Queerhome* ist eines der vielen Projekte, das zum Verein Sonntags-Club in der Pankower Greifenhagener Straße gehört und voraussichtlich ab 2026[1] von Kürzungen betroffen sein wird. »Wir gehen von Kürzungen von 24 000 Euro für Queerhome* aus und von 80 000 insgesamt, inklusive des Flinta*-Projekts«, erklärt Kathrin Schultz dem »nd«. Das sei fatal, denn »wenn eine Stelle wegfällt, wackelt das ganze System«, so Schultz. Schultz ist Begründer*in und Projektleitung von Queerhome*.
Queerhome* ist die erste Wohnraumberatungsstelle ihrer Art[2] in Deutschland. Das Projekt bietet Beratung für wohnungslose queere Menschen, unabhängig von Nationalität, Gesundheit und sozialem Status. Zu den Themen gehören Mietschuldenberatung, unzumutbare Wohnverhältnisse wie Couch-Surfing oder Wohnheim-Unterbringung sowie langfristige Wohnungssuche. Der Bedarf ist groß.
Das Projekt, das Ende 2022 gegründet[3] wurde, verzeichnete schon im ersten Jahr seines Bestehens 600 Beratungsfälle. 2025 gab es bislang 800 Beratungsfälle. Neben Beratungsangeboten ist das Ziel von Queerhome*, in der Wohnungsnotfallhilfe für die besonderen Bedarfe von queeren Menschen zu sensibilisieren[4]. Denn obwohl zehn Prozent aller wohnungslosen Menschen queer sind, sind nur fünf Prozent der Angebote queer-inklusiv aufgebaut, so Queerhome* auf seiner Website. Der Paritätische Wohlfahrtsverband geht davon aus, dass aktuell 55 000 Menschen in Berlin wohnungslos sind. Für 2030 werden 85 000 wohnungslose Menschen prognostiziert.[5]
An einem Sonntag Mitte November ist Community-Treffen im Sonntags-Club, um niedrigschwellige Wohnungsberatung anzubieten. Eine der Besucher*innen ist Stella. Sie ist 34 Jahre alt und hat vor einem Jahr ihren Namen ändern lassen. Das bereitet ihr jetzt Probleme. Denn wenn sie mit ihrem neuen Namen Informationen von der Schufa anfordert, liegen keine Informationen vor. »Solch einen Fall hatten wir noch nicht«, so Schultz. »Interessant wird es, wenn auch der Vermieter keine Einträge bei der Schufa findet.« Stella ist angesichts der Situation frustriert, da bei der Wohnungssuche Schnelligkeit das A und O ist. Eine Möglichkeit, die Situation zu lösen, wäre, den Vermieter über die Namensänderung zu informieren. »Aber auch das wäre wieder ein Outing[6]«, so Schultz.
Momentan wohnt Stella in einer therapeutisch begleiteten Wohngemeinschaft. Aber dort erfahre sie aktuell Gewalt, sagt sie. Zwar habe sie längst mithilfe ihres Betreuers angefangen, nach einer eigenen Wohnung zu suchen. »Doch es hat viel zu lange gedauert, und dann hat mein Betreuer aufgehört«, sagt Stella. Jetzt sucht sie nach einer Übergangswohnung, um aus der WG ausziehen zu können. Ihr Budget macht die Suche nicht einfacher, denn als Bürgergeldempfängerin hat sie nur 449 Euro für die Miete. Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet ihr die Mietschuldenfreiheitsbescheinigung, die sie vom Wohnheim benötigt. »Das Dokument zu erhalten, dauert Ewigkeiten.«
Wohnungslosigkeit queerer Menschen hat viele Gründe. So sind queere Menschen zunehmend von Hasskriminalität[7] betroffen. Zwar gebe es keine offiziellen Statistiken, doch nach Schultz professioneller Erfahrung nehme die Zahl zu. »Besonders da der Bundeskanzler und die Bundespräsidentin jeden Tag dazu beitragen«, sagt Schultz. Schultz verweist damit auf eine Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). »Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt«, hat er in der Debatte über das Hissen der Regenbogenflagge auf dem Bundestag gesagt.
Menschen, die von akuter Obdachlosigkeit betroffen sind, finden in Unterkünften[8] nicht immer gewaltfreie Räume. In einer Studie der Alice-Salomon-Hochschule zur Lebenssituation wohnungsloser Menschen in Berlin bemängeln die Autor*innen fehlende Schutzkonzepte für Frauen und queere Menschen in Landeseinrichtungen. So berichteten Interviewpartner*innen von sexueller Belästigung und Übergriffen sowie von Diskriminierung queerer Menschen durch das Personal und durch Mitbewohner*innen. Auch sei fehlende Privatsphäre insbesondere für queere Menschen unvertretbar. Aber auch mangelnde finanzielle Ressourcen würden zu Wohnungslosigkeit bei queeren Menschen beitragen, sagt Kathrin Schultz. »Viele erben nicht oder mussten Reserven für ihr Coming-out oder Transition ausgeben.«
»Wenn eine Stelle wegfällt, wackelt das ganze System.«
Kathrin Schultz Queerhome*
Ein Drittel der Ratsuchenden bei Queerhome* sind trans, inter oder nichtbinär. Ein weiteres Drittel sind Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrung. Queere Menschen mit Migrationserfahrung sollen ein Peer-to-Peer-Ehrenamtsprojekt unterstützen. Peer-to-Peer meint, dass queere Menschen mit Migrationserfahrung, die wohnungslos waren oder von der Wohnungslosigkeit bedroht waren, Menschen mit derselben Erfahrung weiterhelfen. Ziel sei es, fehlende Unterstützungsangebote wie Begleitung zu Ämtern, Hilfe bei Sprachbarrieren, Digitalisierung und Empowernment auszugleichen.
Doch das Projekt von Queerhome* könnte 2026 enden. Die Kürzung der Förderung sei »sehr ärgerlich«, sagt Schultz. Dadurch würden die Ausbildung und Unterstützung der ehrenamtlichen Mitglieder wegfallen. »Die brauchen wir ja.« Die rund 80 Ehrenamtlichen sind essenziell für den Sonntags-Club mit seinen 30 Gruppen, Arbeitsgemeinschaften und Aktivitäten.
Aber nicht nur direkte Kürzungen machen dem Sonntags-Club zu schaffen. Denn neben den tatsächlichen Einsparungen kämpft das Projekt, wie auch andere Träger, mit indirekten Kürzungen. Sie sind verpflichtet, nach Tarifvertrag zu bezahlen[9]. Eine Förderung, um die Tariferhöhungen zu finanzieren, erhalte man jedoch nicht, so Schultz. »Wir bräuchten mehr Gelder. Wenn das nicht passiert, muss ich nächstes Jahr mit meinen Stunden runtergehen.« Schultz sieht das Problem in der Verteilung der Gelder. Sie kritisiert unter anderem die Investition für die Olympiabewerbung von sechs Millionen Euro. »Diese Stadt hat andere Probleme.«