Die Weltklimakonferenz findet erstmals in Brasilien statt.[1] Wie bewerten Sie die Rolle des Gastgebers der COP 30?
Für mich ist das sehr widersprüchlich. Brasilien vermarktet sich hier als weltweiter Vorreiter im Klimaschutz, gleichzeitig respektiert die Regierung von Präsident Lula die Rechte von uns Indigenen nicht. Sie verabschiedet Gesetze, die uns schaden. Sie versucht Flüsse zu privatisieren und genehmigt Ölbohrungen im Amazonasgebiet. Sie treibt neue Wasserkraftwerke voran und erlaubt Bergbauprojekte. Sie lässt der Agrarindustrie – und damit auch der Abholzung – immer mehr Raum.
Wofür genau setzen Sie sich auf der COP ein?
Im Kern geht es um unsere Rechte und unsere indigenen Gebiete. Es ist nötig, dass sie als solche ausgewiesen werden und unsere Lebensweise damit geschützt wird. Wir haben schon viel erreicht, aber es gibt immer wieder neue Herausforderungen. Hier auf der COP fordere ich von der Regierung, dass sie uns Indigene – und damit auch das Klima – schützt und nicht immer wieder nur falsche, scheinheilige Lösungen verabschiedet. Die reichen Länder sind verantwortlich und sie müssen auch Verantwortung übernehmen.
Sie rufen unter dem Motto »Wir sind die Lösung« dazu auf, indigene Lebensweisen stärker in den Klimaschutz einzubeziehen. Was genau meint das?
Wir haben eine enge Beziehung zum Land und zum Wasser, mit Austausch und gegenseitigem Respekt. Das würde auch weltweit im Klimaschutz helfen. Wir müssen für die Natur kämpfen, für unseren Wald und gegen Abholzung. Außerdem muss unser Wissen anerkannt und in politische Prozesse eingebunden werden, denn wir wissen, wie man die Natur schützt.
Vergangene Woche hat eine Gruppe von Indigenen versucht, durch die Sicherheitskontrollen in die Verhandlungsräume der Klimakonferenz einzudringen. [2]Eine andere Gruppe blockierte über Stunden den Eingang. Denken Sie, solche Formen von Protest sind richtig?
Diese Proteste sind extrem notwendig. Diskussionen sind ebenfalls notwendig, aber wir reden schon so lange und werden nicht gehört. Wir haben es satt, immer diplomatisch sein zu müssen. Wir werden als radikal bezeichnet, als gewalttätig. Dabei sind wir es, die immer wieder Gewalt erfahren. In unseren Aktionen lassen wir uns von unseren Vorfahren leiten, wir machen das, wozu sie uns auffordern.
Was heißt das in Bezug auf die Klimakonferenz?
Die brasilianische Regierung redet davon, dass COP 30 die Klimakonferenz mit der größten indigenen Beteiligung überhaupt ist. Aber was für eine Art von Beteiligung? Wir Indigene wollen nicht nur teilnehmen, damit die Regierung zeigen kann, was für ein tolles, diverses Land Brasilien ist. Wir wollen am Verhandlungstisch sitzen, Entscheidungen treffen.
Wie spüren Sie als Indigene die Auswirkungen der Erderwärmung?
Die Flüsse trocknen aus, daher wird es schwieriger für uns zu fischen. Es wird noch heißer – viele von uns haben deshalb jetzt schon beim Anbau von Gemüse, Obst und Getreide in unseren Gärten und Beeten Probleme. Früher hat uns die Natur gut geleitet. Wir wussten, wann wir säen und ernten müssen. Jetzt ist das aus dem Gleichgewicht geraten. Außerdem nehmen auch die Waldbrände immer mehr zu. Hinzu kommen dann noch die Auswirkungen der Infrastrukturprojekte und der Agrarindustrie.
Wie sehen die aus?
Es wird zum Beispiel viel abgeholzt – für den Sojaanbau oder auch für Rinderhaltung. Ein Hafen am Fluss Tapajos wurde auf einem heiligen Friedhof von Indigenen gebaut, Menschen wurden aus Quilombolas (Gemeinden mit Nachfahren von Sklavinnen und Sklaven, d.Red.) vertrieben. Im Bundesstaat Mato Grosso wird eine Zugstrecke mitten durch indigenes Land gebaut – ohne dass es dafür einen Konsultationsprozess gab. Es gibt so viele Probleme.
Haben Sie Hoffnung, dass die Klimakonferenz hier in Belém bei all diesen Herausforderungen helfen kann?
Wir bekommen auf jeden Fall Aufmerksamkeit. Bisher konnten wir den Konferenzleiter sowie Umweltministerin Marina Silva und Sônia Guajajara, die Ministerin für indigene Völker, treffen – und sie haben uns angehört. Uns wurde versprochen, dass es noch mal Gespräche über die Privatisierung unserer Flüsse mit uns geben soll – das hätte natürlich vorher passieren müssen, das ist rechtlich so geregelt.
Sie persönlich kämpfen vor allem mit juristischen Mitteln …
Ich habe genau deshalb Jura studiert, damit ich solche Sachverhalte für mein Volk und meine Verwandten einschätzen kann. Früher wussten viele Gemeinden und Indigene gar nicht, was ihre Rechte sind und worauf sie sich berufen können. Das ist oft immer noch so. Aber wir ändern das. Wir schicken Leute an die Universitäten, damit wir uns auch rechtlich besser verteidigen können.
Nachdem Brasilien vier Jahre lang vom rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro regiert wurde, gibt es seit knapp drei Jahren wieder eine eher linksgerichtete Regierung. Präsident Lula hat sich bei seiner Amtseinführung für Indigene eingesetzt und zum ersten Mal eine Ministerin für indigene Völker ernannt. Hat sich nicht auch viel verbessert?
Das stimmt schon – einige gute Entscheidungen hat die Regierung für uns getroffen. Das Ministerium für indigene Völker ist sicher eine davon, aber vieles ist auch Symbolpolitik. Dieses Ministerium hat kaum politische Macht und auch wenig Finanzmittel. Sônia Guajajara kämpft für uns, aber allein kann sie auch nicht dafür sorgen, dass überall in unseren indigenen Gebieten öffentliche Leistungen ankommen. Unter Bolsonaro wussten wir wenigstens, es wird schlimm, wir können von ihm nichts erwarten, das hat er von Anfang an gesagt. Lula hat uns Unterstützung zugesagt – und bricht jetzt immer wieder seine Versprechen. Der Faschismus ist jetzt nicht mehr an der Macht, eine linke Regierung ist das aber auch nicht. Für uns ist die Situation immer noch schwierig.
Haben Sie dafür Beispiele?
Es gibt immer wieder Tote in Landkonflikten um indigene Gebiete. Ich persönlich habe Todesdrohungen bekommen, immer wieder erhalte ich Hassnachrichten. Ich will mich von diesen Drohungen nicht einschüchtern lassen, sondern mache weiter.
Wie geht Ihr Kampf nach der Klimakonferenz weiter?
Das wissen wir noch nicht so genau. Aber ich bin mir sicher, unsere Vorfahren werden uns leiten und uns die nächsten Schritte aufzeigen. Aber ich mache mir auch Sorgen: Zuletzt gab es wegen der COP viel Aufmerksamkeit für uns und unsere Themen. Wenn diese danach wieder weg ist, könnte manches wieder schwieriger werden.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195622.cop-wir-haben-es-satt-immer-diplomatisch-zu-sein.html