Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
gängige Stereotypen besagen und langjährige Erfahrungswerte bestätigen, dass Amerikaner Waffen, Jesus und Fast Food lieben. Aber ich habe in neun Jahren in diesem Land noch andere Obsessionen entdeckt. Erstens: Sonnenschutz. Ja, der LSF muss sein, vor allem im heißen Texas, aber auch, wenn man sich den ganzen Tag im Haus aufhält? (Viele tragen drinnen ein Baseball-Cap, weil die Sonnenstrahlen wohl, wie Jesu Gnade, durchs Dach dringen können.) Dann soll man sich alle zwei Stunden wieder eincremen (ich erinnere mich noch an eine Zeit, als es hieß, alle vier), ebenso im Winter.
Wenn ich meine Tochter morgens vor der Schule einschmiere, wer übernimmt die restlichen drei Male bis zum Schulschluss? Sie selbst bestimmt nicht. Und auch wenn ich sie mit Creme und Mütze abhole, befürchte ich, dass sie bald eine trendy Laserbehandlung gegen Sonnenschäden fordert. Im Netz gibt es haufenweise Videos von Hautärztinnen, die die zehnfache Lichtschutzfaktor-Applikation am Tag nicht nur empfehlen, sondern auch noch das darauffolgende zehnfache Überschminken vorführen. Das abendliche Abschminken muss einem hinduistischen Purifikationsritual im Ganges gleichen.
Zweite Obsession: Proteine. Sie lauern überall, auch dort, wo man sie am wenigsten erwartet, wie bei Starbucks, wo mit proteingeboosteter Milch geworben wird, die den Latte-Eiweißgehalt, wozu auch immer, auf ganze 36 Gramm Eiweiß pro Portion treibt. Wem das nicht genügt, der kann sich mit eiweißreichen Doritos-Tortilla-Chips und ebenso angereicherten Pralinen namens »Nomnoms« über Wasser halten. Apropos Wasser. Auch das gibt es jetzt mit Protein, und zwar, indem man seinem (purifizierten, denn Amis hassen Mineralien) Wässerchen für 45 Dollar pro 450 Gramm ein pinkes Pulver beigibt, das verspricht, den Muskelaufbau zu fördern.
Für diejenigen, die mehr Muckis wollen, gibt es die Kardashians. Khloe, das nebst Mutti am härtesten durchoperierte Kardashian-Clan-Mitglied, hat ein Protein-Popcorn herausgebracht, das den idiotischen Namen Khloud trägt. Ob es, wie beworben, dabei hilft, Fitness- und Eiweiß-Goals zu erreichen, ist fraglich, aber es kann das Urteilsvermögen khlouden.
Kommen wir nun zur dritten Ami-Obsession, den Allergien. Egal, was sich bei einem im HNO-Bereich abspielt, es müssen Allergien sein, sagen Ärzte, Krankenschwestern, Freunde, Bekannte, Fremde. Husten? Allergie. Schnupfen? Allergie. Halsschmerzen? Allergie. Frau redet zu viel? Allergie! Die Lösung: Antihistaminika, die es in vielen Varianten und für alle Altersgruppen gibt. Texas ist aufgrund von Klima und Flora tatsächlich für besonders ausgeprägte saisonale Allergien bekannt, man sagt, jeder Neuankömmling entwickle früher oder später eine gegen Baum- oder Beifußpollen. Es ist überraschend, dass ich gegen diese Allergien genauso resistent bin wie gegen die Eiweißpropaganda – obschon ich mich brav habe testen lassen und immer mal wieder auf Anraten Antiallergika-Pillen probiere, die nichts bringen.
Dafür habe ich eine andere Allergie, die nicht Texas geschuldet ist, sondern meinem Lebensstil – kontaktbedingte Dermatitis, ausgelöst durch jahrelangen Kosmetikmissbrauch. Und nein, nicht durch Lichtschutzfaktor-Cremes, sondern Wasserstoffperoxid, UV-Nagelgel und permanente Wimpern (die To-Do-Liste einer jeden Slawin in den 2010ern). Während mein deutscher Hautarzt mich mit »weniger Schminken« abspeiste, ein Vorschlag, den ich ignorierte, wie die Kardashians einen Produktionsstopp für ihre unzähligen Gammelwaren ignorieren würden, wurde ich in den USA umfassend getestet, diagnostiziert und ausgestattet: Mit einer App, in der ich Produkte, die keine Allergie bei mir auslösen, finden und natürlich auch erwerben kann. Die Macher der App verdienen auch noch an den Käufen mit. Das Ganze wäre sonst unamerikanisch. Die Umstellung auf antiallergisch ist müßig: Viele der Produkte sind widerlich, weil öko und parfumfrei, meine neue Sonnencreme ist dickflüssig und hinterlässt einen weißen Film. Wenn’s den LSF nur als Pille gäbe! Und die Proteine gleich mit.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195593.talke-talks-proteine-haben-prio.html