Die EU-Grenzagentur Frontex will zukünftig Flugzeuge zur Aufklärung im Atlantik auf Kap Verde stationieren. Das machte die EU-Grenzagentur am Freitag in einer Mitteilung bekannt. Für den Start der Mission war der Frontex-Direktor Hans Leijtens diese Woche in die Inselhauptstadt Praia gereist. Dort traf sich der Niederländer mit dem kapverdischen Staatsminister, dem Verteidigungs- sowie dem Innenminister und weiteren hochrangigen Regierungsmitgliedern.
Die seit Monaten verhandelte Vereinbarung[1] soll die EU-Migrationsabwehr in Westafrika verbessern: Die bei privaten Firmen gecharterten Luftfahrzeuge werden mit Überwachungstechnik ausgerüstet und halten in den Such- und Rettungsregionen von Senegal, Mauretanien und Gambia Ausschau nach Booten mit Geflüchteten auf dem Weg zu den zu Spanien gehörenden Kanaren. Bei einer Sichtung informiert die Besatzung die in Westafrika zuständigen Behörden. Diese sollen die Menschen abfangen und zurückholen. Ein solches Pullback-System praktiziert Frontex bereits seit 2017 mit der Küstenwache in Libyen[2].
Es ist der erste derartige Einsatz von Frontex in einem afrikanischen Land. An den Gesprächen zur technischen Umsetzung des Flugdienstes waren die kapverdische Nationalpolizei, die Küstenwache sowie das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Verteidigungsministerium beteiligt, außerdem Behörden aus Portugal – die beiden Länder arbeiten nach der Unabhängigkeit Kap Verdes auch zu maritimer Sicherheit eng zusammen. Nach Angaben eines Frontex-Sprechers wollte sich die EU-Grenzagentur auch mit spanischen Behörden zu den Plänen abstimmen.
Die Mission von Kap Verde soll eine Lücke schließen, die gescheiterte Verhandlungen mit Senegal und Mauretanien hinterließen: Frontex wollte ursprünglich Statusabkommen mit diesen Ländern schließen, um auch in deren Hoheitsgewässern oder an Land Personal oder Ausrüstung stationieren zu dürfen. Trotz vorheriger positiver Signale verweigerten die Regierungen jedoch entsprechende Gespräche. Die Flüge von Praia dürften deshalb im internationalen Seegebiet außerhalb der Zwölfmeilenzone von Senegal, Mauretanien und Gambia erfolgen. Einsätze könnte es aber auch in den Gewässern Kap Verdes geben, denn aufgrund gescheiterter Überfahrten oder Treibstoffmangels driften immer wieder Migrantenboote in Gewässer des Landes ab.
Die neue Vereinbarung dient Frontex zufolge auch der »Schleuserbekämpfung«: Angeblich[3] hätten kapverdische Behörden mehrfach registriert, dass Menschen von Senegal aus mit Segelbooten und Yachten auf die Insel gereist seien, um dann nach Europa weiterzureisen.
Für die Ausweitung seines Dienstes auf Kap Verde will Frontex auch das »Netzwerk der Verbindungsbeamt*innen« von Frontex in Drittländern auf die Region erweitern. Derzeit besteht es aus sechs Büros in Ankara, Belgrad, Tirana, Moldau, Islamabad und Dakar, ein weiteres soll in Marokko eröffnet werden. Dieser »Rabat-Cluster« soll dann die Luftüberwachung aus Kap Verde unterstützen.
Frontex will seine Luftaufklärung in Kap Verde auf ein Arbeitsabkommen von 2011 stützen – das umfasst aber keine Stationierung von Frontex-Einheiten, sondern dient nur der strategischen Zusammenarbeit. Wie das »nd« erfuhr, hatte die Grenzagentur mit der Regierung in Praia über eine Erneuerung des Arbeitsabkommens verhandelt, die eigentlich 2025 abgeschlossen werden sollte. Dazu kam es offenbar nicht.
Frontex scheint sich auf den Standpunkt zu stellen, dass es die Erneuerung auch gar nicht brauche, um Flugzeuge oder Drohnen von Kap Verde fliegen zu lassen. »Alle derartigen Aktivitäten würden zusammen mit unseren kapverdischen Partnern im Rahmen der bestehenden Arbeitsvereinbarung durchgeführt, die 2011 unterzeichnet wurde und die Grundlage für unsere Zusammenarbeit bildet«, sagte ein Sprecher zu »nd«.
