Als der Musiker Markos aus dem Gefängnis entlassen wird, sagt ihm der Gefängnisdirektor: »Eure Schuld ist, Orient und Okzident in hypnotischem Gesang zu vereinen.« Er sagt dies nicht ohne Bedauern, denn diesen »hypnotischen Gesang« will der Staatsbedienstete nicht missen, obwohl der neue griechische Diktator Ionannis Metaxas mit repressiven kulturpolitischen Maßnahmen gegen diese Musik vorgeht. Markos ist als Künstler, der sich am Rande der Gesellschaft mit Kneipenauftritten über Wasser hält, plötzlich in den Fokus staatlicher Überwachung geraten, denn er spielt Rembetiko, den »griechischen Blues«, die musikalische Zusammenkunft von West und Ost.
Dieser Musik hat der 1969 im französischen Tours geborene Zeichner David Prudhomme bereits 2010 mit seinem gleichnamigen Comic ein Denkmal gesetzt. Prudhomme schreibt dort in seinem Vorwort über den Rembetiko: »Man hört den Schmerz des Exils, die Romantik der Häfen, das Streunen der Nachtschwärmer, ihre leidvollen Liebesgeschichten. Das Scheitern und den Humor.« Damit umschreibt er nicht nur die titelgebende Musik, sondern auch seinen eigenen Comic. Er ist durchzogen von diesem Scheitern und dem Humor, der sich in den Texten der Songs ebenso wiederfindet wie in der Handlung, in der fünf Musiker mal von der Polizei durch die Nacht gejagt werden, bis sie ihre Instrumente auf den Polizistenköpfen zerschlagen und mal ihr Publikum mit ihren Liedern in Trance versetzen.
Nun ist David Prudhomme wieder auf das Thema seiner Graphic Novel, die damals beim Comicfestival in Angoulême ausgezeichnet wurde, zurückgekommen, doch diesmal fokussiert er in »Rembetissa« auf die weiblichen Perspektiven des »griechischen Blues«. Neben der Kneipenwirtin Katina porträtiert er die zwei Sängerinnen Beba und Marika, die sich entscheiden müssen, wie sie mit der staatlichen Zensur umgehen sollen: bleiben oder ins Exil gehen, singen oder verstummen, sich anpassen oder Widerstand leisten?
Als 1936 die Diktatur des Hitler- und Goebbels-Bewunderers General Metaxas installiert wurde, war es Teil dieses faschistischen Projekts, Regimegegner, Migranten und Außenseiter der Gesellschaft zu verfolgen. Dafür stand auch die Zensur des Rembetiko: »Im Zentrum dieser Staatsgewalt stand speziell die Frage nach der Rolle Griechenlands zwischen Orient und Okzident, nach Exil und sozialem Elend«, erklärt Proudhomme in einem Interview. »Metaxas wollte Griechenland verwestlichen, indem er einen beträchtlichen Teil seiner Geschichte leugnete und verschleierte.«
Der Rembetiko war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Armenvierteln der griechischen Hafenstädte entstanden, verknüpfte musikalische Traditionen Griechenlands mit jenen des Orients, zu seinen Einflüssen zählen die Musik der ländlichen Bevölkerung Griechenlands, die Dimotiki-Musik, die klassische türkische Volksmusik sowie jene aus den Balkanländern, aber auch die byzantinische Kirchenmusik. So entstanden seit dem Ende des 19. Jahrhunderts »Lieder des Subproletariats«, wie Olivier Revault d’Allones über die Songs des Rembetiko schreibt, in denen von Liebe, Drogen, Gefängnis, Krankheit, Armut, Diktatur, Exil, Tod und der Unterwelt erzählt wird. Metaxas wollte durch seine Zensurmaßnahmen den großen Einfluss dieser Lieder auf die griechische Bevölkerung verhindern, die in den Songs die zentralen Probleme ihrer Zeit gespiegelt bekam.
»Metaxas hat seine tollwütigen Hunde losgelassen«, erklärt Katina in »Rembetissa« den Musikern, die Abend für Abend in ihrer Taverne in Piräus auftreten und den verbotenen Rembetiko spielen. »Die sind alle übergeschnappt! Im Radio verbieten sie schon Lieder mit orientalischen Klängen. Es brennt wirklich lichterloh!« David Prudhomme lässt seinen Comic mit einer Diskussion darüber beginnen, ob man sich der neuen politischen Realität anpassen und den Musikstil ändern oder für die Freiheit der Kunst Verfolgung, Gewalt und Gefängnis in Kauf nehmen sollte. »Katina, ich spiele nicht einfach Musik, das ist mein kulturelles Erbe«, antwortet einer der Musiker. »Etwas anderes zu spielen hieße, einen Schlussstrich unter all das zu ziehen. Das wäre ein zweites Exil. Der Entwurzelung das Vergessen hinzufügen. Jede Note ein Ausradieren.« Diese Diskussionen sind ein roter Faden des Comics, der verschiedene Formen der Repression und Verfolgung ebenso aufzeigt wie Strategien des – kulturellen – Widerstands gegen das Regime, der schon in verbotenen Tänzen, Melodien und Instrumenten aufscheint.
Eines Tages brennt das Viertel Lemonadika in Piräus ab, ein großer Obst- und Gemüsemarkt, um den herum viele Geflüchtete und Musiker leben. »Ich wusste, das würde eines Tages passieren. Die Reinigung von Lemonadika durch das Feuer. Die Gelegenheit, die Lösung, um uns auszumerzen«, ist sich einer der Musiker sicher. Auch Katina wird verhaftet und ihre Taverne geschlossen, und so scheint Metaxas fürs Erste gewonnen zu haben. Doch der Rembetiko wird weitergespielt, anderswo, in neuen Tavernen und Hafenkneipen: »Es ist seltsam, ich fühle mich frei«, erklärt Markos nach dem Brand. »Unsere Stärke liegt in unserem Denken. Im Wind. Dieser Wind, der alles versengt. Wir müssen sein wie er! Grenzenlos, wir sind frei.«
Prudhomme setzt in »Rembetissa« Farben wie Noten oder musikalische Leitmotive ein, komponiert über die Farbgebung Grundstimmungen in den einzelnen Episoden, die er ineinander übergreifen lässt. Zentral ist für ihn die Frage nach der Bedeutung von Kultur für die politische Artikulation, die er als Grundthematik seinem Comic unterschiebt. Der Rembetiko stellt in den Augen der Machthaber eine Bedrohung dar, eine Form des Widerstands gegen das politische System und einen Affront gegen eine Kulturpolitik, die Musik von Randfiguren der Gesellschaft nicht dulden will. So weist Prudhomme mit seinem Comic auch über die konkrete Zeit und politische Situation hinaus und fragt nach dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft allgemein. Seine persönliche Antwort ist der Comic in all seiner Ambivalenz und subversiven Kraft.
David Prudhomme: Rembetissa. A. d. Frz. v. Ulrich Pröfrock. Reprodukt, 112 S., geb., 25 €.