nd-aktuell.de / 26.11.2025 / Wirtschaft und Umwelt

Der heiße Herbst findet in Belgien statt

Dreitägiger Generalstreik gegen Kürzungen bei Renten, Gesundheit und das Aussetzen der Lohnindexierung

Jürgen Klute
Die Lehrenden in Belgien sind »stolz zu unterrichten, müde verachtet zu werden«. Eine Demonstration im Rahmen des Generalstreiks in Brüssel.
Die Lehrenden in Belgien sind »stolz zu unterrichten, müde verachtet zu werden«. Eine Demonstration im Rahmen des Generalstreiks in Brüssel.

Den Auftakt bildete eine von Frauenorganisationen organisierte Demo anlässlich des internationalen Tages gegen Gewalt gegen Frauen. Die rund 5000 Teilnehmerinnen zählende Demonstration wurde von Gewerkschaften unterstützt. Sie kritisierten die geplanten Kürzungen[1], die Frauen härter als Männer treffen würden, als ökonomische Gewalt.

Der eigentliche Generalstreik begann am Montag bei der belgischen Eisenbahn. Am Dienstag wurde der Streik auf den gesamten öffentlichen Dienst ausgeweitet. Den Abschluss bildete ein landesweiter branchenübergreifender Streik am 26. November, an dem dann auch Beschäftigte der Privatwirtschaft teilnahmen.

Anders als in Deutschland ist das Streikrecht in Belgien nicht auf Tarifverhandlungen begrenzt. Gewerkschaften können in Belgien ihre Interessen jederzeit sowohl gegenüber den Arbeitgebern als auch gegenüber der Regierung mit Streik durchzusetzen versuchen – das gilt mit wenigen Ausnahmen auch für Beamte.

Florence Lepoivre von der sozialistischen Gewerkschaft FGTB-ABVV erklärte bei einer der vielen dezentralen Aktionen in Brüssel, man habe bewusst auf eine zentrale Demonstration verzichtet. Diese gab es bereits im Oktober, damals demonstrierten 120 000 Teilnehmende in Brüssel gegen die Regierung. Mit den aktuellen Streiktagen wolle man vor allem mit den Beschäftigten in den Betrieben ins Gespräch kommen und sie über die langfristigen Auswirkungen der Sparmaßnahmen aufklären.

Hintergrund der Streiktage sind die Kürzungspläne der belgischen Regierung[2], über die bereits seit Monaten verhandelt wird. Es gilt ein Haushaltsloch von etwa zehn Milliarden Euro zu stopfen. Verschärft wird die Lage durch die Steigerung der Rüstungsausgaben der Nato-Länder. Zwar bemüht man sich, auch durch Einnahmeerhöhungen das Defizit zu verringern, doch einen Verzicht auf Kürzungen hält die Regierung für ausgeschlossen.

Ann Vermorgen, Präsidentin des christlichen Gewerkschaftsbundes ACV-CSC, kritisiert, dass die Regierung massiv in die Renten und Arbeitszeiten eingreife. Das Rentenalter soll von 65 auf 67 hochgesetzt werden, es müsse härter und für weniger Geld gearbeitet werden. Dies werde zu einer Zunahme von Gesundheitsproblemen führen.

Florence Lepoivre verweist zudem darauf, dass man zwar schon ab 62 in Rente gehen könne, aber das sei mit Abschlägen bis zu 20 Prozent verknüpft. Beschäftigte in körperlich belastenden Berufen hielten nur selten bis 65 durch. Weitere Kritikpunkte sind eine Aussetzung der Lohnindexierung – einem zentralen Instrument zur Armutsbekämpfung – und erhebliche Kürzungen im Gesundheitsbereich.

Am ersten Streiktag gab die Regierung bekannt, sich endlich auf ein Sparprogramm geeinigt zu haben. Vorgesehen sind eine Mehrwertsteuererhöhung in bestimmten Bereichen, eine neue Abgabe auf Erdgas, eine Preissenkung für Strom, eine vorübergehende Deckelung der Indexierung für hohe Einkommen, Kürzungen im Gesundheitsbereich, eine höhere Besteuerung von Wertpapieren und eine konsequentere Bekämpfung vor Steuerhinterziehung. Letzteres haben vor allem die flämischen Sozialdemokraten (Vooruit) als Teil der Regierungskoalition durchgesetzt.

»Während Kosten für Arztbesuche und Benzin steigen, bleiben Unternehmenssubventionen, deren Nutzlosigkeit mehrfach bewiesen wurde, unangetastet.«

Ann Vermorgen 
Christlicher Gewerkschaftsbund ACV-CSC

Vermorgen hält die Einigung über den Haushalt für unzureichend. »Wieder einmal müssen die Arbeitnehmer die Zeche zahlen«, sagt die Gewerkschaftspräsidentin. Die Vereinbarung sieht eine doppelte Indexdeckelung für Gehälter über 4000 Euro brutto und für Renten über 2000 Euro vor. »Wir wollen die Indexierung so belassen, wie sie ist: eine stabile Methode, um die Kaufkraft für jedes Einkommen zu sichern. Während Kosten für Arztbesuche und Benzin steigen, bleiben Unternehmenssubventionen, deren Nutzlosigkeit mehrfach bewiesen wurde, unangetastet. Wir werden daher unseren Protest fortsetzen.«

Der dreitägige Generalstreik wurde gemeinsam von den drei belgischen Gewerkschaftsbünden ACV-CSC, FGTB-ABVV und ACLVB-CGSLB (liberaler Gewerkschaftsbund) organisiert. Die belgische Regierung darf sich somit zugutehalten, mit ihrer Sparpolitik die Kooperation der drei Gewerkschaften, die gewöhnlich unabhängig voneinander agieren, beflügelt zu haben.

Wie aus einem Artikel des Informationsportals Belgieninfo hervorgeht, wird der Streik trotz der damit verbundenen Unannehmlichkeiten von vielen Bürgerinnen und Bürgern, die wütend auf die Regierung sind, für richtig befunden. In Brüssel fiel fast der komplette ÖPNV für drei Tage aus. Das »Eupener Grenzecho« berichtet, dass in der Wallonie 87 Prozent der Fahrten der wallonischen Busgesellschaft Tec ausgefallen sind. In Brüssel fuhren nur einige wenige Busse. Der öffentliche Rundfunk VRT verzeichnete die Streichung einiger Radio- und TV-Sendungen. Am Mittwoch, dem letzten Streiktag, stand auch der Brüsseler Flughafen still.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1190212.gewerkschaften-generalstreik-in-belgien-erster-anlauf-gegen-rechte-regierung.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1192717.staatshaushalt-belgien-unter-eu-spardiktat.html