nd-aktuell.de / 25.11.2025 / Kultur

Merz in Brasilien: »Der Ort, an dem wir da sind«

Der Bundeskanzler hat im brasilianischen Belém gezeigt, wie die alten deutschen Tugenden aussehen: Selbstherrlichkeit und Kolonialherrengetue

Thomas Blum
So schaut’s aus, wenn die Welt noch in Ordnung ist, gell?!
So schaut’s aus, wenn die Welt noch in Ordnung ist, gell?!

Jahrelang sprach man von den Deutschen als der Nation der Tüftler und Denker, von Deutschland als dem Land von »Gemütlichkeit« und Goethe, Porsche und Poesie. Als dem Land von »Vorsprung durch Technik« und »Made in Germany«. Die Welt zu Gast bei Freunden! Deutschland galt als Supertopchecker- und Qualitätsland, das von vorbildlichen Demokraten, freundlichen Biertrinkern, Tirolerhutträgern und charmanten Sportlern bewohnt wird, die Becker oder Beckenbauer heißen. Als weltweit respektierter »Aufarbeitungsweltmeister«, der jedem »Totalitarismus« die Stirn bietet.

Selbst auf dem heiklen Sektor der Pop- und Tanzmusik hatten die einstmals steifbeinigen Rohrstockdeutschen hinterrücks international aufgeholt (Can, Kraftwerk, Scorpions) oder hatten zumindest den Rohrstock zu Musik gemacht (Rammstein). Die dunkle Zeit, in der ein keifender Österreicher unser herrliches Land ins Unglück gestürzt und dafür gesorgt hatte, dass die Deutschen »zwölf Jahre üblen Unfug gemacht haben«, wie es der beliebte CSU-Spitzenpolitiker Thomas Goppel einmal treffend formulierte, gehörte endgültig der Vergangenheit an.

Dass die Deutschen tatsächlich arrogante, empathielose, verkniffene, ebenso takt- wie humorlose Hausmeistertypen und Besserwisser sind, denen traditionell der Faschismus schon aus dem Knopfloch herausschaut und die sich drolligerweise für eine Kulturnation halten, weil sie Autobahnen bauen können und in der Lage sind, an der Glotze den Anschaltknopf zu finden, hatte die Weltöffentlichkeit längst vergessen. Das Klischee des von sich selbst besessenen deutschen Egoisten und Ellbogenmanns, der im Urlaub in südlichen Ländern frühmorgens mit seinem schwarz-rot-goldenen Handtuch die Strandliegen für sich »reserviert«, galt schon seit einer Ewigkeit als eben genau das: als ausgelutschtes Uralt-Klischee.

Auch das aussagekräftige Foto von Harald Ewert, dem fröhlich den Arm zum Hitlergruß hebenden, lachenden Pogromzuschauer von Rostock-Lichtenhagen (mit Trikot der deutschen Fußballnationalmannschaft und Pissfleck in der Jogginghose), aus dem Jahr 1992 und die Tatsache, dass das Anzünden oder Zusammenschlagen von Menschen zeitweise eine beliebte Freizeitbeschäftigung der deutschen Bevölkerung ist – all das hatte man auf anderen Kontinenten, die ihre eigenen Probleme haben, schon lange zu den verstaubten Akten gelegt. Solche Barbaren, die alles, was ihnen fremd ist, verachteten und verlachten, seien die Deutschen ja gar nicht mehr, so hieß es allerorten. Der hässliche Deutsche mit Herrenmenschenattitüde, das sei Schnee von gestern, ein Auslaufmodell.

Man muss Friedrich Merz, unserem Bundeskanzler, dankbar sein, dass er – als atmendes, sprechendes, lebendiges Beispiel sozusagen – dieses alte Bild vom Deutschen, das fälschlicherweise als nicht mehr up to date galt, nun erfolgreich wiederbelebt hat. Seine aufrichtige und erfreulicherweise auch freimütig vorgetragene Einschätzung der brasilianischen Stadt Belém, »diesem Ort, an dem wir da waren«, als Ort, »an dem alle froh waren, wieder wegzukommen«, zeigt, dass hier einer im Herzen ein zuverlässiger Deutscher alter Schule geblieben ist. Einer, der nicht herumheuchelt und nicht verhehlt, dass ihn der entzückende Charme der Fußgängerzonen und Industriegebiete von Bielefeld und Bitterfeld stärker bezaubert als (Gott sei Dank weit entfernte) Shithole-Städte wie Rio de Janeiro oder Buenos Aires.

Nicht ohne Grund lautet eine der großen alten deutschen Weisheiten: »Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.« (Berlin ist übrigens, wenn man vielen deutschen Medien Glauben schenken darf, offiziell die mit Abstand »dreckigste Großstadt des Landes«.) »Leider verbreitet der deutsche Kanzler in seiner Rede Vorurteile und Arroganz«, teilte daraufhin Beléms Bürgermeister Igor Normando mit. Auch der Bürgermeister von Rio, Eduardo Paes, äußerte sich auf dem Onlinedienst X erfrischend unzweideutig und offenherzig: »Sohn von Hitler! Tagedieb! Nazi!« Dass er diese spontane Einschätzung später wieder löschte, ist bedauerlich.

Wir können also sehr stolz auf den tapferen sauerländischen Provinzmann sein, der das falsche, beschönigte Bild, das die Welt sich eine Zeit lang von uns Deutschen machte, wieder zurechtgerückt und korrigiert hat. Und der uns Deutsche international würdig repräsentiert, weil er ehrlich ist, sich nicht verstellt und wie kein anderer geeignet ist, der Weltöffentlichkeit vorzuführen, was den richtigen Deutschen ausmacht: eine gesunde Selbstüberschätzung, ein gerüttelt Maß an berechtigtem Überlegenheitsgefühl und der Mut, beim Bereisen ferner Länder den guten, alten Kolonialherrenblick zum Maßstab zu machen – und jederzeit den eigenen diederichheßlinghaften Stolz auf Deutschland herauszuposaunen, »eines der schönsten Länder der Welt« (Merz).

Hier, in unserem kernigen Kanzler, vereinen sich zwei bewährte deutsche Eigenschaften aufs Schönste: das unverbildete Desinteresse an minderwertigen Kulturen und der ehrlich empfundene Stolz auf die eigene kleine Gartenlaubenwelt. Die Heimat ist nun mal schöner als die verworrene und verwirrende Fremde. So nimmt das auch jeder andere normale Deutsche wahr, der das verächtliche Herabschauen auf andere Nationen endlich wieder in der deutschen Staatsräson reinstalliert sehen will. Zum Beispiel Regierungssprecher Stefan Kornelius: »Dass der deutsche Bundeskanzler hier eine kleine Hierarchisierung vornimmt, ist, glaube ich, jetzt nicht verwerflich.«

Ich bin mir nicht sicher, ob, um einer besseren Zukunft Deutschlands willen, nicht grundsätzlich bewährte deutsche Tugenden wie Selbstgerechtigkeit, Herablassung und Herrenreitertum wieder mehr Geltung verschafft werden sollte. Sicher ist jedenfalls: Die Ansicht, Deutschland sei »eines der schönsten Länder der Welt«, wird empörenderweise noch immer nicht von allen Menschen geteilt. Es wäre wohl an der Zeit, das dem einen oder anderen mal wieder sanft ins Bewusstsein zu hämmern.