nd-aktuell.de / 24.11.2025 / Kultur

Stille oder Verzweiflung

Zwölf mittelbekannte Musiker*innen interpretieren die besten Songs von Jason Molina neu

Benjamin Moldenhauer
Gitarrensounds wie ein Geäst, ein Schlagzeug, das höchstens sachte klopft, eine Stimme von sanfter Dringlichkeit: das ist und war die Musik von Jason Molina.
Gitarrensounds wie ein Geäst, ein Schlagzeug, das höchstens sachte klopft, eine Stimme von sanfter Dringlichkeit: das ist und war die Musik von Jason Molina.

Jason Molina hat einige der schönsten fragilen Songs in der Geschichte des Indiefolks in die Welt geschubst. Parallel zu den anders klingenden, aber seelenverwandten Bands Low, den Red House Painters und dem Singer/Songwriter Elliott Smith erfand der Gitarrist und Sänger eine äußerst brüchige, gleichwohl insistierende Variante von Zeitlupenmusik. Wer sich von seinen Bands Songs: Ohia und Magnolia Electric Co. einmal hat berühren lassen, wird sie nicht mehr los.

Die Gitarre klingt wie ein Geäst, das Schlagzeug klopft eher, als dass es schlagen würde. An einen Bass kann ich mich nicht erinnern, aber es gibt ihn wohl. Molina, der 2013 starb, sang seine auf den ersten Blick einfachen, beim genauen Hören dann aber sehr genau gearbeiteten Texte mit einer hellen, ruhenden Stimme, die keine Eile hatte. Der Titelsong des in meinen Ohren schönsten Songs: Ohia-Albums »Didn’t It Rain« beginnt so: »No matter how dark the storm gets overhead / They say someone’s watching from the calm at the edge«. Das ist dann wahrscheinlich als Selbstverortung zu verstehen. Allerdings eine, die sich jenseits der Kunst am Ende nicht durchhalten ließ.

Jetzt hat das Label Run For Cover ein Tribute-Album veröffentlicht. »I Will Run to You« versammelt zwölf Musiker*innen, die Molinas Songs aus nahezu allen Schaffensphasen spielen (mit Schwerpunkt auf der Musik von Songs: Ohia und damit auf den Folksongs, nicht denen der eher rockigen Magnolia Electric Co.). Musiker*innen, die hier an einen der größten unbekannten Songschreiber des laufenden 21. Jahrhunderts erinnern (wobei es »größter« im Zusammenhang mit einem Sound, der das Schwache, Verletzliche lieben will, eher nicht so trifft), sind von einer Ausnahme abgesehen durchweg eher mittelbekannt. Was irgendwie dann auch wieder passt: kein Indiefolk-Superstar-Schaulaufen, sondern Menschen, die im Kleinen Lieder zusammenbasteln, wegen der Sache selbst.

Letztere klingen hier von Anfang bis Ende toll und dem Gegenstand, also dem künstlerischen Lebenswerk Jason Molinas, angemessen. MJ Lenderman, die Ausnahme, weil solo und als Mitglied der Band Wednesday sehr bekannt, spielt ein elektrifiziertes Cover von »Just Be Simple«, im Original auf dem wundervollen Album »Lioness« zu finden. Ein schöner Opener, einfach weil das Stück einen Kern von Molinas Songwriting enthält: Introspektion bei gleichzeitiger sanfter Dringlichkeit.

Überhaupt sind alle Cover nahe am Sound der Originale. Das todessehnsüchtige Liebeslied »Lioness« klingt in der behutsamen Bearbeitung von Hand Habits, der Band der Sängerin Meg Duffy, abgeklärter – auch weil sich die stille Verzweiflung, die in der Stimme Jason Molinas mitschwingt, eigentlich nicht reproduzieren lässt. Es läuft auf entweder den einen oder anderen Pol hinaus: Stille oder Verzweiflung.

Zum Verzweiflungspol reist die Slowcore-Band Horse Jumper of Love mit ihrer Version des Songs »Blue Factory Flame«. Sänger Dimitri Giannopoulos schreit die zentrale Zeile »Paralyzed by the emptiness«, als ginge es ums nackte Leben; das hätte Jason Molina, im Gegensatz zu eigentlich allem anderen, nicht übers Herz gebracht. Horse Jumper of Love legen damit den verborgenen Unterstrom der bewusst latent apathisch gehaltenen Musik des im Alter von gerade einmal 39 Jahren an seiner Alkoholkrankheit verstorbenen Jason Molina frei.

Various Artists: I Will Swim to You: A Tribute to Jason Molina (Run for Cover/Cargo)