nd-aktuell.de / 24.11.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Todesfalle Partnerschaft

Neue Studie zeigt: Die meisten Femizide begehen Männer am Ende einer Beziehung

Ruta Dreyer
Durch die Arbeit unzähliger Feminist*innen ist der Begriff »Femizid« mittlerweile im öffentlichen Diskurs angekommen.
Durch die Arbeit unzähliger Feminist*innen ist der Begriff »Femizid« mittlerweile im öffentlichen Diskurs angekommen.

»Leichen von Mutter und Tochter in Kühltruhen gefunden« – erst vergangene Woche machte dieser Fall in Österreich Schlagzeilen. Tatverdächtige sind ein ehemaliger Freund und Arbeitskollege der Mutter sowie dessen Bruder. Auch in Deutschland erhielten in den letzten Jahren Frauentötungen[1] durch Männer aus deren nahem sozialen Umfeld vermehrt mediale Aufmerksamkeit. Oft handelt es sich um Femizide[2]: Tötungen, bei denen zwischen der Tat und dem Geschlecht des Opfers ein Zusammenhang besteht. Wissenschaftler*innen haben nun die erste deutschlandweite Studie zu diesem Thema vorgestellt. Sie zeigt: Femizide[3] ereignen sich am häufigsten im Rahmen einer Partnerschaft. »Es ging meist um Besitzdenken oder Eifersucht der Täter«, sagte Tillmann Bartsch vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen, der die Studie mit geleitet hat.

Die Studie führten das Institut für Kriminologie der Universität Tübingen und das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen durch. Die Autor*innen untersuchten 292 Fälle, die als versuchte oder vollendete Tötungen von Frauen im Jahr 2017 in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) in fünf Bundesländern eingingen. Auf diese entfiel ein Drittel der bundesweit polizeilich registrierten Tötungsdelikte an Frauen. Insgesamt besahen die beteiligten Expert*innen aus Kriminologie, Rechtswissenschaft, Soziologie und Psychologie mehr als 50 000 Seiten an Archivmaterial. Von den 292 Fällen erwiesen sich 197 als tatsächlich versucht oder vollendet und von diesen klassifizierten sie 133, also etwa zwei Drittel, als Femizide.

Da bislang keine Einigung darüber besteht, was genau ein Femizid ist, haben die Autor*innen der Studie sich zu Beginn um eine Definition bemüht. Diese ist zweistufig: Unter einem weiten sozio-strukturellen Femizidbegriff verstehen sie jene Tötungen, bei denen die gesellschaftliche Stellung von Frauen charakterisierend ist. Diese mache sie für bestimmte Arten von Tötungsdelikten besonders vulnerabel. Beispielhaft ist, wenn die Tötung der Frau in einem Kontext geschieht, der von ihrer sozialen geschlechtlichen Rolle geprägt ist – wie als Mutter oder in einer Partnerschaft. Beim engen motivbezogenen Femizid liegt ein sexistisches Motiv der Tatperson vor. Dies trifft auf 74 der 133 als Femizide bezeichneten Tötungen zu. Insgesamt ziehen sich die geschlechtsspezifischen Tötungen quer durch alle Gesellschaftsschichten.

Ein erschreckendes Ergebnis: Ungefähr 81 Prozent der versuchten und vollendeten Femizide ereigneten sich in oder nach einer heterosexuellen Partnerschaft. Genau jener soziale Raum, der vermeintlich Sicherheit geben soll, entpuppt sich für die Frauen als tödliche Falle. Knapp drei Viertel der Partnerschaftstötungen klassifizierten die Wissenschaftler*innen als Tötungen, bei denen Trennung oder Treuebruch vorlagen oder die Tatperson dies befürchtete. Bei den meisten Tätern ließen sich sexistische Einstellungen oder ein traditionelles Verständnis von Geschlechterrollen feststellen. Gesellschaftlich weniger bekannt sind alters- und krankheitsbezogene Femizid-Suizide, von denen elf Fälle in der Stichprobe existierten: ältere Männer, die ihrer schwerkranken Ehefrau und danach sich selbst das Leben nahmen.