Wie im Falle Libyens stationiert Frontex auch kein eigenes Personal auf Kap Verde. Die Aufklärungsdienste werden wieder bei privaten Firmen bestellt. Von ihnen aufgenommene Videos aus den Seegebieten werden dann in Echtzeit in das Frontex-Hauptquartier in Warschau gestreamt.
Auch der Frontex-Grundrechtsbeauftragte Jonas Grimheden hatte sich bereits mit den Plänen beschäftigt – und äußerte sich kritisch. Grimheden gab im Mai eine Stellungnahme zur »multifunktionalen Luftüberwachung« – so nennt Frontex ihren Flugdienst – auf der westafrikanischen Route ab. Dabei ging es nach Informationen des »nd« explizit um Einsätze in den Such- und Rettungsregionen von Kap Verde, Senegal und Mauretanien. Diese liegen vor den Zwölfmeilenzonen in internationalen Gewässern.
Die Flugzeuge oder Drohnen im Frontex-Auftrag sollen Informationen über entdeckte Migrantenboote an Such- und Rettungsbehörden der betreffenden Staaten weitergeben. In Mauretanien und Senegal gibt es aber Berichte über Defizite beim Schutz der Menschenrechte. Deshalb müssen vor der Inbetriebnahme des Flugdienstes wirksame Schutzmaßnahmen eingeführt werden, meint auch Grimheden – so steht es in einer Mitteilung, die »nd« einsehen konnte. Das Büro des Grundrechtsbeauftragten hatte daher einen Aktionsplan gefordert, der die Probleme adressiert. Besonders das Verbot des Non-Refoulement – also das Verbot, Menschen in Länder zurückzuschicken, wo ihnen Verfolgung droht – muss darin berücksichtigt werden, so Grimheden.
Gegenüber dem »nd« wollte Grimheden seine Bewertung nicht kommentieren: »Danke für Ihr Interesse an meiner Meinung hierzu. Dies steht im Zusammenhang mit einem laufenden Prozess, daher ziehe ich es vor, mich dazu nicht extern zu äußern«, schrieb Grimheden vergangene Woche.
Ab 2020 stiegen die Zahlen auf der West-Atlantik-Route laut Pro Asyl[4] drastisch: Von unter 3000 Menschen im Jahr 2019 auf mehr als 23 000 im Jahr 2020, über 40 000 im Jahr 2023 und 46 000 im Jahr 2024. Erklärungsansätze finden sich in den Herkunftsländern – etwa im Senegal, wo internationale Flotten das Meer leer fischen und politische Konflikte herrschen – sowie in zunehmender Migrationskontrolle auf anderen afrikanischen Routen.
Seitdem ist auch Spanien als nächstliegender Anrainer mit den Ländern in Sachen Migrationsabwehr aktiv[5]. Innenminister Fernando Grande-Marlaska zufolge habe die intensivierte Zusammenarbeit mit Senegal in diesem Jahr Ankünfte von der dortigen Küste um mehr als 90 Prozent reduziert. Spanien hat 40 Beamt*innen in Senegal stationiert, die mit Gendarmerie und Nationalpolizei zu Land, zu Wasser und auf Flüssen patrouillieren, unterstützt durch Schiffe, einen Hubschrauber und Überwachungsflugzeuge.
Auch die EU investiert massiv in seegebundene Migrationsabwehr in Westafrika[6]: Mauretanien erhielt dieses Jahr 20 Millionen Euro für zwei neue Marineschiffe für Patrouillen zwischen dem Land und den Kanaren. 2024 zahlte die EU bereits 15 Millionen Euro zur »Bekämpfung illegaler Aktivitäten auf See«. Für auf dem Land- oder Seeweg abgefangene Geflüchtete hat Mauretanien zwei Auffanglager eingerichtet[7], finanziert mit spanischem Geld und aus dem EU-Nothilfe-Treuhandfonds.
Eine an der Inbetriebnahme beteiligte Quelle erklärt, es handle sich trotz offizieller Bezeichnung »offensichtlich um Haftanstalten«. In ihnen werden wohl auch Menschen landen, die mithilfe der Frontex-Luftaufklärung via Kap Verde abgefangen werden.