Mittlerweile ist es ein Allgemeinplatz, dass das Erstarken der Rechten auch wirtschaftliche Gründe hat: Austerität[1], ökonomische Deprivation, kurzum neoliberale Politik, begünstigen den Rechtsruck, wenn sie ihn nicht gar hervorbringen. Die Ökonomin Isabella M. Weber[2] zog daraus vor einem knappen Jahr die Konsequenz und forderte vor dem Hintergrund der Wiederwahl Donalds Trumps zum US-Präsidenten eine »antifaschistische Wirtschaftspolitik«[3]. Mit dem Schlagwort verband sich vor allem eine Reform der Schuldenbremse, Preisdeckelungen, Umverteilungen und Vergesellschaftung, um so soziale Sicherheit gegen den Neoliberalismus der letzten Jahrzehnte zu schaffen.
Aber ist es tatsächlich so einfach, dass sich mit ein paar Stellschrauben an der Maschine das Denken und Handeln der Menschen in eine progressive Richtung drehen ließe? Oder haben wir es im Kapitalismus mit einem weitaus komplexeren und tiefgreifenderen System zu tun? Der von Sabine Nuss kuratierte und herausgegebene Sammelband »Der verdrängte Kapitalismus« setzt an dieser Frage an und will »die tiefer liegenden strukturellen Zusammenhänge – insbesondere Herrschaftsverhältnisse und zentrale Handlungsmodi einer kapitalistischen Ökonomie« nachzeichnen.
Der Band wählt dazu eine spezielle Form: »Endlich ein Podcast, den man lesen kann«, kommentierte Autor Ingo Stützle treffend die Veröffentlichung des Bands auf »Bluesky«, der zu großen Teilen aus Gesprächen besteht. Und: »Es geht ums Ganze«. Denn wie unter einem Brennglas bringen die Autor*innen die alltäglichen Tücken unserer kapitalistischen Gegenwart auf den Punkt. Entlang von vier von Sabine Nuss geführten Gesprächen werden zentrale Krisenzonen der Analyse unterzogen. Stützle spricht über die Vermögenssteuer, Stephan Kaufmann zur Inflation, der Mietdeckel und die Mieten sind Thema von Andrej Holm und die Frage der Investitionen wird von Antonella Muzzupappa beleuchtet. Sabine Nuss rahmt das Ganze entsprechend mit einer Einleitung, in der sie sich auf die Forderungen und Lücken einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik bezieht.
Die Texte argumentieren dabei deutlich marxistisch, kapitalismuskritisch, illusionslos und zielen auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge anstatt auf einfache Antworten. Die Parole der antifaschistischen Wirtschaftspolitik wird dabei auf ihre notwendigen Beschränkungen verwiesen, allerdings in solidarischer Absicht, denn die Forderung als solche teilen die Autor*innen. Ihr Austausch ist in Ton und Stil unakademisch, unkompliziert und bietet unmittelbaren Anschluss an die Lebenswelt der Leser*innen. Die Komplexität der Sache – also die kapitalistischen Reproduktionsverhältnisse – soll dabei jedoch nicht banalisiert oder verharmlost werden, es geht darum, sie angemessen darzustellen. Klassenverhältnisse, Umweltkrise, die kapitalistischen Verhältnisse und deren Geschichte sowie die Frage des Staats werden dafür im Zuge der Gesprächsverläufe in den Blick genommen. So entsteht in der Gesamtschau eine Analyse, von der aus es weiterzudenken und zu handeln gilt, allerdings eben nicht als Gebrauchsanweisung.
Eine antifaschistische Wirtschaftspolitik ist nur dann sinnstiftend, wenn mit ihr der Kapitalismus als solcher überwunden wird.
Ein wichtiger Impuls dabei ist es, die kapitalistischen Verhältnisse nicht zu naturalisieren, sondern immer als menschengemachte und problematische Wirklichkeit mitzudenken. Wie Stephan Kaufmann es im Kontext der Inflation auf den Punkt bringt: Preise steigen nicht einfach, sie werden erhöht, gerade auch dann, »wenn Löhne erhöht werden« und dies ist »Ausdruck eines Machtkampfes zwischen Kapital und Arbeit«. Dieser wiederum werde auch beeinflusst »durch die Machtverteilung auf dem Arbeitsmarkt«.
Der Gesprächsverlauf mit Stützle zeigt dabei, wie diese Aufklärung funktioniert: die Eingangsfrage, was er von der (auch von links geforderten) Vermögenssteuer hält, wird von ihm akribisch ideologiekritisch wie historisch argumentierend beantwortet. Nach und nach verbindet er die Analysen von Armut, Besitz- und Eigentumsverhältnissen sowie der privaten Verfügungsmacht über Produktionsmittel. Stützle hält fest: »Ungleichheit ist jedenfalls kein Ergebnis eines ungerechten Steuersystems, sondern Ergebnis eines Klassenverhältnisses.« Zudem sind »Freiheit und Gleichheit nur die rechtliche wie ideologische Form (…), in der sich die Ungleichheit unter den modernen ökonomischen Verhältnissen immer wieder aufs Neue herstellt und sogar verschärfen kann«. Erst hierauf aufbauend geht es dann um Steuern und Steuerpolitik. Am Ende bejaht Stützle die Vermögenssteuer allerdings, allein schon, weil es nur so tatsächlich möglich sei, herauszufinden, »wie groß die Vermögen in unserer Gesellschaft« wirklich sind – und im Wissen, »dass das eigentliche Problem das kapitalistische Wirtschaftssystem ist, das wesentlich mehr Probleme produziert als soziale Ungleichheit«.
