nd-aktuell.de / 27.11.2025 / Sport

Die deutschen Handballerinnen lösen den Knoten

Den DHB-Frauen gelingt gegen Island ein erfolgreicher Auftakt in die Heim-WM

Erik Eggers, Stuttgart
Die 21-jährige Nieke Kühne (M.) überzeugte bei ihrem WM-Debüt gegen Island mit fünf Treffern.
Die 21-jährige Nieke Kühne (M.) überzeugte bei ihrem WM-Debüt gegen Island mit fünf Treffern.

Die ersten Schreckmomente haben die deutschen Handballerinnen nun schon hinter sich gelassen. Am Mittwoch waren sie einige Minuten ohne Tor geblieben in ihrem Auftaktspiel zur 27. Weltmeisterschaft[1] der Frauen. Das Team um Kapitänin Antje Döll führte Mitte der zweiten Halbzeit beim Stand von 24:21 nur noch mit drei Toren gegen Island. Die Folge: Raunen auf den Rängen der mit 5527 Fans vollbesetzten Stuttgarter Porsche-Arena. Auch nach der Auszeit von Bundestrainer Markus Gaugisch in der 46. Minute hakte es im Angriff.

Doch dann löste sich der Knoten mit einer einzigen spektakulären Aktion: Die Bensheimerin Nina Engel passte über die gesamte isländische Abwehr hinweg auf Emily Vogel, die, in der Luft den Ball annehmend, zum 25:21 verwertete. Dieser sehenswerte »Kempa-Trick« ließ das Publikum jubeln, die Spielerinnen strahlten. Danach strebte die Auswahl des Deutschen Handballbundes[2] (DHB) unaufhaltsam dem letztlich deutlichen 32:25-Sieg entgegen. »Die Stimmung war überragend«, sagte nach der Partie Alina Grijseels, die Regisseurin aus Dortmund, die mit sieben Toren erfolgreichste deutsche Schützin war.

Machbare Gegner bis zum Viertelfinale

Island, 25. der WM 2023, ist freilich nicht der Maßstab. Für die deutschen Ko-Gastgeberinnen zählen nicht weniger als die Medaillenspiele, die in der riesigen Ahoy Arena in Rotterdam angesetzt sind, also beim anderen Ko-Organisator Niederlande. »Das Ziel ist ganz klar das Halbfinale. Wann wollen wir es denn sonst schaffen, wenn nicht bei der Heim-WM?«, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann vor dem Turnier. »Und wenn wir im Halbfinale sind, dann wünsche ich den Frauen natürlich auch eine Medaille.«

Zwingend nötig dafür sind weitere Siege in der Vorrunde von Stuttgart. Dort trifft das Team an diesem Freitag auf den krassen Außenseiter Uruguay und am Sonntag auf Serbien. Die ersten drei Mannschaften qualifizieren sich für die Hauptrunde in Dortmund und nehmen die untereinander ausgespielten Punkte dorthin mit. In der Westfalenhalle warten mutmaßlich Montenegro, Spanien und die Färöer-Inseln – alles Mannschaften, die ebenfalls schlagbar sein sollten. Insofern läuft alles zu auf einen Showdown im Viertelfinale, in dem, ebenfalls in Dortmund, wohl Schweden oder Norwegen warten.

Eine lange Durststrecke soll enden

Sein Team müsse Stabilität beweisen und in einem möglichen Duell mit den skandinavischen Top-Teams eine »High-End-Leistung« aufs Parkett zaubern, forderte Bundestrainer Gaugisch vor der WM. »Wenn wir die bringen, sind wir konkurrenzfähig.« Das größte Pfund auf dem Weg zu den Medaillen soll der Rückhalt auf den Rängen sein. Wie viel Druck die über 11 000 Menschen in der mythischen Dortmunder Westfalenhalle entfachen können, genossen 2007 bereits die deutschen Männer auf ihrem Weg zum »Wintermärchen«. »Es ist schon was anderes, wenn du in Dortmund 10 000 Leute hinter dir hast«, sagt Gaugisch. »Da kannst du wachsen. Wir alle wollen gewinnen, entsprechend müssen wir alles raushauen, was wir haben.«

