nd-aktuell.de / 19.11.2007 / Berlin / Seite 15

»Die Kuh muss jetzt vom Eis«

Berlins GDL-Chef hofft auf Einigung im Bahn-Tarifstreit / Sympathien für Streikende

Bernd Kammer

Heute soll sich entscheiden, ob auf Bahnkunden möglicherweise noch mehr Ungemach zukommt als an den vergangenen Tagen. Berlins Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft der Deutschen Lokführer (GDL), Hans-Joachim Kernchen, ist »vorsichtig optimistisch«, dass ein Dauerstreik noch abgewendet werden kann. Es gebe Signale, dass sich der Bahnvorstand bewegt. »Andernfalls muss er sich im Klaren sein, dass ein unbefristeter Streik droht. Die Geduld unserer Mitglieder ist zu Ende.«

Den Streik der vergangenen Tage wertete Kernchen als großen Erfolg. In der Region seien rund 90 Prozent der GDL-Mitglieder, die Dienst gehabt hätten, nicht angetreten. Der Gütertransport sei völlig zum Erliegen gekommen. Dass am vergangenen Freitag Bahn-Transportvorstand Norbert Bensel das Streiklokal des Güterbahnhofs Seddin besuchte und mit den Lokführern redete, mache Hoffnung, dass sich die Bahn von der »Politik des Nein-Sagens« verabschiede und sich den Leuten zuwende.

Bestärkt fühlt sich die Gewerkschaft durch eine Umfrage, wonach 87 Prozent der Berliner es gut finden, dass sich die GDLer wehren, und 61 Prozent Verständnis für den Streik haben. »Wir spüren eine breite Solidarität«, so Kernchen. Man habe entsprechende Schreiben von vielen gewerkschaftlichen Basisorganisationen erhalten, so von der Charité, der BVG-Tochter Berlin Transport oder aus dem Opel-Werk in Rüsselsheim. Auch viele bei den anderen beiden Bahngewerkschaften organisierte Mitarbeiter würden den Streikenden Mut machen und zum Durchhalten auffordern »Die Zustimmung ist höher als zu Beginn des Streiks«, sagt Kernchen.

Auch Politikwissenschaftler Peter Grottian findet das erstaunlich, hat aber eine Erklärung parat. »Viele sehen sich in einer ähnlichen Lage wie die Lokführer. Sie bekommen keine Lohnerhöhungen, der Aufschwung geht an ihnen vorbei.« Und dann hat eine kleine Gewerkschaft den Mut, sich für ihre Mitglieder so einzusetzen. Er sieht die GDL in ihrer Kampfbereitschaft sogar in einer Vorbildfunktion für andere Gewerkschaften, beispielsweise bei den anstehenden Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst.

Allerdings warnt Grottian, der heute auch auf einer Solidaritätskundgebung für die Streikenden (17 Uhr, Hauptbahnhof) sprechen wird, vor einem Kippen der Stimmung, je länger der Streik dauert. Die GDL sollte deshalb die Gunst der Stunde nutzen und selbst einen Tarifvorschlag machen. Auf Bahnchef Mehdorn zu warten, habe keinen Zweck. Grottian könnte sich eine Art provisorischen eigenständigen Tarifvertrag für die GDL vorstellen mit einer Revisionsklausel von einem Jahr. In dieser Zeit könnten sich die drei Bahngewerkschaften wieder aufeinander zu bewegen.

Vorschläge mache man schon seit Jahren, und von Provisorien hält Kernchen gar nichts. Dies habe schon mal nicht funktioniert, als das Fahrpersonal 18 zusätzliche Schichten ohne Lohnausgleich leisten sollte und nur die GDL dies zunächst ablehnte. »Wir brauchen keine Provisorien mehr, die Kuh muss jetzt vom Eis.«