»Wir sitzen hier alle auf gepackten Taschen«, sagt Sabine zu »nd«. Noch hat sie die Wohnungslosenunterkunft in der Neuköllner Saalestraße nicht verlassen, doch lange wird auch sie vermutlich nicht mehr bleiben können. Denn weil der Bezirk Neukölln nicht mehr mit dem Betreiber der Unterkunft, der Sunshinehouse Beherbergungsbetriebs GmbH, zusammenarbeiten will, werden die Bewohner*innen nun in andere Unterkünfte verlegt. Doch eigentlich wollten sie alle in der Saalestraße bleiben[1]. »Wir wollen, dass die irgendeine Einigung finden. Und dass der Konflikt nicht auf unserem Rücken ausgetragen wird«, sagt Sabine.
Sabine und die anderen Bewohner*innen der »Saale«, wie sie die Unterkunft nennen, hatten bis vor Kurzem eine verhältnismäßig gute Zeit in der Wohnungslosenunterkunft. Einzelzimmer, barrierearme Räume, Haustiere erlaubt – das gibt es selten in einer sogenannten Asog-Unterkunft. Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (Asog)[2] sieht vor, dass obdachlose Menschen von den Bezirken untergebracht werden müssen. Die Asog-Unterkünfte sollen dabei eigentlich nur für wenige Monate genutzt werden. In der Realität leben Menschen dort aber über viele Jahre hinweg. Mindeststandards gibt es zwar, sozialarbeiterische Unterstützung ist allerdings nicht vorgegeben.
Auch in der Saalestraße gibt es seit 2022 keine soziale Arbeit zur Unterstützung der Bewohner*innen[3] mehr, sagt Sabine. Sie könne verstehen, dass der zuständige Neuköllner Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt (CDU) die Zusammenarbeit mit dem Betreiber beenden möchte. Doch dass deshalb die Bewohner*innen der »Saale« innerhalb kurzer Zeit ausziehen müssen, das findet sie nicht richtig. Nicht nur gehe damit die lange aufgebaute Hausgemeinschaft kaputt – die Umzugsaufforderung setze die Menschen einem solchen Stress aus, dass noch in der Unterkunft lebende suchtkranke Menschen rückfällig geworden seien, so Sabine. »Drei Leute sind wieder den Drogen verfallen, die halten das nervlich nicht aus.«
Besonders stressig sei, dass Bezirksmitarbeiter*innen morgens Bewohner*innen aufsuchten, um ihnen mitzuteilen, dass sie bis abends in eine neue Unterkunft umziehen müssen, berichtet Sabine. Ein Paar mit Haustieren sollte etwa in Wannsee unterkommen. Doch dort seien Haustiere nicht erwünscht gewesen, und die beiden mussten zurück in die »Saale«. Inzwischen hätten sie eine Unterkunft gefunden, die ihren Bedürfnissen entspricht.
Doch die Unterkunftsplätze sind rar, besonders für Menschen mit speziellen Bedürfnissen. Deshalb mussten viele der ehemaligen Bewohner*innen den Bezirk Neukölln verlassen. Sabine selbst bräuchte eine Unterkunft, die rollstuhlgerecht ist und die sie mit ihrem Hund teilen kann. Überhaupt findet sie das Unterfangen, die ehemals 55 Bewohner*innen der Saalestraße auf andere Unterkünfte zu verteilen, nicht sinnvoll: »Jetzt nehmen wir 55 anderen 55 den Platz weg, die dann keine Unterkunft finden. Und hier steht das Haus dann leer.«
Der Betreiber geht inzwischen juristisch gegen den Bezirk vor. Sabine hofft dennoch weiterhin, dass eine Übereinkunft zwischen Betreiber und Bezirk getroffen wird, um die »Saale« zu erhalten. Dabei bekommt sie Unterstützung von der Union für Obdachlosenrechte (Ufo). Ufo und die Bewohner*innen der »Saale« fordern, dass alle so lange bleiben können, bis eine Lösung gefunden ist – mit einem neuen Betreiber der Unterkunft. Die Eigentümerin der Immobilie fordern sie auf, die Zusammenarbeit mit dem Betreiber zu beenden und stattdessen einen gemeinnützigen Betreiber die Unterkunft übernehmen zu lassen.
Uwe Mehrtens von Ufo kennt das Problem, dass wohnungslose Menschen jahrelang in den Asog-Unterkünften leben. Das liege auch an der Wohnungsnot in Berlin, sagt er zu »nd«. Doch es sei ebenfalls ein Problem, wenn private Unternehmen Unterkünfte ohne sozialarbeiterische Betreuung betreiben, sagt Mehrtens. »Menschen leben dadurch jahrelang in diesen Unterkünften und haben keine Chance auf eine eigene Wohnung. Dieses Geschäftsmodell muss enden.« Man wolle am 10. Dezember mit den Bewohner*innen der Saalestraße an der Bezirksverordnetenversammlung im Neuköllner Rathaus teilnehmen und vor dem Gebäude eine Kundgebung organisieren, um sich weiter dafür einzusetzen, dass die »Saale« bleibt.
»Und hier steht das Haus dann leer.«
Sabine Bewohnerin Saalestraße
Für die Bewohner*innen der »Saale« setzt sich auch die Neuköllner Linksfraktion ein. »Es ist ja richtig, gegen Geschäftemacherei mit dem Schicksal von Obdachlosen vorzugehen, aber doch nicht zum Leidwesen der Betroffenen«, teilt deren sozialpolitischer Sprecher Georg Frankl mit. Neukölln müsse eigene Unterkünfte betreiben, sonst »macht es sich durch private Betreiber von Obdachlosenunterkünften erpressbar«, so Frankl.
Der Bezirk könne selbst Immobilien mieten oder pachten und dort mit eigenem Personal und in Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Trägern Unterkünfte betreiben, so Frankl zu »nd«. Leer stehende Gewerbeimmobilien gebe es genügend in Berlin. »Statt Sozialgelder in die Taschen von Unternehmern zu schaufeln, kann Neukölln damit einfach selbst gute Unterkünfte mit eigenem sozialpädagogischen Personal aufbauen.«
Neuköllns Sozialstadtrat Hannes Rehfeldt hält den Vorschlag der Linksfraktion für »abwegig«, wie er auf Anfrage des »nd« mitteilt. Zur Situation in der Saalestraße könne man sich aufgrund der noch laufenden gerichtlichen Auseinandersetzung mit der Sunshinehouse Beherbergungsbetriebs GmbH nicht äußern.
Die Sunshinehouse Beherbergungsbetriebs GmbH teilt »nd« mit, man habe jahrelang keine Erhöhung des Tagessatzes pro Bewohner*in erhalten und deshalb die Kosten nicht mehr decken können. Dadurch habe man die soziale Arbeit nicht mehr finanzieren können. Als sich der Betreiber um eine Erhöhung der Tagessätze beim Bezirk bemüht habe, habe der Bezirk die Zuweisung von wohnungslosen Menschen in die Unterkunft gestoppt.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195764.wohnungsnot-in-berlin-wie-weiter-mit-der-saalestrasse.html