nd-aktuell.de / 21.11.2025 / Sport

Philipp Raimund sieht »böses Blut« beim Weltcup in Lillehammer

Das deutsche Team startet mit seinem neuen Vorspringer in den Olympia-Winter, in dem viele neue Regeln gelten

Lars Becker
Flug mit gutem Omen: Philipp Raimund war der Sommerkönig im Skispringen
Flug mit gutem Omen: Philipp Raimund war der Sommerkönig im Skispringen

Horst Hüttel würde den Skandal um den Anzug-Betrug der Norweger[1] am liebsten abhaken – der Weltverband Fis sowieso. Deutschlands Skisprung-Sportdirektor erklärt es vor dem Start in den Olympiawinter so: »Die Vorkommnisse bei der WM in Trondheim[2] hat die Fis auf einer juristischen Basis aufgearbeitet und entsprechend Sanktionen und Strafen verhängt. Für uns ist die Situation damit geklärt und wir richten den Blick nun nach vorne.«

Also haben sich nach den lächerlichen Sanktionen gegen das norwegische Team um Weltmeister Marius Lindvik[3], der ebenfalls mit einem für bessere Flugeigenschaften manipulierten Anzug gesprungen war, alle wieder lieb im Skisprung-Zirkus? Beileibe nicht, zumal der Weltcupauftakt an diesem Freitag ausgerechnet im norwegischen Lillehammer über die Bühne geht. Ein »bisschen böses Blut« sei immer noch da, bekennt der neue deutsche Vorflieger Philipp Raimund: »Letztlich hat die gesamte Sportart darunter gelitten, das Skispringen wurde in Verruf gebracht. Verziehen habe ich ihnen noch nicht.«

Neue Regeln

Damit sprach der 25 Jahre alte Gesamtsieger des Sommer-Grand-Prix aus dem deustchen Team[4] für den Großteil der Skisprungszene, die sich härtere Sanktionen gewünscht hätte. Immerhin werden zumindest von Hüttel »die neuen Kontrollmechanismen der Fis im Bereich der Ausrüstung positiv bewertet«. Allerdings bleibt die Skepsis bei vielen. »Man muss das Reglement knallhart durchsetzen – deshalb muss man Strafen nicht nur ankündigen, sondern auch ein paar ›Blitzer‹ aufstellen. Nach jedem Springen sollten die Anzüge der Top Sechs an den wichtigsten drei Messstellen überprüft werden«, fordert Olympiasieger und TV-Experte Martin Schmitt. Ansonsten sei auch in diesem Winter mit einer ähnlichen Entwicklung wie im vergangenen zu rechnen, als die Anzüge im Saisonverlauf vor allem im für den Flug wichtigen Schrittbereich immer größer wurden.

Nach dem Betrugsskandal hat der umstrittene Materialkontrolleur Christian Kathol den Posten beim Weltverband geräumt und wurde durch den ehemaligen österreichischen Topspringer und Materialservice-Experten Mathias Hafele ersetzt. Zudem wurden die Messprozesse und Regeln vereinfacht. Und nun darf jeder Springer nur noch neun Anzüge pro Saison verwenden, in der vergangenen Saison waren es noch zwölf, zuvor bis zu 50.

»Wir wollen die ehrlichen Athleten unterstützen. Es gibt keine Toleranz mehr«, sagt Sandro Pertile, Skisprungchef der Fis, und fügt hinzu: »Außerdem führen wir Gelbe und Rote Karten ein – wie im Fußball.« Bedeutet konkret: Wird ein nicht regelkonformer Anzug festgestellt, gibt es Gelb und es folgt für die Sportler und Sportlerinnen die Disqualifikation für den jeweiligen Wettkampf. Beim zweiten Vergehen und der darauf folgenden Roten Karte gibt es eine längere Sperre. »Dann ist man disqualifiziert für die restlichen Wettbewerbe des jeweiligen Wochenendes und das nächste Wochenende«, so Pertile. Eine Geldstrafe ist (bisher) nicht geplant.

Sommerkönig und Winterthron

Die Anzüge sind auch wieder etwas enger geworden, das kommt absprungstarken Fliegern entgegen. Zum Beispiel dem Wahl-Allgäuer Philipp Raimund, der sich im Sommer doch etwas überraschend den Gesamtsieg beim Grand Prix gesichert hat. Kann der Sommerkönig seinen Thron auch im nun beginnenden Olympiawinter verteidigen? Blickt man zurück in die Geschichte, ist ein solcher Erfolg durchaus ein gutes Omen. Als letztem Deutschen war das Andreas Wellinger vor zwölf Jahren gelungen: Nach dem ebenso überraschenden Sieg im Sommer feierte der damalige Teenager im Winter nicht nur seinen ersten Weltcupsieg, sondern wurde mit dem deutschen Team auch Olympiasieger von Sotschi.

Raimund wartet noch auf seinen ersten Einzelsieg im Weltcup, eine Medaille bei einem Großereignis hat er auch noch nicht gewonnen. Das soll sich unbedingt ändern. Das nötige Selbstbewusstsein dafür bringt er mit: »Ich weiß, dass ich als stärkster Sommerspringer in den Winter reingehe – das ist ein Supergefühl.« Und er legt verbal noch was drauf: Richtig realisieren werde er seinen Sommer-Erfolg erst, »wenn ich das Ding auch im Winter gewinne«.

Ob die Österreicher um Jan Hörl oder der Japaner Ryoyu Kobayashi als Hauptkonkurrenten deshalb vor ihm zittern? »Das hoffe ich doch«, antwortet Raimund mit einem Grinsen: »Aber das sind auch keine Nasenbohrer.« Wohl wahr, vor allem bei der prestigeträchtigen Vierschanzentournee waren Team Austria und Kobayashi in den letzten Jahren eine Klasse besser als die deutschen Flieger.

Unbelastet zum Unmöglichen

Raimund ist allerdings einer, der große Bühnen und die Öffentlichkeit liebt. Das könnte ihm bei der Vierschanzentournee entgegenkommen, wo Deutschland seit dem Triumph von Sven Hannawald vor 24 Jahren auf einen Gesamtsieg wartet. Kann ausgerechnet der Newcomer das Unmögliche schaffen? Dafür spricht, dass Österreichs Skisprunglegende Toni Innauer schon vor Jahren die Prognose aufstellte, dass nur ein neuer und von vergangenen Pleiten unbelasteter deutscher Skispringer dem riesigen Druck standhalten könne.

Die Hoffnungen sind also groß vor diesem Winter, in dem neben der Tournee und Olympia auf den Schanzen in Predazzo auch noch Skiflug-Weltmeisterschaften im heimischen Oberstdorf für Vorspringer Raimund und das deutsche Team anstehen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189713.wm-in-trondheim-skisprung-skandal-wohl-groesser-als-vermutet.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189543.nordische-ski-wm-fis-direktorin-spitz-norweger-feiern-in-einem-anderen-stil.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1189773.skispringen-sven-hannawald-wahnsinn-die-riskieren-unsere-sportart.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190101.skispringen-markus-eisenbichler-hoert-in-planica-auf-ich-bin-vogelfrei.html