nd-aktuell.de / 28.11.2025 / Kommentare

Grundlos Panik in Gießen

Sebastian Weiermann über die Panikmache rund um den Protest gegen die AfD in Gießen

Sebastian Weiermann
Die Messehallen in Gießen. Hier soll am Wochenende die neue Nachwuchsorganisation der AfD gegründet werden.
Die Messehallen in Gießen. Hier soll am Wochenende die neue Nachwuchsorganisation der AfD gegründet werden.

»Wir haben langjährige Blutspender gebeten, kurzfristig zu spenden«, erklärt eine Sprecherin des Uniklinikums Gießen-Marburg dem »Focus«. In der »Frankfurter Rundschau« berichten Rettungsorganisationen, dass sie am Wochenende Gießener Turnhallen in Behandlungsplätze umbauen und Eltern ist an diesem Freitag freigestellt worden, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken.

Ja, Gießen ist[1] mit seinen 90 000 Einwohner*innen nicht Berlin oder Hamburg, und ein großes Protestereignis wie die Neugründung der AfD-Jugend[2] und die angekündigten Blockaden dagegen sorgen für Verunsicherungen in der Stadt. Das ist in Ordnung. In Ordnung ist auch, wenn sich Einzelhändler*innen und die Betreiber*innen von Weihnachtsmarktständen Sorgen machen und einen Umsatzeinbruch am Wochenende befürchten. Sie sind keine Demo-Profis.

Bei Polizei, Stadt und auch Medien arbeiten aber erfahrene Menschen, die in der Lage sein sollten, richtig einzuordnen, was am Wochenende auf Gießen zukommt.[3] Ein einzelner Aufruf, in dem ein brennendes Gießen herbeigeschrieben wird, ist nicht stilbildend für den antifaschistischen Protest. Das weiß man auch im hessischen Innenministerium, bei Polizeigewerkschaften und in Medienhäusern. Trotzdem dominieren Statements die Berichte, die eine Art kleinen Bürgerkrieg in Mittelhessen prophezeien.

Das ist weder richtig noch sinnvoll. Demonstrieren ist in Deutschland in aller Regel eine ziemlich sichere Angelegenheit, bei der den wenigsten Menschen etwas passiert. Wenn nun, wie im Fall von Gießen, gewalttätige Horrorszenarien gezeichnet werden, delegitimiert das den Protest schon im Voraus und schreckt Menschen ab. Wenn Medien das tun, weil es Klicks bringt oder zu ihrer politischen Ausrichtung passt, kann man dagegen wenig tun. Behördenvertreter*innen, die unentwegt auf den Panic-Button drücken, sollten aber daran erinnert werden, dass die Versammlungsfreiheit ein wichtiges demokratisches Gut ist, das auch nicht durch unsachliche Gefahrenprognosen beschädigt werden sollte.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195632.antifaschismus-giessen-will-protest-gegen-afd-jugend-einschraenken.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195796.generation-deutschland-afd-jugend-nationalistische-kaderschmiede.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195808.anti-afd-proteste-in-giessen-proteste-gegen-rechts-in-giessen-junge-brandstifter-blockieren.html