Das Bundeskriminalamt (BKA) stellte am Freitag das neue Bundeslagebild zu häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt[1] gegen Frauen und Mädchen für 2024 vor. Demnach stiegen die polizeilich erfassten Opferzahlen auf einen neuen Höchststand und belegen eine hohe und weiter wachsende Gefahr für Frauen und Mädchen[2].
Insbesondere im sozialen Nahbereich ist die Gefahr groß. 2024 registrierte das BKA insgesamt 265 942 Opfer häuslicher Gewalt. Das ist ein Anstieg von 3,8 Prozent gegenüber dem Höchststand vom Vorjahr. Häusliche Gewalt umfasst Partnerschafts- und innerfamiliäre Gewalt. Sie macht fast ein Viertel (24,5 Prozent) aller Delikte in der polizeilichen Kriminalstatistik aus. Mehr als zwei Drittel (69,4 Prozent) der häuslichen Gewaltfälle geschahen laut Lagebericht in der Wohnung oder im Haus.
BKA-Präsident Holger Münch betonte bei der Vorstellung, diese Zahlen zeigten nur die Spitze des Eisbergs. Erste Ergebnisse der Opferbefragung »Lebenssituation, Sicherheit und Belastung in Deutschland« (Lesubia) belegen: Nur ein Bruchteil der erlebten Gewalt wird angezeigt. Bei Partnerschaftsgewalt liegt die Anzeigequote unter fünf Prozent.
Mädchen und Frauen sind mit 70,4 Prozent weiterhin die Hauptbetroffenen häuslicher Gewalt. Im Bereich Partnerschaftsgewalt trifft es Frauen sogar noch stärker: Sie machen 79,3 Prozent der Betroffenen aus. Männer sind mit 77,7 Prozent die deutlich überrepräsentierte Tätergruppe. In der innerfamiliären Gewalt waren Kinder mit 36,7 Prozent am stärksten betroffen[3].
Ein hoher Anstieg zeigt sich zudem bei politisch motivierter Kriminalität gegen Frauen – dabei wird das Tatmotiv berücksichtigt. 2024 erfassten die Behörden 558 entsprechende Straftaten. Das entspricht einem Anstieg von 73,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Knapp die Hälfte davon waren Beleidigungen. Bei den 39 Gewaltdelikten handelte es sich überwiegend um Körperverletzungen; auch ein versuchtes Tötungsdelikt wurde erfasst.
Auch digitale Gewalt nahm im vergangenen Jahr enorm zu: Die Zahl der weiblichen Betroffenen stieg um sechs Prozent auf 18 224. Darunter fallen Cyberstalking oder Online-Bedrohungen. Bei digitaler Partnerschaftsgewalt stieg die Zahl der Betroffenen um 10,9 Prozent auf 4876, bei innerfamiliärer Gewalt sogar um 20,4 Prozent auf 2027 Frauen.
Bundesfrauen- und Familienministerin Karin Prien (CDU) betonte am Freitag bei der Vorstellung des Berichts das Recht jeder Frau auf ein Leben »ohne Angst und ohne Gewalt«. Sie will sich für gezielte Prävention und ein starkes Hilfsnetzwerk einsetzen. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte die Einführung der Fußfessel[4] an, um die Bewegungsfreiheit der Täter einzuschränken und Betroffenen mehr Sicherheit zu bieten. Zudem will er K.-o.-Tropfen als Waffe einstufen, um eine strengere Strafverfolgung zu ermöglichen.
Die Grünen-Abgeordneten Irene Mihalic und Ulle Schauws begrüßen die Maßnahmen, bezeichnen sie jedoch als unzureichend. Die Fußfessel sei »keine flächendeckende Lösung«. Sie sehen in den Zahlen einen »wachsenden Antifeminismus und Frauenhass[5]« und fordern umfassenden Gewaltschutz nach Vorgaben der Istanbul-Konvention.
Die Konvention ist der bislang umfassendste Menschenrechtsvertrag gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Sie trat 2018 in Deutschland in Kraft. Ihre Umsetzung verpflichtet staatliche Stellen zu weitreichenden Maßnahmen in Prävention, Intervention, Schutz und Sanktionierung. Sie schließt explizit alle Frauen und Mädchen ein, auch intergeschlechtliche und trans Frauen und Mädchen.
Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) fordert die konsequente Umsetzung der Konvention. Es kritisiert, dass Gewaltprävention und -schutz in Deutschland »weder ausreichend priorisiert noch strategisch umgesetzt« werden. Fehlende Infrastruktur und Gelder verhindern jährlich die Aufnahme von bis zu 15 000 Frauen in Schutzeinrichtungen.
Müserref Tanriverdi, Leiterin der Stelle Geschlechtsspezifische Gewalt des DIMR, betont: »Die erschütternden Zahlen zeigen, wie dringend die Bundesregierung handeln muss.« Vor allem Frauen mit Behinderungen, Migrant*innen, Asylsuchende, wohnungslose Frauen und Frauen ohne Papiere haben es laut DIMR schwer, Schutz vor Gewalt einzufordern. Sie bräuchten ein »umfassendes, niedrigschwelliges und diskriminierungsfreies Hilfesystem«. Neben mangelnden verpflichtenden Fortbildungen zu geschlechtsspezifischer Gewalt fehle es außerdem an Einrichtungen für die Arbeit mit häuslich gewaltsamen Tätern.
Kathrin Gebel, Abgeordnete der Bundestagsfraktion Die Linke, sieht darin ein Staatsversagen. Eine Politik, die es versäumt, in Schutz, Beratung und Täterarbeit zu investieren, nehme »weitere Femizide billigend in Kauf«, unterstreicht sie. Als Femizid wird die Tötung einer Frau oder eines Mädchens aufgrund ihres Geschlechts bezeichnet.
Laut BKA-Statistik wurden im vergangenen Jahr 132 Frauen und 24 Männer im Kontext von Partnerschaftsgewalt durch ihren (Ex-)Partner getötet[6]. Der Anteil weiblicher Opfer liegt damit bei 80,6 Prozent.
Die Bundesfrauengruppe der Gewerkschaft der Polizei (GdP) forderte einen eigenen Straftatbestand für Femizide, »um sie bundeseinheitlich zu definieren und Standards in der Kriminalitätsbekämpfung zu ermöglichen«, erklärte die Vorsitzende der Bundesfrauengruppe, Erika Krause-Schöne am Freitag.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195637.patriarchat-gewalt-gegen-frauen-nimmt-weiter-zu.html