nd-aktuell.de / 27.11.2025 / Politik

Joachim Schaefer: Mit der Kamera gegen rechte Gewalt

Pastoralreferent Joachim Schaefer dokumentiert seit Jahren die rechte Szene

Patrick Lempges
Joachim Schaefer dokumentiert rechte Demonstrationen auf »hessencam«.
Joachim Schaefer dokumentiert rechte Demonstrationen auf »hessencam«.

In Wetzlar weiß man seit Langem, dass Joachim Schaefer keiner ist, der wegschaut. Der Pastoralreferent, 1961 in Koblenz geboren, hat sich über Jahrzehnte einen Ruf erarbeitet, den man in kirchlichen Kreisen selten hört: unbequem, beharrlich, politisch – und von rechts gleichermaßen gefürchtet wie verachtet. Schaefer ist jemand, der die Frage, was Kirche heute sein soll, nicht theoretisch verhandelt, sondern zwischen Neonazis, Querdenker*innen und verunsicherten Jugendlichen mit einer Kamera in der Hand beantwortet.

Weit über Mittelhessen hinaus bekannt wurde er durch sein Videoprojekt »hessencam[1]«, das er seit mehr als einem Jahrzehnt betreut. Was als Jugendmedienarbeit begann, entwickelte sich zu einer Chronik des Rechtsrucks. Während sich viele Bistümer noch darüber stritten, wie politisch die katholische Jugendarbeit sein dürfe, stand Schaefer längst auf der Straße und dokumentierte die Realität[2]: Drohungen, Einschüchterungen, Gewalt. Nicht selten gegen ihn selbst. Seine Methode ist ungewöhnlich. Er lässt Menschen reden, hört zu – manchmal länger, als man es selbst beim Ansehen der Videos aushält. AfD-Veranstaltungen, rechtsextreme Aufmärsche, verschwörungsideologische »Montagsspaziergänge« – Schaefer filmte, fragte nach, hielt drauf, wenn andere längst weitergingen. Die Angriffe auf ihn folgten prompt: beleidigt, geschubst, bedroht, angezeigt. Trotzdem steht er am nächsten Wochenende wieder da.

Sein Engagement gegen Rechtsextremismus hat einen theologischen Hintergrund: Schaefer ist geprägt von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, die er während eines längeren Aufenthalts in Chile kennenlernte. Die Kirche könne demnach auch politisch sein – wenn sie die Perspektive derer einnimmt, die keine Stimme haben. Diese Haltung und Erfahrungen aus Armenvierteln haben ihn nie verlassen.

Schon 2008 war er dann ins Visier der lokalen Neonaziszene geraten. 2010 brannte sein Haus, angezündet von vier Rechtsextremen. Seine damalige Frau und mehrere seiner Kinder schliefen im Gebäude. Allein durch wachsame Augen der Nachbarn, die den Brand bemerkten, wurde eine Katastrophe verhindert. Der Haupttäter, Francesco M., erhielt später eine mehrjährige Haftstrafe. Fünfzehn Jahre danach, im Frühjahr 2025, erschoss derselbe Mann eine 17-Jährige, die sich von ihm getrennt hatte – ein Femizid[3], der bundesweit Entsetzen auslöste. Für Schaefer war die Nachricht ein Stich ins Herz. Trotz der persönlichen Vorgeschichte hatte er über Jahre versucht, den Täter aus der Szene zu lösen. Für ihn steht fest: Die Gewalt kam nicht aus dem Nichts.

Bei vielen jungen Rechten[4] erkennt er heute ähnliche Muster – das Denken in Feindbildern, Überlegenheitsfantasien, ein wahnhaftes Bedürfnis nach Kontrolle und Macht. Er warnt vor der Formierung einer neuen rechten Jugendbewegung im Land.

Er selbst unterrichtet in einer Förderschule, arbeitet mit Jugendlichen. Viele von ihnen haben durch »hessencam« gelernt, die richtigen Fragen zu stellen, eine Kamera zu halten und was »gelebte Demokratie« bedeutet.

Links:

  1. https://www.hessencam.de/
  2. https://www.youtube.com/HessenCam
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195684.gewalt-an-frauen-todesfalle-partnerschaft.html
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191614.hohenschoenhausen-jugendliche-neonazis-bauen-permanente-bedrohungslage-auf.html