Wie wenig selbstverständlich der Gewinn eines Edelmetalls allerdings ist, demonstriert der Blick in die Historie[3]. Die letzte Medaille liegt 18 Jahre zurück: 2007 in Paris ergatterten Grit Jurack, Nadine Krause & Co. eine Bronzemedaille. Danach reichte es nur noch einmal, bei der EM 2008 bei einem großen Turnier zum Einzug ins Halbfinale. Weshalb die Deutschen auch bei diesem Turnier bei den Wettanbietern nur auf Platz sieben rangieren, deutlich hinter den Topfavoriten aus Norwegen, Dänemark und Frankreich.

Große Erfahrung im deutschen Rückraum

Oft schon zerstoben die Hoffnungen auf eine Rückkehr in die Weltspitze. Schon vor dem WM-Viertelfinale 2023 hatten die deutschen Profis sich stark geredet und sich in Schlagweite der großen Teams gewähnt. Doch dann kollabierten sie im dänischen Herning spektakulär gegen die Schwedinnen, als sie in den ersten 14 Minuten keinen Treffer erzielten und zur Pause 6:16 zurücklagen. Nun soll alles anders werden. Falls dies nicht gelingt, wäre es wohl, da der Fokus schon seit Jahren auf der Heim-WM liegt, um den Job des seit 2022 amtierenden Bundestrainers Gaugisch geschehen.

Um das zu verhindern, setzt der 51-Jährige vor allem auf sein erfahrenes Rückraum-Trio: die aus Belgien eingebürgerte 148-fache Nationalspielerin Xenia Smits, die als Allrounderin seit Jahren Weltklasse verkörpert, Regisseurin Grijseels (115 Länderspiele) und Emily Vogel (141). Die Entwicklung von Grijseels und Vogel stagnierte allerdings zuletzt, weshalb viele Experten die 25-jährige Aufbauspielerin Annika Lott vom französischen Champions-League-Teilnehmer Brest eher als Schlüsselfigur im deutschen Angriff sehen. Lott laboriert allerdings an einer Schulterverletzung und fehlte deswegen noch gegen Island.

Wie schlagen sich die Talente auf der WM-Bühne?

Auf der anderen Seite hofft das deutsche Team auf den internationalen Durchbruch zweier junger Linkshänderinnen, die in ihrer Spielanlage sehr unterschiedlich sind: Die 21-jährige Viola Leuchter, die bei Odense in der starken dänischen Liga unter Vertrag steht, ist mit ihren 1,85 Metern Körpergröße eine klassische Shooterin, während die 22-jährige Nina Engel mit ihrer bereits stark entwickelten Spielintelligenz auch durch dichte Abwehrriegel durchbrechen kann.

Gegen Island bewies jedoch noch ein anderes »Küken« der deutschen Mannschaft ihr großes Potenzial. Die 21-jährige Nieke Kühne aus Blomberg erzielte bei ihrem WM-Debüt direkt fünf Treffer. »Diesen Tag werde ich so schnell nicht vergessen«, freute sich die Rückraum-Rechtshänderin. Gemeinsam mit Leuchter (vier Tore) und Engel (zwei) sorgte sie dafür, dass das DHB-Team die ersten komplizierten Momente des Heimturniers erfolgreich bewältigt hat.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195716.handball-die-handball-wm-der-frauen-ein-schrei-nach-gleichberechtigung.html?sstr=handball
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1191052.handball-die-jugend-macht-druck-in-der-handball-nationalmannschaft.html?sstr=dhb
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1183956.handball-der-frauen-olympia-comeback-nach-jahren-dhb-frauen-mit-zwei-zielen.html?sstr=gaugisch