nd-aktuell.de / 20.11.2007 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 12

Aufstand der Krankenschwestern

Finnland: Einigung über Tarifvertrag verhindert Massenkündigung

André Anwar, Helsinki
Eine Massenkündigung finnischer Krankenschwestern ist in letzter Minute abgewendet worden. Die Regierung wollte die Proteste gegen die niedrige Bezahlung sogar per Gesetz beenden.

Soila Jänis-Koch ist erschöpft von der Nachtschicht in der orthopädischen Abteilung an der Uniklinik von Helsinki. »Ein operierter Patient hatte einen extremen Blutdruckabfall, und wir waren auf der ganzen Abteilung nur drei Schwestern. Nach einer halben Stunde haben wir ihn wieder stabil gekriegt. Das hätte aber auch anders ausgehen können«, sagt sie.

Obwohl Jänis-Koch erst im Frühjahr aus der Schweiz zurückgekehrt war, denkt sie darüber nach, ihre Arbeit hinzuschmeißen. Rund 12 000 ihrer Kollegen wollten am Montag ihre Kündigung einreichen, falls bis dahin die Forderungen der Pflegegewerkschaft Tehy nicht erfüllt werden: monatlich 430 bis 650 Euro mehr für die nächsten zwei Jahre. Bei insgesamt 32 500 Krankenschwestern im Land hätte die Aktion wohl das Gesundheitswesen zusammenbrechen lassen. Schon vor einer Woche hatten erste Krankenhäuser begonnen, einige Patienten ins Ausland zu verlegen.

Die im März neu gewählte Mitte-Rechts-Regierung war aber wenig verhandlungsbereit – trotz voller Staatskassen und der breiten Unterstützung, die die Pflegekräfte in der Bevölkerung genießen. Es sei berufsethisch verwerflich, dass das Krankenpersonal zu Massenkündigungen als Erpressungsmittel greife, argumentierte die Koalition. Ende letzter Woche erließ sie deshalb ein Gesetz, mit dem Krankenschwestern und -pfleger, die in Akutbereichen arbeiten und kündigen, unter Bußgeldandrohung zur Arbeit gezwungen werden.

»Wir zahlen nicht, gehen lieber ins Gefängnis«, witzelte prompt so manche kampfeslustige Krankenschwester bei den Protestzügen, die Tehy in zahlreichen Städten veranstaltete. »Wir waren lange genug die lieben Mädchen«, sagt Soila Jänis-Koch. »Niemand von uns will Menschenleben gefährden, aber bisher wurden wir nie ernst genommen«, sagt sie. »Wenn unsere Regierung es zur Massenkündigung kommen lässt und lieber woanders Steuern senkt, ist sie unverantwortlich, nicht wir.«

Als Jänis-Koch aus der Schweiz zurückkehrte, war sie über die schlechte Situation in finnischen Krankenhäusern überrascht. »PISA-Studie hier und da – wir wollen immer Musterland sein. Im Gesundheitswesen ist das Finnland nicht gelungen«, sagt sie. Die Pflegegehälter liegen deutlich unter denen vergleichbarer Länder. »In der Schweiz war mein Grundlohn doppelt so hoch«, sagt sie. Auch im benachbarten Schweden und Norwegen sind Grundgehälter wesentlich höher. Jänis-Koch bekommt mit ihren drei Jahrzehnten Berufserfahrung ein Grundgehalt von 1970 Euro. Dazu kommen Nacht- und Wochenendzuschläge von monatlich 200 bis 500 Euro. Nach Steuerabzug bleiben etwa 1900 Euro, wovon im teueren Helsinki für ihre 45-Quadratmeter-Wohnung 800 Euro abgehen. »So schlecht und schlechter sieht es bei den meisten aus«, sagt Tuija Kinnunen-Moilanen von Tehy.

Am Montag wendete sich quasi in letzter Minute doch noch das Blatt. Die Gewerkschaft einigte sich nach eigenen Angaben mit den kommunalen Arbeitgebern auf einen vierjährigen Tarifvertrag. Er soll laut Medienberichten eine Gehaltserhöhung um 20 Prozent beinhalten. Nun müssen die Gewerkschaftsmitglieder über den Kompromiss abstimmen.

Sollten die Krankenschwestern erneut nichts oder zu wenig erreichen, denkt Soila Jänis-Koch über eine Rückkehr in die Schweiz nach. »Immer mehr finnische Schwestern gehen ins Ausland. Es muss etwas geschehen, damit wir neben den Mobiltelefonen nicht der neue Exportschlager werden.«