Als Risikofaktoren analysieren die Autor*innen eine schlechte sozioökonomische Lage, psychische Erkrankungen sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Ersteres kann ein möglicher Grund dafür sein, dass Menschen mit Migrationserfahrung in einigen Fallgruppen überproportional vertreten sind. Dies gilt sowohl für die Opfer- als auch für die Täterseite. Ein schlechterer Zugang für migrantische Frauen zu Frauenhäusern könnte ein weiterer Grund sein. Die Autor*innen appellieren an die Politik zu gewährleisten, dass auch Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus staatliche Hilfsstrukturen in Anspruch nehmen können.

Genau jener soziale Raum, der vermeintlich Sicherheit geben soll, entpuppt sich für die Frauen als tödliche Falle.

Insgesamt versteht die Studie Geschlecht vor allem als eine soziale Kategorie, die Menschen bestimmte Positionen und Rollen zuteilt. Frauen sollen sich eher »einfühlsam« verhalten und Care-Arbeit leisten, also den Haushalt machen und die – primär emotionalen – Bedürfnisse der Familie erfüllen. Männer sollen »stark« sein und die Familie durch Erwerbsarbeit ernähren. Diese Sozialisationsmuster würden Gewalt von Männern begünstigen.

Daraus leiten die Autor*innen ab, dass ein Handlungsbedarf vor allem auf gesamtgesellschaftlicher Ebene besteht. Sexistische Einstellungen sollten bekämpft und Stereotype hinterfragt werden. Das Aufbrechen von Rollenbildern selbst sei als Gewaltprävention zu verstehen, betont Sabine Maier, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Tübingen und Ko-Autorin der Studie. Viele Männer könnten nicht mit Kränkungen umgehen. Ein Punkt großer geschlechtlicher Ungleichheit in Deutschland sei die Aufteilung und Abwertung von Care-Arbeit, die aufgehoben werden müsse, führt sie weiter aus. Mit Sorge blicken die Autor*innen auf das Erstarken autoritärer politischer Kräfte im Westen, was traditionelle Geschlechterrollen beflügelt.

Als konkretere Maßnahmen fordert die Studie, die Politik solle Menschen mit psychischen Erkrankungen mehr unterstützen und Schutzeinrichtungen ausbauen. Sozioökonomische Benachteiligung solle bekämpft und die Polizei für die Thematik sensibilisiert werden. Die Wissenschaftler*innen bezweifeln die Wirksamkeit höherer Strafen. Der Tübinger Jurist und Kriminologe Florian Rebmann meint: »Täter gucken vorher nicht ins Strafgesetzbuch, um zu sehen, wie hoch die Strafe ist.«

Zudem bezweifeln die Autor*innen, dass die polizeiliche Kriminalstatistik in der Lage sei, Femizide zu erfassen. Erst vergangene Woche hatte das Bundeskriminalamt bei der Vorlage neuer Zahlen zu häuslicher Gewalt[4] erklärt, über die Daten der PKS können Tötungsdelikte an Frauen »bislang nicht als ›Femizide‹ interpretiert werden«. Es fehlten ausreichende Informationen zu Tatmotiven. Diese zusätzliche in die PKS aufzunehmen, halten die Autor*innen der Femizid-Studie für zu komplex. Stattdessen fordern sie, einen »German Homicide Monitor« nach dem gleichnamigen europäischen Vorbild einzuführen. Dieser würde die Tötungskriminalität bundesweit aufzeichnen und analysieren.

Maier betont: »Femizide sind nur ein Ausschnitt.« Patriarchale Gewalt sei vielfältiger und größer. »Die Gleichberechtigung der Geschlechter muss auch in der Gesellschaft und in den Köpfen ihrer Mitglieder ankommen und verwirklicht werden«, heißt es im Forschungskurzbericht.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1184199.gewalt-gegen-frauen-feminizide-in-berlin-der-systemische-frauenmord.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192185.gewalt-gegen-frauen-femizide-in-berlin-kein-drama-sondern-mord.html?sstr=femizid
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1139133.femizide-jeden-zweiten-tag.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195637.patriarchat-gewalt-gegen-frauen-nimmt-weiter-zu.html