»Dieses Jahr hat Brandenburg schon 10 000 Arbeitsplätze verloren und nächstes Jahr sieht es nicht besser aus«, sagt Katja Karger. Die DGB-Landesbezirkschefin sagt es am Montag bei einer Betriebsrätekonferenz in der Potsdamer Staatskanzlei. Die weltweite Wirtschaftskrise und Fehler im Management der Unternehmen seien dafür verantwortlich.
In Fürstenwalde will der US-Konzern Goodyear[1] bis 2027 die Produktion von Autoreifen beenden. Im Mercedes-Benz-Werk in Ludwigsfelde[2] soll 2030 die Montage der Transporter vom Typ Sprinter auslaufen. Es ist unklar, ob und wie es dort weitergehen wird.
Auch die ZF Getriebe GmbH in Brandenburg/Havel geht schweren Zeiten entgegen. 1300 Beschäftigte arbeiten in diesem Zulieferbetrieb der Automobilbranche. Aber wie lange noch? »Wir sind 100 Prozent abhängig vom Verbrenner«, erklärt Betriebsrätin Sabrina Selle am Montag bei der Konferenz in der Staatskanzlei. Seit Jahren zeichnet sich immer deutlicher ab, das Autos mit Verbrennungsmotoren ein Auslaufmodell[3] sind und früher oder später höchstwahrscheinlich komplett von solchen mit Elektroantrieb verdrängt werden. Und nun?
Die Belegschaft hat 600 Ideen für die Zukunft gesammelt. Die Auswertung läuft noch. Betriebsrätin Selle ist 30 Jahre alt und denkt an die Kollegen, die noch jünger sind als sie selbst. Es ist ihr wichtig, dass neben den Arbeitsplätzen auch die Ausbildungsplätze erhalten bleiben und die Lehrlinge in Berufen ausgebildet werden, die Zukunft haben. Es werde immer gesagt, die ganz jungen Leute könnten ja wegziehen. Aber auch junge Menschen haben Freunde und Familie, die sie nicht verlassen wollen, berichtet Selle.
DGB-Chefin Karger kennt die ZF Getriebe GmbH und denkt, bei dem Können der Beschäftigten müsse doch eine Lösung gelingen. Das glaubt Karger auch in anderen Fällen. Aber manchmal stoße die Gewerkschaft auch an Grenzen, bedauert sie.
Für die ZF Getriebe GmbH ist jedoch längst nicht alles verloren. Sie könnte neue Kunden finden, bespielsweise in der Luftfahrtindustrie, erwähnt Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), der an der Sache dran ist. Er sichert weitere Unterstützung zu. Wenn die Zeit von Braunkohle, Erdöl und Erdgas vorbei ist, dann braucht es bezahlbaren Strom. Windenergie könne für fünf bis sieben Cent die Kilowattstunde erzeugt werden. Doch niemand könne sie im Norden Deutschlands in Säcke verstauen und nach Süden schleppen, sagt Woidke. Bayern, das sich gegen Windräder sperrt, liegt Woidke durchaus am Herzen. Er hat dort drei Jahre seines Lebens verbracht. Doch seine Heimat Brandenburg liegt dem Ministerpräsidenten mehr am Herzen. Wenn er früh aufsteht, kann er den Wasserdampf aus den Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde sehen. Windräder gibt es ebenfalls in Brandenburg, sehr viele sogar. Das Bundesland soll beweisen, dass Klimaschutz und Wirtschaft zusammengehen, nur dann werde das gute Beispiel weltweit kopiert, ist Woidke überzeugt.
Der mögliche Verlust ihrer Arbeitsplätze verunsichert Beschäftigte der Lausitzer Energie AG (Leag), der die Tagebaue und Braunkohlekraftwerke gehören, die spätestens 2038 allesamt stillgelegt und abgeschaltet sein sollen. »Wenn du den Menschen verlierst auf diesem Weg, dann hast du den Strukturwandel verloren«, warnt Melanie Jannaschk, Betriebsrätin bei der Leag-Hauptverwaltung Kraftwerke. »Angst um den Arbeitsplatz ist das Schlimmste, was du haben kannst«, meint sie.
5000 Kollegen machen sich Sorgen, am meisten diejenigen in Jänschwalde[4], wo das Kohlekraftwerk bereits 2028 vom Netz geht, während das in Schwarze Pumpe erst 2038 dran ist. Im Idealfall sind die betroffenen Arbeiter in einem Alter, in dem sie in Rente gehen können. Jüngere müssen umschulen und vielleicht die Leag verlassen. Mit jedem einzelnen werde persönlich über seine Perspektiven gesprochen, erklärt Jannaschk.
Perspektiven gibt es im Gesundheitswesen. Angesichts einer älter werdenden Bevölkerung ist das ein Sektor, in dem zusätzliche Jobs entstehen. Doch diese Jobs müssen anständig bezahlt sein. Für die Arbeit in der Psychiatrie in Eberswalde gab es mal Tariflöhne. Dann wurde dieses Krankenhaus vor 20 Jahren privatisiert, wie damals auch die drei anderen landeseigenen psychiatrischen Krankenhäuser in Teupitz, Lübben und Brandenburg/Havel. Die Löhne wurden vom Tarif des öffentlichen Dienstes abgekoppelt und blieben hinter diesem zurück.
Betriebsrat Marco Stropp hat vor fünf Jahren recherchiert, dass seine Martin Gropius Krankenhaus GmbH in Eberswalde damals schlechter zahlte als jede andere Klinik im Land Brandenburg. Doch dann wurden die Gehälter schrittweise angehoben. Sie orientieren sich mittlerweile wieder an den Lohntabellen für den öffentlichen Dienst. Dabei geholfen hat der Zusammenhalt. Waren vor vier Jahren nur 82 Beschäftigte des Krankenhauses bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi organisiert und damit weniger als zehn Prozent der Belegschaft, so sei der Organisierungsgrad seitdem um 401 Prozent gestiegen, freut sich Stropp.