Ab Dienstag findet in Mainz zum 20. Mal der »Deutsche Fleischkongress« statt, ein »Top-Event für die deutsche Fleischwirtschaft«. Sie organisieren einen Tag zuvor einen Gegenkongress[1]. Warum?
Beim Fleischkongress dreht sich alles um Gewinnmaximierung, getarnt durch Greenwashing[2] und vermeintliche Selbstansprüche der Branche an Nachhaltigkeit und sogenanntes »Tierwohl«. Ein reguläres Ticket kostet 1699 Euro – das zeigt schon, dass an einer kritischen Öffentlichkeit kein Interesse besteht.
Was erwartet Besucher*innen des Gegenkongresses?
Während sich die Fleischindustrie zur Optimierung ihrer Profite trifft, öffnen wir einen Raum, der zeigt, was dieses System wirklich bedeutet – für Tiere, für Menschen und für den Planeten[3].
In Vorträgen beleuchten wir die Tierindustrie als das, was sie ist: ein globales System der Ausbeutung, das auf kapitalistischen, kolonialen und speziesistischen Strukturen beruht.
Was genau sind speziesistische Strukturen?
Speziesismus ist ein Herrschaftssystem, das rechtfertigt, Tiere auszubeuten und zu töten – obwohl wir wissen, dass diese ebenso wie Menschen in der Lage sind zu fühlen und zu leiden. Auf dem Gegenkongress soll es auch darum gehen, was solche tierethischen Fragen mit Nachhaltigkeit und Kapitalismus zu tun haben.
Der Kongress wirbt auch damit, dass es dort um Tierethik geht. Der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes besucht den Fleischkongress und nicht Ihre Veranstaltung. Wie bewerten Sie das?
Wir bezweifeln, dass dort echte Tierethik verhandelt wird, denn ansonsten würde ein Ausstieg aus der Tierindustrie gesucht werden. Vermutlich geht es um minimale Tierwohlverbesserungen, also Änderungen in der Haltung und Schlachtung. Doch Investitionen in neue Ställe oder technische Anpassungen binden Landwirt*innen für Jahrzehnte – und stabilisieren genau das System, aus dem wir aussteigen wollen.
Neben Animal Rebellion, Gemeinsam gegen die Tierindustrie und dem Kolibri-Kollektiv gehören zum Bündnis gegen den Deutschen Fleischkongress auch Naturschutz-NGOs wie Greenpeace oder der BUND. Ist das gesamte Bündnis für eine tierfreie Landwirtschaft?
Unser gemeinsamer Konsens lautet: Der Fleischkongress muss raus aus Mainz. Ansonsten gibt es im Bündnis unterschiedliche Positionen. Einige Gruppen streben einen vollständigen Ausstieg aus der Tierindustrie an. Andere wollen die konventionelle Landwirtschaft umkrempeln und arbeiten dafür auch mit Tierhalterinnen zusammen. Für uns bei Animal Rebellion ist klar: Wir brauchen Landwirt*innen für Ernährungssicherheit – aber keine Tierindustrie.
Kritiker*innen warnen, gerade eine solche tierfreie Landwirtschaft gefährde die Ernährungssicherheit.
Das Gegenteil ist der Fall: Es ist der Status quo, der die Ernährungssicherheit gefährdet. Menschen im globalen Süden leiden Hunger, der Regenwald wird für Futtermittel abgeholzt und Land wird zur Beweidung geraubt. Die Tierindustrie bedroht unsere Lebensgrundlagen. Hinzu kommt: Tiere sind ein ineffizienter Zwischenschritt in der Lebensmittelproduktion. Über 80 Prozent der globalen landwirtschaftlichen Nutzfläche werden für tierische Produkte genutzt, die aber weniger als 40 Prozent der globalen Proteine und weniger als 20 Prozent der globalen Kalorien liefern. Menschen brauchen keine tierischen Produkte, um gesund leben zu können. Eine pflanzliche Landwirtschaft wäre ökologisch sinnvoller und stabiler – gerade in der Klimakrise.
Nun ist die Lobby der konventionellen Landwirtschaft besonders mächtig. Bereits die Bewegung für eine bäuerliche – aber nicht gänzlich tierfreie – Landwirtschaft hat es schwer, Gehör zu finden. Wie wollen Sie Veränderung bewirken?
Gemeinsam gegen die Tierindustrie hat sich 2020 genauer mit dieser Lobby befasst. Einer Studie von damals zufolge fördert Deutschland die Tierindustrie mit mehr als 13 Milliarden Euro jährlich. Wir wissen, dass die Forderung nach einem rein pflanzlichen Ernährungssystem kaum in den Parlamenten vertreten ist. Der Weg in eine gewaltärmere Zukunft findet auch außerparlamentarisch statt, wir setzen auf öffentlichkeitswirksame und informierende Aktionen wie den Gegenkongress.
Neben dem Gegenkongress sind weitere Aktionen geplant. Was passiert in der Stadt?
Am Dienstag gibt es in Mainz mehrere Veranstaltungen. Unter anderem wird Animal Rights Watch neben einer Aktion an einer Fußgängerampel eine Mahnwache abhalten und ab 17 Uhr eine Demonstration mit Lichterkette organisieren. Zudem plant Greenpeace eine kreative Protestaktion auf dem Jockel-Fuchs-Platz.
Im letzten Jahr sorgte ein Die-In für Aufmerksamkeit, dabei stellen sich Teilnehmende symbolisch tot. Wie hat die Stadt reagiert?
In Mainz gibt es schon länger viel Kritik am Fleischkongress. Unsere Petition mit beinahe 30 000 Unterschriften wurde vom Stadtrat ignoriert. Offiziell heißt es: Man könne wegen des Kontrahierungszwangs nichts tun, wonach die Stadt verpflichtet sei, den Vertrag einzuhalten. Und natürlich bringt der Kongress Geld. Aber die Stadt hat schon andere Veranstaltungen verhindert – wenn sie wirklich wollte, könnte sie auch hier handeln.