nd-aktuell.de / 24.11.2025 / Politik

Erinnern in Mölln – jetzt erst recht

Gedenken an die Opfer des rassistischen Brandanschlags vor 33 Jahren

Peter Nowak
Jedes Jahr erinnern in Mölln Hunderte an die Opfer der Neonazis, die 1992 zwei von Migranten bewohnte Häuser in Brand setzen.
Jedes Jahr erinnern in Mölln Hunderte an die Opfer der Neonazis, die 1992 zwei von Migranten bewohnte Häuser in Brand setzen.

Das Haus in der Möllner Mühlenstraße 9 fällt sofort auf: Es ist weiß gestrichen, rechts neben der Eingangstür ist eine Tafel angebracht. Dort ist zu lesen, dass das Gebäude seit 1999 Bahide-Arslan-Haus heißt und dass die Namensgeberin hier am 23. November 1992 Opfer eines rassistischen Mordanschlags[1] geworden ist – zusammen mit ihrer Enkelin Yeliz Arslan und deren Cousine Ayşe Yılmaz, die damals zehn und 14 Jahre alt waren. Neun weitere Personen wurden bei den Anschlägen, die auch ein weiteres Haus in der Ratzeburger Straße trafen, schwer verletzt.

Der Brandanschlag fiel in eine Zeit, in der in ganz Deutschland Jagd auf Migrant*innen und Linke gemacht wurde. Auch 33 Jahre später ist er unvergessen. Das wurde auch am Sonntag deutlich. Am Nachmittag sammelten sich rund um das Bahide-Arslan-Haus rund 200 Menschen. Bürgermeister Ingo Schäper (parteilos) und andere Vertreter der Stadt legten ebenso Kränze nieder wie Mitarbeiter des türkischen Konsulats und der Grünen-Bundestagsfraktion.

Neben Überlebenden, Angehörigen und Freund*innen der Opfer beteiligten sich auch viele junge Menschen an der Gedenkveranstaltung. Sie kamen auch aus Hamburg, Rostock und Berlin. Bei ihnen allen bedankte sich Faruk Arslan, der bei dem Anschlag vor 33 Jahren seine Mutter und seine Tochter verloren hatte. Sein Sohn İbrahim[2], damals sieben Jahre alt, überlebte, weil Großmutter Bahide ihn in feuchte Tücher gewickelt hatte.

»Ich bin glücklich, wenn ich sehe, dass so viele Menschen kommen, um mit uns der Toten zu gedenken«, sagte Faruk Arslan. Er bedankte sich auch bei Bürgermeister Ingo Schäper. Über viele Jahre waren die Beziehungen zwischen Überlebenden und Angehörigen einerseits und der Stadt andererseits völlig zerrüttet. Vor allem Schäpers Vorgänger Joachim Dörfler warfen die Überlebenden vor, ihre Interessen und Bedürfnisse zu ignorieren.

»Beim Lesen der Briefe habe ich gemerkt, wie viele Menschen uns damals unterstützt haben.«

İbrahim Arslan Überlebender und Aktivist

Ein wichtiger Punkt der Auseinandersetzungen waren Hunderte Briefe[3], in denen Menschen aus ganz Deutschland den Überlebenden ihre Anteilnahme ausgesprochen hatten. Die Betroffenen haben die Schreiben aber jahrzehntelang nicht bekommen. Erst 2020 erfuhren sie von deren Existenz. Die Wissenschaftlerin Nora Zirkelbach hatte im Möllner Stadtarchiv zu den Anschlägen 1992 recherchiert, die Briefe dort entdeckt und İbrahim Arslan davon informiert.

İbrahim Arslan hatte das teils ignorante Verhalten der Stadtoberen bereits in seiner ersten »Möllner Rede im Exil« im Jahr 2013 thematisiert. Damals gehörte er zu den Gründer*innen des Freundeskreises im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln. Dieser wollte unter dem Motto »reclaim and remember« ein selbstbestimmtes Gedenken initiieren und zugleich mit der »Möllner Rede im Exil« rund um den Jahrestag auch an anderen Orten auf Rassismus und dessen Opfer aufmerksam machen. In dem auf der Berlinale im Februar ausgezeichneten Dokumentarfilm »Die Möllner Briefe« steht İbrahim Arslan im Mittelpunkt.

Am Sonntagnachmittag sagte der 40-Jährige in Mölln, er habe nach den Anschlägen lange Angst vor weiterer Gewalt gehabt. Dass habe sich geändert, nachdem er die Briefe gelesen habe. »Da habe ich gemerkt, wie viele Menschen uns damals unterstützt haben. Jetzt weiß ich, wir müssen nicht Opfer sein, sondern Überlebende.«

Eine Grußadresse kam auch von der Burak-Bektas-Initiative aus Berlin. Sie bemüht sich um Aufklärung des tödlichen Anschlags auf den damals 22-Jährigen. Bektas war am 5. April 2012 mitten in Berlin-Neukölln von einem Unbekannten erschossen worden. Zwei seiner Freunde überlebten den Mordanschlag schwer verletzt. Obwohl viele Spuren ins Neonazimilieu führten, wurde der Täter bisher heute nicht ermittelt. Die zwei Redner*innen der Initiative erhoben schwere Vorwürfe gegen Polizei und Justiz.

Nach der einstündigen Gedenkveranstaltung zogen die Menschen zur etwa einen Kilometer entfernten Ratzeburger Straße 13. Auf das Haus, das 1992 dort stand, verübten die Neonazis Michael Peters und Lars Christiansen damals ihren ersten Brandanschlag, bevor sie zur Mühlenstraße weiterzogen. Dort konnten alle Bewohner, auch sie überwiegend Menschen mit Migrationsgeschichte, ihr Leben retten. Das Gebäude musste jedoch abgerissen werden.

Im Anschluss trafen sich Teilnehmende des Gedenkens in der Lohgerberei, einer antirassistischen Begegnungsstätte hinter der Mühlenstraße 9, und berieten auch über weitere Aktionen gegen rechts. Denn der Anteil junger Antifaschist*innen an den Besucher*innen war in diesem Jahr besonders hoch. »Wichtig ist, dass wir aktiv bleiben, wenn die Kameras wieder verschwunden sind«, sagte eine Rednerin unter Beifall.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168725.rassistischer-mordanschlag-empathieloser-umgang-mit-den-opfern-von-moelln.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1168724.i-brahim-arslan-jahre-moelln-wie-ein-zweiter-anschlag.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1194397.dokumentarfilm-die-moellner-briefe-martina-priessner-fuer-die-familien-hoert-der-schmerz-nie-auf.html