nd-aktuell.de / 28.11.2025 / Politik

Bag Shalom: »Die Gefahr ist dem Parteivorstand nicht bewusst«

Eine neue Arbeitsgemeinschaft beschäftigt sich mit Antisemitismus in der Linken

Sebastian Weiermann
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom kritisiert ihrer Meinung nach antisemitische Tendenzen in der linken Palästina-Solidarität.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft Shalom kritisiert ihrer Meinung nach antisemitische Tendenzen in der linken Palästina-Solidarität.

Warum braucht die Linke eine bundesweite Arbeitsgemeinschaft zu Antisemitismus und Antizionismus?

Thomas Dudzak: In der Vergangenheit war es nicht notwendig, Solidarität mit Jüdinnen und Juden explizit zu organisieren. Das war eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber mittlerweile ist es mit dem Konflikt, der mit dem 7. Oktober 2023 auch in die deutsche Linke eingebrochen[1] ist, leider notwendig geworden, sich explizit zu organisieren. Nicht zuletzt auch deswegen, weil für einige Teile der politischen Linken, die ihre Repräsentanz zum Teil auch in der Partei Die Linke[2] sehen, Antisemitismus verhandelbar geworden ist.

Woran machen Sie das fest?

Das fing nicht erst bei diesen absurden Definitionsdebatten an, da wurde es aber besonders deutlich: Wir hatten mit der Diskussion um die IHRA- und JDA-Antisemitismusdefinition[3] auf dem Parteitag[4] den absurden Umstand, dass wir als Partei plötzlich Betroffenen erklären wollten, welche Antisemitismus-Definition denn nun für sie die richtige sei. Das haben wir kritisiert. Aber dieser Beschluss wird mittlerweile von Leuten, die sich in Abgrenzung zur IHRA sehr stark auf die Jerusalemer Erklärung berufen haben, genutzt, um Positionen zu reproduzieren, die sowohl nach der IHRA-Definition[5] als auch nach der JDA eindeutig antisemitisch sind. Es geht einigen offenkundig darum, den in der Partei und Gesellschaft legitimen Meinungsrahmen immer weiter auszudehnen, um Positionen setzen zu können, in denen beispielsweise sagbar wird, dass die Vergewaltigung israelischer Frauen legitimer Widerstand sei. Das sind Sachen, die sind bitter.

Bei der Gründung der Bag Shalom kamen am vergangenen Wochenende Menschen aus vielen Orten in ganz Deutschland zusammen. Was haben die über die Auseinandersetzung mit innerlinkem Antisemitismus berichtet.

Die haben Erschreckendes berichtet, was sich aber relativ stark ähnelt. Es scheint vom Sprechzettel eines altsowjetischen Antisemitismus und Antizionismus wieder einiges in die Partei gespült worden zu sein. Und die Personen, die so was vertreten, sind zu keinem Kompromiss bereit. Entweder man stellt sich unmittelbar gegen den Staat Israel und seine Bewohnerinnen und Bewohner oder es ist für sie keine legitime Position. Man ist dann schnell ein »zionistischer Agent« oder ähnliches. Das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels, das im Erfurter Programm, dem Parteiprogramm der Linken festgehalten wurde, wird so massiv angegriffen. Im Ergebnis ist da keine ausgewogene Position zum Nahost-Konflikt gewünscht. Das führt allerdings nicht zu einer breiten Mobilisierung innerhalb der Gesellschaft, beispielsweise für einen gerechten Frieden in Nahost, wo wir selbstverständlich die Letzten sind, die sich dagegen aussprechen würden. Sondern das führt am Ende des Tages zu einer gesellschaftlichen Isolation der politischen Linken und zu einer Sekte.

Israelsolidarischen Linken wird oft vorgeworfen, autoritäre Maßnahmen, die vermeintlich der Antisemitismus-Bekämpfung dienen, zu unterstützen und letztlich nur eine Position zu vertreten, die bei der konservativen »Staatsräson« herauskommt. Wie stehen Sie zu solchen Vorwürfen?

