Keynes und seine linke Rezeption

Die Ideen des bedeutenden bürgerlichen Ökonomen werden produktiv genutzt – und abgelehnt

  • Dieter Janke
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein aktueller Sammelband gibt einen guten Überblick über zwiespältige linke Rezeption des Keyenesianismus.

Auch seine heftigsten Kritiker ziehen es nicht ernsthaft in Zweifel, dass John Maynard Keynes der bedeutendste bürgerliche Ökonom des vergangenen Jahrhunderts war. Dennoch geht es ihm wie den meisten Dissidenten. Als vermeintliche Nestbeschmutzer werden sie von ihren ehemaligen Weggefährten besonders beargwöhnt. In einer Umfrage unter »konservativen Wissenschaftlern und führenden Politikern«, die die ihrer Meinung nach gefährlichsten Bücher des 19. und 20. Jahrhunderts nennen sollten, rangiert das Keynes-Hauptwerk von 1936 »Die allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes« noch vor den Büchern W. I. Lenins!

Im linksalternativen Spektrum läuft schon seit mehreren Jahrzehnten eine Debatte über die Bedeutung des Keynesschen Ungleichgewichtsansatzes für kapitalismuskritische Strategien. Die Bewertungen reichen von einer aufgeschlossen produktiven Rezeption bis hin zur schroffen Ablehnung, die nicht zuletzt damit begründet wird, dass auch der englische Lord nur ein »bürgerlicher Ökonom« war, der den Kapitalismus erhalten wollte.

Vor diesem Hintergrund fand im vergangenen Jahr bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin eine internationale Tagung über das Verhältnis linksalternativer Theorie- und Politikansätze zu J. M. Keynes statt. Der jetzt veröffentlichte Sammelband zur Diskussion spannt einen weiten Bogen von der Erörterung theoretischer Problemstellungen bis hin zu solchen eher praktisch-politischer Art. In Polemik zum angebotspolitischen Mainstream in der Wirtschaftswissenschaft, laut dem sich volkswirtschaftliche Gleichgewichte über Marktmechanismen quasi automatisch einstellen, weißt Rudolf Hickel die Aktualität des Keynesschen Theorieansatzes nach. Für entwickelte Ökonomien seien Übersparen und Unterbeschäftigung zwei Seiten derselben Medaille. Der Ausweg: »Stärkung des privaten Konsums durch eine Umverteilung zugunsten der unteren Einkommensgruppen, deren Konsumquote hoch ist, sowie finanzpolitisches Nachfragemanagement mit Unterstützung durch die Geldpolitik.«

Vielfach wird jener makroökonomische Ansatz von Keynes auf seine antizyklische Wirkung hin verkürzt. Karl Georg Zinn weist deshalb zur Recht auf die oft unterschlagenen, strukturellen Konsequenzen der Ungleichgewichtsanalyse hin. Sie erklärt die Unterbeschäftigung als Folge von Stagnationstendenzen in der Langfristperspektive kapitalistischer Volkwirtschaften. Dem könne mit Reformen »entlang der Keynes-schen Projektion«, die bei geringerem Wachstum Vollbeschäftigung durch längere Freizeit herstellen wollen, und über Keynes hinaus mit einer »Neuausrichtung der (Wirtschafts-)Politik auf eine ökosoziale Marktwirtschaft« begegnet werden.

Daran anknüpfend plädiert Klaus Steinitz für eine stärkere Nutzung des Potenzials der keynesianischen Ökonomie für die Aufnahme ökologischer Fragestellungen im Interesse einer nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung. Während Jürgen Leibiger und John Grahl die Hintergründe für das Zurückdrängen des Keynesianismus und den Schwenk zum Neoliberalismus in den vergangenen Jahrzehnten diskutieren, meint Günter Krause, ein in jüngerer Zeit wieder wachsendes Interesse an solchen Theorie- und Politikansätzen zu erkennen.

Aus unterschiedlichsten Gründen tut man sich dabei indes mitunter schwer. So berichtet Sven Giegold von einer Distanz in weiten Teilen der Globalisierungsgegner zu Keynes' Vorschlägen, die vielfach einer »regelrechten Theoriefeindlichkeit« geschuldet ist. Judith Dellheim und Frieder Otto Wolf bringen aus emanzipatorischen Beweggründen Skepsis über die vermeintliche Staatsfixiertheit des englischen Ökonomen zum Ausdruck. Miren Etxezarreta geht davon aus, dass die Globalisierung die Umsetzung einer an Keynes orientierten Wirtschafts- und Finanzpolitik auf EU- Ebene unmöglich macht.

Der lesenswerte Band dokumentiert indes auch ein substanzielles Defizit der derzeitigen Keynes-Rezeption – sie kommt in weiten Teilen relativ geschichtslos daher. Die Hintergründe des Ungleichgewichtsansatzes wie auch der darauf beruhenden Stagnationsthese als Kernelemente seines Konzepts bleiben weitestgehend ausgeblendet. Darunter leiden das tiefere Verständnis für Keynes' Bruch mit dem tradierten liberalen Ansatz und die Schärfe in der Polemik mit dem Neoliberalismus.

Günter Krause (Hrsg.), Keynes als Alternative(r)? Argumente für eine gerechtere Wirtschaft (Vorwort: Michael Brie), Karl Dietz Verlag, Berlin, 2007, 272 Seiten, 19,90 Euro.

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