nd-aktuell.de / 26.11.2025 / Kultur

»Eddington«: Spiel mir das Lied vom Smartphone

Ari Aster hat mit »Eddington« eine gelungene Corona-Satire im Western-Stil gedreht

Gabriele Summen
Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix) verliert zunehmend die Kontrolle über »seine« Stadt.
Sheriff Joe Cross (Joaquin Phoenix) verliert zunehmend die Kontrolle über »seine« Stadt.

Weltweit straucheln Demokratien. Ari Asters neuestes Werk »Eddington«, das bei den Filmfestspielen in Cannes seine Weltpremiere feierte, zeigt gnadenlos, warum. Sein furios inszenierter Neo-Western seziert mit tiefschwarzem Humor, wie die Corona-Pandemie dem gesellschaftlichen Miteinander einen weiteren Todesstoß versetzte.

Frühling 2020, das recht abgeschieden gelegene Eddington in New Mexico. Kleinstadtsheriff Joe Cross, grandios verkörpert von Oscarpreisträger Joaquin Phoenix[1], sorgt in dem fiktiven 2500-Seelen-Dorf für Recht und Ordnung. Während Bürgermeister Ted Garcia (Pedro Pascal) verzweifelt versucht, die Regeln des ersten Lockdowns durchzusetzen, torpediert der asthmatische Joe sie. Masken bereiten Joe Atemnot, Social Distancing und Versammlungsverbot hält er für völlig übertrieben – zumal das Virus Eddington bislang noch nicht erreicht hat.

»Wir leben in einem kollabierenden System, in dem politische Kämpfe uns hypnotisieren, während Big Tech und Kapital alles übernehmen.«

Ari Aster

Zuhause muss er sich von seiner Schwiegermutter Dawn (Deirdre O’Connells), die wegen des Lockdowns bei ihnen wohnt, tagtäglich die absurdesten Verschwörungstheorien aus dem Netz anhören – mit denen sie auch noch seine depressive Frau Louise (Emma Stone) ansteckt. Erschwerend kommt hinzu, dass seine geliebte Louise früher mal eine Affäre mit Garcia hatte.

Aster, Regisseur von kompromißlosen Filmen wie »Hereditary – Das Vermächtnis«, »Midsommar« und »Beau Is Afraid«[2], beginnt in gewohnt ruhigem Tempo mit einer brillanten Satire auf die Coronazeit, nur um sie bald in eine fiebrige Eskalationsspirale münden zu lassen, die man sich so in seinen kühnsten Albträumen nicht ausmalen könnte. Dabei ergreift er weder Partei für Joe noch für Garcia und auch nicht für die jungen Leute, die in Eddington eine Black-Lives-Matter-Demo veranstalten. Ihm geht es vielmehr darum zu zeigen, wie viele Amerikaner während der Corona-Pandemie anscheinend endgültig ihren gesunden Menschenverstand verloren haben, der um sich greifenden Paranoia aufgesessen sind – und so dazu beigetragen haben, den Boden für die zweite, desaströse Amtszeit Trumps zu bereiten.

Der nach außen hin gesetzestreue Ted Garcia, der ein umweltgefährdendes KI-Rechenzentrum in Eddington ansiedeln lassen möchte, geht Joe schließlich dermaßen auf die Nerven, dass er sich selbst als Bürgermeisterkandidat aufstellen lässt – und fortan mit Deep-State-Wahlkampfparolen auf seinem Wagen durch die Stadt cruist. Seine beiden Hilfssheriffs, den Weißen Guy Tooley und den Schwarzen Michael Cooke, rekrutiert er kurzerhand als Wahlhelfer. Schon bald kommt es zwischen den beiden Konkurrenten um die mögliche Sheriffnachfolge zu rassistischen Spannungen, die sich durch die Black-Lives-Matter-Bewegung noch verstärkt.

Der Nebenhandlungsstrang um diese Protestbewegung, die in Eddington für zusätzliche Unruhe sorgt, ist ebenso absurd, wie genial: Die Aktivistin Sarah ist ein erschreckendes Beispiel für völlig verqueres Solidaritätsgebaren, Teenager Brian wiederum wird nur über Nacht zum glühenden Aktivisten, weil er in sie verknallt ist.

Joe, der zunehmend die Kontrolle über »seine« Stadt verliert, scheut letztlich sogar nicht davor zurück, das Trauma seiner Frau öffentlich zu machen, um die Wahl zu gewinnen.

Großartig, wie Aster aufzeigt, wie alle Seiten vorgeben, im gemeinschaftlichen Interesse zu handeln, dabei aber eigentlich nur von persönlichen Motiven – sei es von Macht- oder Rache- oder Geilheitsgelüsten – getrieben werden.

Unterdessen laden Joes Schwiegermutter und seine Frau den rechtsextremen Online-Verschwörungstheoretiker Vernon Jefferson Peak (Elvis-Star Austin Butler), der angeblich Opfer eines Sexhandels ist und wirr gegen pädophile Geheimorganisationen predigt, zu sich nach Hause ein. Schon bald brennt Louise, die womöglich auch unter einem Missbrauchstrauma leidet, mit ihm durch.

Leider bekommen Stone und Butler zu wenig Screentime, um ihr Potenzial voll auszuspielen und diesen spannenden Handlungsstrang weiter auszubauen. Im Herzen ist der Film eine One-Man-Show von Ausnahmeschauspieler Joaquin Phoenix, der hier zu seiner Bestleistung aufläuft.

Befeuert durch die Tatsache, dass man in Amerika an jeder Ecke Waffen kaufen kann, mündet das Geschehen in diesem Mikrokosmos zur Lage der Nation in einem gewaltvollen Finale, bei dem selbst Sam-Peckinpah- oder Quentin-Tarantino-gestählte Zuschauer*innen garantiert ungläubig auf die Leinwand starren. Genial gefilmt von Kameramann Darius Khondji, der auch für den ungewöhnlich fotografierten Thriller »Sieben« von David Fincher verantwortlich war.

»Wir leben in einem kollabierenden System, in dem politische Kämpfe uns hypnotisieren, während Big Tech und Kapital alles übernehmen«, so erklärt Aster im Presseheft. »Die Menschen in dieser Welt werden immer machtloser und haben keinen Zugang mehr zu Veränderung. Das hat Covid nur verstärkt ... Da draußen ist eine große, entfesselte Macht zugange. Wir haben noch keinen Weg gefunden, mit ihr umzugehen, aber das werden wir müssen.« Sein Neo-Western, in dem Smartphones die gefährlicheren Waffen sind, hält dem Zuschauer diesen unangenehmen Spiegel vor, in den wir unbedingt blicken sollten.

»Eddington«: USA, Finnland 2025. Regie und Drehbuch: Ari Aster. Mit: Joaquin Phoenix, Pedro Pascal, Emma Stone. 148 Minuten, läuft im Kino.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162403.kinofilm-c-mon-c-mon-wir-haben-es-versaut.html?sstr=joaquin|phoenix
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1173113.horrorfilm-beau-is-afraid-odyssee-eines-muttersoehnchens.html?sstr=joaquin|phoenix