nd-aktuell.de / 24.11.2025 / Berlin

Gewaltschutz in Berlin: Abkehr vom Sparhammer?

SPD kündigt an, alle Kürzungen im Gewaltschutz für Frauen zurückzunehmen

Jule Meier
Beschäftigte von sozialen Einrichtungen demonstrieren gegen schwarz-rote Kürzungspolitik.
Beschäftigte von sozialen Einrichtungen demonstrieren gegen schwarz-rote Kürzungspolitik.

Seit Jahren müssen Beschäftigte aus dem Gewaltschutz beobachten, dass mehr und mehr Frauen in Berlin von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind. Zusätzlich traf den chronisch unterfinanzierten Bereich jüngst der schwarz-rote Sparhammer: 2,574 Millionen Euro plante die Koalition zuletzt im Gleichstellungsetat 2025/26 einzusparen. Damit wäre jedes Berliner Projekt, das Frauen vor geschlechtsspezifischer Gewalt schützt, von Kürzungen bedroht.

Doch die Sprecherin für Gleichstellung der SPD-Fraktion Mirjam Golm, teilt »nd« nun mit, dass ihre Fraktion die Kürzungen zurücknehmen wolle. »Wir sind uns als SPD-Fraktion unserer Verantwortung bewusst, weshalb der Schutz für von Gewalt betroffene Mädchen und Frauen für uns uneingeschränkte Priorität hat«, sagt Golm. Deshalb habe man sich dafür eingesetzt, dass alle im Haushaltsentwurf des Senats vorgesehenen Kürzungen im Bereich »Gewaltschutz von Frauen« vollständig zurückgenommen werden. »Die Änderungsanträge dazu werden am 3. Dezember im Rahmen der ›Restelesung‹ im Hauptausschuss beschlossen«, so Golm. Verabschiedet wird der Haushalt durch das Abgeordnetenhaus am 18. Dezember.

Aktuelle Zahlen des Bundeskriminalamtes unterstreichen, wie wichtig der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist: 2024 wurden deutschlandweit 265 942 Menschen Opfer häuslicher Gewalt. Das ist ein neuer Höchststand[1]. Fast jeden Tag wird in Deutschland ein Femizid begangen. Als Femizid bezeichnet man die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Meistens sind Partner oder Ex-Partner die Täter.

»Die SPD hat sich dafür eingesetzt, dass alle im Haushaltsentwurf vorgesehenen Kürzungen im Bereich Gewaltschutz von Frauen vollständig zurückgenommen worden sind.«

Mirjam Golm 
Sprecherin für Gleichstellung der SPD-Fraktion

»Schwarz-Rot muss die millionenschweren Kürzungen bei Gewaltschutzprojekten zurücknehmen. Eine Fahne vor dem Roten Rathaus hilft keiner Frau, wenn Beratungsstellen ihr Angebot kürzen müssen«, teilte die frauenpolitische Sprecherin der Grünen Bahar Haghanipour mit. Der Senat hisst an diesem Dienstag, am Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, eine Flagge vor dem Roten Rathaus. Die Grünen wollen besonders die Prävention stärken: »Sie muss in den Schulen beginnen und bis zur Täterarbeit bei erwachsenen Männern reichen.«

Angesichts der angekündigten Kürzungen der Koalition hat sich das Berliner Frauen-Netzwerk (BFN) mit einem Brandbrief an den Senat gewandt. »Die Folge sind Versorgungslücken und längere Wartezeiten auf Termine, die besonders Frauen in Not treffen«, heißt es darin in Bezug auf die Folgen der Kürzungspolitik. »Ohne verlässliche Finanzierung drohen Projektauflösungen, Personalmangel und ständige Unsicherheit, was auch die Arbeitsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter*innen untergräbt«, heißt es ferner.

Der Verein Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen[2] (BIG) organisiert an diesem Dienstag vor dem Brandenburger Tor eine Kundgebung unter dem Motto »Kürzt ihr uns zu Tode?! – Lasst uns gewaltfrei leben[3]!«. Zusammen in einem Bündnis mit weiteren Vertreter*innen der von Kürzungen bedrohten Projekte fordert der Verein, dass jede von Gewalt betroffene Frau noch am selben Tag Schutz und Sicherheit in Berlin bekommt. Es fehlten derzeit 486 Schutzplätze für gewaltbetroffene Frauen. Beratungsstellen müssten täglich Betroffene abweisen.

Die Kundgebung macht zudem auf die gestiegene Zahl an Femiziden aufmerksam. Demnach seien in Berlin 29 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden – doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Eine Anfrage der Abgeordneten Bahar Haghanipours, die »nd« exklusiv vorliegt, offenbart, dass der Senat bisher keine Haltung zu der Frage entwickelt hat, ob Femizide als eigener Straftatbestand eingeführt werden sollen. Die Senatsverwaltung für Justiz verweist in ihrer Antwort auf die »Ergebnisse der laufenden Forschung sowie die Erfahrungen und Empfehlungen aus der Praxis«. Haghanipour plädiert dafür, Femizide sowie andere geschlechtsspezifisch motivierte Tötungen[4] ausdrücklich unter dem Mordmerkmal »niedrige Beweggründe« zu fassen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195637.patriarchat-gewalt-gegen-frauen-nimmt-weiter-zu.html?sstr=täterarbeit
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195570.spanisches-modell-gewaltschutz-und-fussfessel-hubig-versteht-kein-spanisch.html?sstr=täterarbeit
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194571.haeusliche-gewalt-haeusliche-gewalt-ist-kein-privates-problem.html?sstr=gewaltschutz
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194940.gewaltschutzgesetz-wie-taeterarbeit-in-deutschland-fuss-fassen-kann.html?sstr=gewaltschutz