nd-aktuell.de / 17.11.2025 / Berlin

Asog-Reform: Ein Schritt vom Überwachungsstaat entfernt

Kurz vor Verabschiedung der Novelle: Schwarz-Rot verschärft Gesetzesnovelle nochmals, Opposition übt scharfe Kritik

Jule Meier
Big Brother in Berlin: Schwarz-Rot will das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht zeitgemäß machen – auf Kosten der Grundrechte.
Big Brother in Berlin: Schwarz-Rot will das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsrecht zeitgemäß machen – auf Kosten der Grundrechte.

Schwarz-Rot will aufrüsten. CDU und SPD planen, das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog) zu verschärfen. Heimlicher, mit mehr Befugnissen, an mehreren Orten und mithilfe von Überwachungstechnologie sollen Polizei- und Sicherheitsbehörden künftig arbeiten dürfen. Seit dem Sommer liegt der 736-seitige Gesetzestext zur Asog-Reform vor. Am 4. Dezember wird er zum zweiten Mal im Abgeordnetenhaus gelesen – dann könnte das Gesetz sogleich beschlossen werden. Montag war es deshalb noch ein letztes Mal Thema im Innenausschuss. Die Koalition hat den Entwurf dazu um 170 weitere Seiten erweitert.

Bereits 2023 wurde Asog unter Schwarz-Rot reformiert. Die erneute Reform ist jedoch deutlich schärfer. Sie sieht unter anderem die dauerhafte Videoüberwachung mit automatisierter Verhaltensmustererkennung an »kriminalitätsbelasteten Orten« (kbO)[1] vor. Zudem soll es Polizei und Sicherheitsbehörden erlaubt sein, biometrische Abgleiche von Fotos im Internet mit personenbezogenen Daten zu machen. Außerdem sollen sie heimlich Wohnungen betreten dürfen, um Staatstrojaner auf dem Handy oder dem PC zu installieren. Die Polizei soll zudem ohne Wissen der Betroffenen in Funkzellen angefallene Telekommunikationsverkehrsdaten abfragen dürfen. Wer, wann, wo mit wem kommuniziert oder zu kommunizieren versucht hat, einschließlich der Rufnummern, soll demnach abfragbar sein.

Besonders heikel: Die Eingriffsschwelle für die Überwachungsmaßnahmen wird in der Asog-Novelle an vielen Stellen drastisch heruntergesetzt[2]. Das heißt, sie kann nicht nur Menschen treffen, die eine Straftat begangen haben, sondern auch jene, von denen die Polizei davon ausgeht, dass sie eine begehen werden. Sie kann zudem auch Menschen treffen, die Kontakt mit ihnen hatten. Wegen dieser massiven Einschnitte in die Grundrechte erntet die Reform von Berliner Datenschutzbeauftragten, Jurist*innen und der Opposition starke Kritik.

Man müsse im Innenausschuss wohl noch mal einen Lektürekreis zu Anis Amri veranstalten, sagt Niklas Schrader, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion, im Ausschuss. Zuvor war der Name des Attentäters auf dem Weihnachtsmarkt vom Breitscheidplatz 2016 mehrfach gefallen. Unter anderem hatte der innenpolitische Sprecher der CDU, Burkhardt Dregger, Amri als Beispiel aufgegriffen. Die Asog-Reform nannte er die »Lehre aus dem Anschlag«.

Schrader stellte hingegen richtig: Amris Telefon wurde bereits vor dem Anschlag ausgelesen, Landeskriminalämter aus drei Ländern, der Berliner Verfassungsschutz sowie der Bundesverfassungsschutz waren schon mit ihm befasst. »Trotzdem wurde die Observation eingestellt. Das war das Problem«, so Schrader.

Auch das Argument seitens Dreggers, man müsse der Polizei nun endlich erlauben, was Journalist*innen bereits tun, entkräftet Schrader. Dregger bezieht sich damit auf den biometrischen Abgleich zur Gesichtserkennung im Netz mithilfe illegaler Suchmaschinen wie PimEyes. Ein Journalist hatte Fotos von Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette damit gefunden, die maßgeblich zur Fahndung von Klette führten. »Schräg« nennte Schrader den Vergleich zwischen Journalist*innen und Polizeibeamten.

»Wir fordern das Abgeordnetenhaus auf, das Gesetzgebungsverfahren auszusetzen.«

Offener Brief verschiedener Jurist*innen

Von einer »Verschlimmbesserung« spricht der innenpolitische Sprecher der Grünen Vasili Franco indes in Bezug auf die weiteren 170 Seiten, die die Koalition am vergangenen Freitag an die Abgeordneten versandt hatte. »Jeder in Berlin kann zur Gefahr gemacht werden«, so Franco zur Erweiterung des Entwurfs. Demnach können biometrische Daten auch von Personen ausgelesen werden, die Kontakt zu Tatverdächtigen hatten. Zudem soll jegliche Großveranstaltung videoüberwacht werden. »Das ist nicht, wie ich mir eine Demokratie vorstelle«, sagt Franco.

Schrader kritisiert zudem den bisherigen Umgang mit den Einschätzungen von Sachverständigen zur Asog-Reform. Unter anderem hatten der Jurist David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte sowie die Datenschutzbeauftragte Meike Kamp im Ausschuss gesprochen. »Die grundsätzlichen Kritikpunkte der Anzuhörenden wurden aber nicht aufgegriffen«, so Schrader zu »nd«. »SPD und CDU in Berlin oder CSU in Bayern, das nimmt sich in der Innenpolitik mittlerweile nichts mehr.«

In einem Offenen Brief vom 28. Oktober an das Abgeordnetenhaus hatten der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), das Grundrechtekomitee, die Humanistische Union sowie zwei weitere Jurist*innenverbände den Stopp der Asog-Novelle gefordert. »Sie ist nicht bloß ein Update polizeilicher Befugnisse«[3], heißt es im Brief zur Reform. »Das Diskriminierungsrisiko ist alarmierend. Es ist zu befürchten, dass unüberwachter Aufenthalt in weiten Teilen Berlins unmöglich wird.«

»Wir fordern Sie auf, das Gesetzgebungsverfahren auszusetzen, um eine öffentliche Debatte und fachliche Auseinandersetzung zu ermöglichen, die dem Gewicht der geplanten Grundrechtseingriffe gerecht wird«, so die Unterzeichnenden ans Abgeordnetenhaus. Auch die Rote Hilfe unterstützt den Brief: »Jedes neue Polizeigesetz, das in den letzten Jahren in der BRD verabschiedet wurde, hat Grundrechte weiter eingeschränkt und sich zum massiven Nachteil von Bürger*innen und politischen Bewegungen ausgewirkt.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195051.friedrichshain-rigaer-strasse-berlins-ruhigstes-gefahrengebiet.html?sstr=asog
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194376.innere-sicherheit-freifahrtschein-fuer-massenueberwachung-in-berlin.html?sstr=asog
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195512.innere-sicherheit-asog-reform-afd-wirdrs-danken.html?sstr=asog