nd-aktuell.de / 18.11.2025 / Kultur

Viele Rätsel bleiben …

Ein Gespräch mit der Biografin Andrea Paluch über Ruth Berlau auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin

Stefan Berkholz
Ruth Berlau, mehr als nur Brechts Geliebte und Ghostautorin
Ruth Berlau, mehr als nur Brechts Geliebte und Ghostautorin

Oooooch, das ist aber schmucklos«, seufzt Andrea Paluch, als wir den Grabstein von Ruth Berlau auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin erreicht haben. »In der letzten Ecke«, beklagt die Autorin, »und keine Jahreszahlen, nichts. Das ist wirklich traurig, das ist so anonym, so lieblos.«

Wir haben uns auf dem Friedhof an der Chausseestraße verabredet. Rechts, hinter der Mauer, das Brecht-Haus, in dem der Dramatiker bis zu seinem Tod im Sommer 1956 lebte, heute Archiv, Museum und Veranstaltungsraum. An der Friedhofsmauer links lang geht es zur großzügigen Doppelgrabfläche von Bertolt Brecht und Helene Weigel-Brecht, Ehrengrabstätte seit ihrer Anlage. Quer diagonal durch den Friedhof gelangt man ans andere Ende und findet dort das Grab einer von Brechts Liebhaberinnen, Mitarbeiterin, die aber eigenständige Journalistin war, Schauspielerin und Regisseurin. »Ruth Berlau-Lund«, steht in großen Buchstaben auf dem Grabstein, darunter in kleinerer Schrift: »Michel«.

»Michel ist der Sohn, den sie mit Brecht hatte«, weiß Paluch, »zu früh geboren, kurz nach der Geburt gestorben.« Der Tod des Kindes habe Berlau ziemlich gebrochen, danach sei sie »schwierig« geworden. Das war im Herbst 1944. Die Dänin war Brecht ins US-amerikanische Exil gefolgt, nach dem Krieg folgte sie ihm nach Ostberlin. Von Brecht wird sie dort im Stich gelassen, bleibt nach seinem Tod im August 1956 fast zwanzig Jahre lang unglücklich und alkoholkrank zurück. Im Januar 1974 stirbt sie, erstickt in einem Krankenzimmer der Charité, schreibt Paluch, »der Grund: ein Zigarettenbrand«.

In Dänemark hatte die 27-jährige Ruth Berlau den acht Jahre älteren Dichter im Svendborger Exil aufgesucht, um mit ihm über seine Arbeiten zu sprechen. Sie ist Schauspielerin, hatte die Anna in Brechts »Trommeln in der Nacht« gespielt, ist neugierig auf den Schöpfer, fährt die fünf Stunden von Kopenhagen kurzerhand ins entfernte Svendborg. Daraus wird eine unglückliche Liaison, ein Schülerin-Lehrer-Verhältnis, in dem die liebende Frau auf der Strecke bleibt.

Warum diese verzehrende Liebe zu diesem Mann? Brecht sah nicht gut aus. Und stank nach Zigarre.

Paluch wundert sich im Buch darüber, warum Ruth Berlau nach Brechts Tod nicht zurück in ihre Heimat nach Dänemark gegangen sei und so unglücklich und gemieden von der Brecht-Gemeinde über siebzehn Jahre in Ostberlin verharrt. »Ruth Berlau hat Hausverbot im Theater bekommen«, erzählt Paluch, »sie wurde komplett isoliert, geächtet, sie vereinsamte.«

»Seit ihrer mehrmonatigen Reise nach Moskau, 1930, war sie doch aber überzeugte Kommunistin, wie Sie schreiben«, entgegne ich, »sie glaubte an die bessere Welt im Osten. Warum sollte sie in den kapitalistischen Westen übersiedeln?« Aber sie habe ihre Mutter in Dänemark besucht, erzählt Paluch, ihr Ex-Mann Robert Lund habe sie in Ostberlin besucht, der Kontakt zu ihrer Heimat sei nie abgerissen. Warum also?

