Geschätzt 840 Millionen Frauen – etwa jede dritte Frau ab 15 Jahren – erleben mindestens einmal in ihrem Leben körperliche und/oder sexuelle Gewalt. Das zeigt ein kürzlich veröffentlichter globaler Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Fortschritte im Kampf gegen diese »Menschenrechts- und öffentliche Gesundheitskrise« seien in den vergangenen zwei Jahrzehnten »schmerzhaft langsam« gewesen.
Als Gründe nennt die WHO-Studie zunehmende militärische Konflikte, Kürzungen bei Präventions- und Schutzprogrammen sowie tief verankerte kulturelle Normen. »Ungleiche Machtverhältnisse und kulturelle Normen männlicher Privilegien zu beseitigen, ist von zentraler Bedeutung«, sagte Avni Amin, WHO-Expertin für sexuelle und reproduktive Gesundheit, bei der Veröffentlichung in Genf.
Die meisten Betroffenen sind Frauen[1], wobei Mädchen, ältere Frauen, Frauen mit Behinderungen sowie Transfrauen als besonders gefährdet gelten. Auch Jungen erleben sexuelle Gewalt, vorrangig im häuslichen Kontext. Femizide stellen die extremste Form der Gewalt gegen Frauen dar. Im Jahr 2023 wurden weltweit täglich durchschnittlich 140 Frauen und Mädchen getötet.
Der allergrößte Teil der Täter sind Männer[2], meist aktuelle oder ehemalige Beziehungspartner. Die WHO-Studie zeigt: Allein in den letzten zwölf Monaten waren weltweit rund 316 Millionen Frauen und Mädchen physischer und/oder sexueller Partnergewalt ausgesetzt. Mehr als jede fünfte Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren, die in einer Beziehung lebte, hat bereits Partnergewalt erlebt.
Erstmals berücksichtigt der WHO-Bericht umfassende Schätzungen zu sexueller Gewalt durch Nicht-Partner. Demnach waren 263 Millionen Frauen (8,2 Prozent aller Frauen ab 15 Jahren weltweit) mindestens einmal Opfer sexueller Gewalt durch jemanden außerhalb einer Partnerschaft. Täter können männliche Verwandte, Freunde, Bekannte, Autoritätspersonen oder Fremde sein.
Die Dunkelziffer liegt weitaus höher und variiert regional stark. »Über sexuelle Gewalterfahrungen zu sprechen, ist nach wie vor stigmatisiert«, erklärte WHO-Datenexpertin Lynnmarie Sardinha. »Die tatsächliche Prävalenz dieser Gewalt ist viel höher, da die Meldung oft Stigmatisierung, negative Folgen und Täter-Opfer-Umkehr mit sich bringt.« Die Daten beruhen auf Schätzungen, in Konfliktregionen sind die statistischen Unsicherheitsintervalle größer.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist besonders in Krisengebieten, ärmeren Ländern oder vom Klimawandel stark betroffenen Regionen häufig. Im Bürgerkriegsgebiet Sudan[3] etwa ist mehr als jede zweite Frau (15 bis 49 Jahre) von physischer und/oder sexueller Gewalt betroffen. Dieser Wert liegt ungefähr doppelt so hoch wie der weltweit geschätzte Durchschnitt von 25,8 Prozent.
Derzeit leben laut UN 676 Millionen Frauen in einem Umkreis von 50 Kilometern um tödliche Konflikte – so viele wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Die Zahl der zivilen Opfer unter Frauen und Kindern hat sich im Vergleich zum vorangegangenen Zweijahreszeitraum vervierfacht. Konfliktbedingte sexuelle Gewalt nahm in zwei Jahren um 87 Prozent zu.
Obwohl die Wirksamkeit von Präventionsstrategien gut belegt ist, sinken die Mittel der öffentlich geförderten Entwicklungshilfe in diesem Bereich. Bis 2022 wurden lediglich 0,2 Prozent der gesamten öffentlichen Gelder für Präventionsprogramme gegen Gewalt an Frauen und Mädchen bereitgestellt. Im Fünfjahreszeitraum von 2018 bis 2022 wurden sie um ganze 13 Prozent gekürzt.
»Angesichts von Kürzungen bei Entwicklungsgeldern müssen Staaten verstärkt inländische Gelder für Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen bereitstellen«, mahnte WHO-Expertin Amin. Allerdings stehen die öffentlichen Haushalte vieler Staaten im globalen Süden aufgrund hoher Verschuldungsquoten unter Druck. Die Mittelkürzungen der USA und anderer Staaten für globale Hilfsprogramme dürften die Entwicklung weiter verschlimmern.