Die Europäische Union intensiviert die Kooperation ihrer zivil-militärischen Missionen EUBAM und IRINI mit Behörden in Libyen, um deren Kapazitäten im Grenz- und Migrationsmanagement zu stärken. Beide arbeiten nun enger mit der libyschen Küstenwache zusammen – erstmals auch aus Benghazi im Osten, das sich mit der Regierung im Westen in Tripolis in einem mitunter bewaffnet ausgetragenen Konflikt befindet. Auch die EU-Grenzagentur Frontex soll die libysche Küstenwache nun unterstützen.
Die EU-Kommission bestätigt die neuen Pläne in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage[1] der Linke-Abgeordneten Özlem Demirel und spricht von einem »technischen Dialog«. Am 14. Oktober 2025 war eine Mission beider Regierungen Libyens dazu zu Frontex nach Warschau gereist. Tags darauf besuchte die Delegation die EU-Kommission in Brüssel.
Den »gemeinsamen technischen Dialog« hatte die Kommission bereits 2024 ins Leben gerufen – zunächst aber ohne Beteiligung Libyens. Zu Treffen eingeladen waren der Auswärtige Dienst »mit den für Migration, Grenzmanagement, Bekämpfung von Schleuserkriminalität und Menschenhandel in Libyen zuständigen Behörden«. Der Arbeitsgruppe gehört auch die militärische Mittelmeermission IRINI an. Die Polizeimission EUBAM Libyen fungierte zunächst als Beobachterin. Nun werden beide Missionen mit dem Kapazitätsaufbau der Küstenwachen in West- und Ostlibyen beauftragt.
IRINI unterstützt seit 2015 – damals noch als Operation Sophia – als Nebenaufgabe die Migrationskontrolle Libyens und das Abfangen von Flüchtlingsbooten durch dessen Behörden. Zwei Marineschiffe und sechs Flugzeuge, darunter eines der deutschen Luftwaffe, patrouillieren vor der libyschen Küste. Italien und Frankreich stellen große Militärdrohnen vom Typ Reaper, Italien zusätzlich ein U-Boot.
Die EUBAM-Mission ist eigentlich – auch unter Beteiligung der Bundespolizei – für den Ausbau der Überwachung an den Landgrenzen Libyens zuständig. Nun soll sie die Küstenwache beim Aufbau einer gemeinsamen Rettungsleitstelle (JRCC) unterstützen. Diese Stelle nimmt Meldungen von Frontex oder italienischen Behörden[2] entgegen, wenn diese Flüchtlingsboote auf dem Weg nach Europa entdecken.
Seit 2017 wird der Aufbau dieses JRCC von der EU finanziert, damit beauftragt ist Italien. Weder die EU-Kommission noch der Rat konnten in den vergangenen Jahren mitteilen, wo sich die EU-finanzierte Leitstelle in Tripolis befindet – oder ob dieses JRCC nach Ausgaben von 60 Millionen Euro überhaupt einsatzbereit ist.
Erst im Oktober 2024[3] – mithin sieben Jahre nach Projektbeginn – wurde schließlich im Westen Libyens eine containerbasierte maritime Leitstelle in Betrieb genommen. Dazu gehört auch ein Turm mit verschiedener Technik, darunter zur Ortung von größeren Schiffen und Kommunikation. Dafür war offenbar die EUBAM-Mission verantwortlich, die auch Mobiliar und technische Ausrüstung geliefert haben soll. Das Militär aus Malta übernahm weiter Ausbildungsmaßnahmen für libysches Personal zu Rettungsoperationen, Navigation und »Datenanalyse«.
Im April organisierte EUBAM schließlich einen Workshop für Libyen zur Zusammenarbeit von Seenotleitstellen im zentralen Mittelmeer. Zehn libysche Beamte wurden dort für Aufgaben als Koordinatoren von Such- und Rettungseinsätzen in Leitstellen sowie auf Einsatzschiffen geschult. Eine Beobachtung der Veranstaltung im sizilianischen Catania wurde »nd« nicht gestattet: Obwohl es sich um eine EU-Veranstaltung handelte, erklärte die Kommission, nicht für derartige Genehmigungen zuständig zu sein.
»Das ist kein ›technischer Dialog‹, sondern aktive Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen«, sagt dazu die Fragestellerin Özlem Demirel. Etliche Berichte geben ihr recht: Seit ihrem Bestehen ist die libysche Küstenwache wegen ihrer Brutalität gegenüber Geflüchteten und Seenotretter*innen der zivilen Flotte im Mittelmeer bekannt. Schon 2016[4] wurde auf Rettungsschiffe geschossen – derartige Vorfälle häuften sich in den vergangenen Jahren deutlich[5]. Deshalb steht die libysche Regierung auch unter Druck der EU: Die Kommission hat deren Verbrechen nach nd-Informationen auch bei den »technischen Treffen« angesprochen.
Geholfen hat es bislang nichts: Sogar während des jüngsten Besuchs[6] der libyschen Küstenwache in der EU eröffnete eine ihrer Milizen das Feuer auf Menschen in einem Boot auf dem Mittelmeer und traf dabei einen Mann in den Kopf, er wurde schwer verletzt.
Derartige Vorfälle sind mehr als ein Imageproblem für die EU. Deshalb will die Kommission jetzt verstärkt das Gespräch mit der zivilen Rettungsflotte suchen. Den Rest soll EUBAM richten: Die Mission ist beauftragt, die libyschen Behörden bei der Entwicklung eines »nationalen Seenotrettungsplans« zu unterstützen, der internationalen Standards genügt – oder wenigstens den Anschein erweckt.
»Anstatt eines Ausbaus der Kooperation mit der libyschen Küstenwache müssten die EU und ihre Mitgliedstaaten jegliche Zusammenarbeit sofort aussetzen«, sagt die Linke-Politikerin Demirel. »Es ist glasklar dokumentiert, dass die sogenannten Küstenwachen kriminelle Milizen sind, verantwortlich für Folter, Menschenhandel und Tod.«
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195786.eu-migrationsabwehr-mehr-frontex-fuer-libyen.html