Und warum diese verzehrende Liebe zu diesem Mann aus Augsburg? Ja, der sah nicht gut aus, sagt Paluch, der hatte eine hohe Fistelstimme, rollte bayerisch das »r«. Und hat »wahrscheinlich gestunken«, vermutet die Biografin und verzieht das Gesicht: Zigarrenraucher. Auf Fotos sieht man ihn dann und wann mit dem Knösel im Mund.

Paluch nennt ihn im Buch nur »B.«, um ihn auch damit etwas ins Abseits zu stellen. Also was war dran an diesem Mann? Ja, irgendein Charisma, rätselt sie, »in der Zeit wurde immer mit diesem komischen Charisma gearbeitet, das Männer hatten. Das wurde denen so zugeschrieben, ob sie es hatten oder nicht. Iss ja so ein bisschen aus der Mode, gibt’s ja heute nicht mehr, oder? Dass man sagt, der ist toll, der hat ’ne Ausstrahlung«.

»Wie bitte?!«, frage ich. Was ist denn mit Robert Habeck? Ihrem Ehemann. Dem wird doch auch Charisma nachgesagt. »Ja, aber anders«, lacht Paluch entwaffnend und fügt strahlend hinzu: »Bei dem ist es ja nicht grundlos, meine ich.«

In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts hängten sich Jungs eine Gitarre um, sage ich, damit sie an Mädchen rankamen. »Das hat der auch gemacht!«, platzt es aus Paluch heraus. Sie meint jetzt Brecht. »Der hat immer als Erstes seine Gitarre rausgeholt und da irgendeine Moritat geträllert. Und wenn Helene Weigel das gehört hat, dann hat sie schon rot gesehen, die jeweilige Frau aber, die das zum ersten Mal gehört hat, war verzaubert.« Mann – Frau, ein ewiges Mysterium. Viele Rätsel bleiben …

Paluch wolle mit ihrem Buch dem Rätsel dieser Frau im Schatten von Brecht auf die Spur kommen. Dafür ist sie die Fahrradtour von Kopenhagen nach Paris nachgefahren, wie sie die zweiundzwanzigjährige Ruth Berlau 1928 unternahm. Irritierend ist, dass in den kursiv gesetzten Zitaten, von Erlebnissen während einer solchen nicht in der ersten Person, sondern in der dritten berichtet wird. Ja, die habe sie nacherzählt, antwortet Paluch. Warum? Weil der Verlag die Rechte an den Originaltexten von Ruth Berlau nicht erhalten konnte. Ein kurzer Hinweis im Buch hätte den verwirrten Leser aufgeklärt.

Der Verlag bezeichnet das Buch als »Roman«, ein nicht unüblicher Trick von Editionshäusern, um höhere Verkaufszahlen zu erzielen. Sie verstehe ihr Buch eher als erzählendes Sachbuch, »eine Biografie mit fiktiven Anekdoten«, erläutert Paluch. Sie wollte damit aussprechen, »dass diese Frau eine tolle Frau ist und kein Klotz am Bein«. Tatsächlich ist ihr Buch eine sehr persönliche, mitunter vielleicht zu persönliche Annäherung mit etwas zu viel Mutmaßungen an eine weitgehend verkannte Frau im Schatten eines großen Dichters. Es ist jedenfalls ein lesenswertes Buch, rechtzeitig zum 120. Geburtstag der Ruth Berlau sowie dem 70. Todestag von Bert Brecht im kommenden Jahr vorgelegt.

»Und Dänemark?«, frage ich am Ende unserer Begegnung auf einem der berühmtesten Friedhöfe in Berlin. Ja, das Land ist ihr vertraut, antwortet Paluch und setzt vielsagend hinzu: Als Exil könne sie sich das gut vorstellen.

Andrea Paluch: Ruth Berlau. Alles für einen. Ellert & Richter Verlag, 160 S., geb., 19,95 €.