antifaschistisch intervenieren oder denen das vorgeworfen wird. Es wird ein riesiger Aufwand betrieben, mediale Hetze losgetreten. Das zeigt, worum es auch dem deutschen Staat geht und alles im Kontext, dass mit der AfD eine extrem rechte Partei nach der politischen Macht strebt. Der deutschen Justiz ist es wichtiger zu sagen, dass Hanna (die erste von einem deutschen Gericht Verurteilte im Budapest-Komplex, d. Red.)[4] und der Antifaschismus das Image des Staates beschädigten, als dass Neonazis, auch aus Deutschland, in Ungarn der SS gedenken. Das ist absurd, gerade weil Deutschland die Shoah zu verantworten hat.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194450.budapest-komplex-zaid-a-hoffen-auf-paris.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194539.immunitaet-budapest-komplex-eu-parlament-rettet-ilaria-salis-vor-orban.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190456.budapest-komplex-gino-wird-nicht-an-ungarn-ausgeliefert.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194860.budapest-komplex-kuenstlerin-hanna-s-trotz-u-haft-arbeitet-sie-weiter.html