Drei Kapitel der Herausgeberin Sabine Nuss beschließen den Band. Sie stellt in Rückgriff auf die Gespräche die »Möglichkeiten und Grenzen ›antifaschistischer Wirtschaftspolitik‹« noch einmal konzise dar. Im zweiten Text fokussiert sie auf »erklärungsbedürftige Korrelationen« und widmet sich dabei der Debatte über die Erklärungen zum Aufstieg der Rechten. Hier arbeitet sie die Herrschaftsförmigkeit kapitalistischer Verhältnisse klar heraus und macht daran deutlich – wie auch die einschlägigen Studien zum Autoritarismus von Wilhelm Heitmeyer zeigen –, dass wir es mit langfristigen Durchsetzungsprozessen zu tun haben. Es geht aber weniger darum, eine abschließende Antwort auf die Frage zu finden, warum denn nun Menschen rechts wählen. Nuss stellt die strukturellen Voraussetzungen, Gegebenheiten und Prozesse dar, in denen dies stattfindet.
Zuletzt wird der titelgebende »verdrängte Kapitalismus« noch mal knapp in historischer Hinsicht skizziert, mit seinen derzeitigen Formen und damit einhergehenden Problemen verknüpft, und die Perspektive zu dessen Überwindung angerissen. Als verdrängt erweist sich der geschichtliche Formwandel in der westlichen Welt: Die direkte, persönliche Abhängigkeit ist übergegangen in eine »sachliche Abhängigkeit, die von Lohnarbeit«, »das Selbstverständnis der Individuen als grundsätzlich freie und gleiche Bürger« verdränge eben dies. Am Ende steht die Klastellung, dass eine antifaschistische Wirtschaftspolitik nur dann sinnstiftend ist, wenn mit ihr der Kapitalismus als solcher überwunden wird. Alles andere sei Makulatur, denn einen guten oder fairen Kapitalismus könne es schlicht nicht geben – immer blieben nämlich die Ursachen von Ungleichheit bestehen, die bis in die Gewaltherrschaft des Faschismus fortwirken. Kaufmann formuliert es so: Alle reformerischen Ansätze innerhalb der Verhältnisse »haben ihre Schranke in den Notwendigkeiten der Kapitalakkumulation«.
Auch das ganz Grundlegende gerät so in den Fokus: Muzzupappa erklärt, es gehe um den »Reichtum« als »frei verfügbare Zeit« – »für alle und im Respekt gegenüber der Umwelt«, ein Ziel, das nicht innerhalb des Systems zu haben ist. Aber zugleich verhält es sich dennoch so, wie Stützle bemerkt: »Jeder Schritt, der Transparenz schafft, Ungleichheit abbaut oder die Macht der Reichsten ein Stück weit begrenzt, ist ein Fortschritt. Auch wenn das große Ziel, die Überwindung der strukturellen Ungleichheit, damit nicht sofort erreicht wird, lohnt es sich, für weniger Ungleichheit zu kämpfen. Jeder Geländegewinn zählt.« Und wie Holm deutlich macht, ist es innerhalb der Verhältnisse eben der Staat, der die bitter nötigen »sozialen Infrastrukturen bereitstellen« kann – nur muss eben die »Dekommodifizierung« etwa des Wohnens politisch gewollt und durchgesetzt werden. Er ruft hierbei die Erinnerung wach an die Thesen des Foundational Economy Collective, die sich der »Ökonomie des Alltagslebens« verschrieben haben und hierzulande viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten.
Ein Problem, das die Gesprächsform mit sich bringt, besteht in den fehlenden konkreten Literaturangaben. Die unmittelbare Weiterbeschäftigung kann nur über den Umweg eigener Literaturrecherche erfolgen. Inhaltliche Referenzpunkte der Gesprächspartner*innen, seien es bestimmte Buchtitel oder Autor*innen, bleiben im Dunkeln. Erst in den nachfolgenden Texten der Herausgeberin werden die Bezüge hergestellt. Der Band ist dennoch nur zu empfehlen, sowohl für Neulinge als auch für Veteran*innen der Gesellschaftskritik. Die Gespräche können ebenso zur Selbstvergewisserung hinsichtlich der eigenen Analyse zur Gegenwart dienen wie als Einführung zu einer umfassenden kritischen Gesellschaftsanalyse.
Sabine Nuss, Andrej Holm, Stephan Kaufmann, Antonella Muzzupappa und Ingo Stützle: Der verdrängte Kapitalismus. Möglichkeiten und Grenzen antifaschistischer Wirtschaftspolitik. Dietz Berlin 2025, 168 S., br., € 14.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195763.gespraechsband-antifa-heisst-kapitalismuskritik.html