Zunächst muss man sagen, dass die Bag Shalom[6] nicht die Bag Nahost-Konflikt oder Israel-Solidarität ist. Wir sind eine Bundesarbeitsgemeinschaft, die sich explizit gegen jeden Antisemitismus einsetzt. Das schließt selbstverständlich auch israelbezogenen Antisemitismus mit ein und den können wir in einer Linken nicht dulden. Gleichzeitig haben wir uns als Linke stets engagiert gegen staatliche Repressionen, insbesondere gegenüber Zivilgesellschaft und Menschen, die ihre Meinung auf die Straße tragen. Das muss selbstverständlich auch in der Palästina-Solidarität möglich sein.[7] Ein repressives, autoritäres Auftreten staatlicher Behörden gegen legitimen Protest unter dem Deckmantel der Antisemitismusbekämpfung ist entschieden zu widersprechen. Die Grenze des palästinasolidarischen Engagements ist jedoch notwendigerweise das Strafrecht: Wo vermeintliche Palästina-Solidarität zur Maske für Hass und Hetze[8] wird, da ist Schluss.

Wo verläuft aus ihrer Sicht die Grenze zwischen politischer Kritik an Israel und israelbezogenem Antisemitismus?

Politische Kritik an Israel ist mit Kritik an anderen Staaten vergleichbar. Sie ist sachlich, kann auch hart sein, bezieht sich jedoch auf konkrete Handlungen oder Entscheidungen beispielsweise der israelischen Regierung, der Armee oder in der Siedlungspolitik, ohne das generelle Existenzrecht Israels zu negieren oder tradierte, judenfeindliche Klischees auf Israel zu projizieren. Eine Umwegkommunikation, die Israel stellvertretend als »kollektiven Juden« angreift, delegitimiert und gegenüber Israel doppelte Standards erhebt, geht über die Grenze legitimer politischer Kritik hinaus.

Gibt es aus Ihrer Sicht beim Parteivorstand ein ausreichendes Problembewusstsein für die antisemitischen Ausfälle in Teilen der Partei?

Ich glaube nicht, dass das Gremium in seiner Gesamtheit verstanden hat, was in der Partei gerade passiert und was hier gerade ins Rutschen geraten ist. Der Parteivorstand versucht sich als eierlegende Wollmilchsau, indem er probiert, die eine Seite zu bedienen, die man aber eben nicht bedienen kann, wenn dabei nicht die hundertprozentige Übernahme von deren Position herauskommt. Zum anderen versucht der Vorstand trotzdem weiter, gesellschaftlich anschlussfähig zu bleiben. Beides zusammen geht aber nicht. Und ich glaube tatsächlich, die Gefahr, die dahintersteht, ist dem Parteivorstand in Gänze noch nicht bewusst.

Sie haben mehrfach von einer Position, die befriedet, gesprochen. Wie sieht aus Ihrer Sicht ein linker Minimalkonsens in Sachen Nahost-Konflikt aus?

Minimalkonsens der Linken in Sachen Nahost-Konflikt war viele Jahre lang das Bewusstsein, dass man sich natürlich sowohl für die eine als auch für die andere Seite solidarisch zeigen kann und dass man in jedem Falle Empathie zeigen muss. Aber wir wussten auch, dass wir hier in Deutschland nicht in der Lage sind, den Nahost-Konflikt per Beschluss zu beenden. Hauptfokus linker Politik war zunächst der Fokus auf die Änderung der bestehenden Verhältnisse hier im Land. Bezogen auf Nahost sollte sich Die Linke mit den Kräften – sowohl in Israel als auch in den palästinensischen Gebieten – solidarisieren und diese bestärken, die versuchen, eine friedliche Lösung des Nahost-Konflikts herbeizuführen. Das kann natürlich nicht die rechte israelische Regierung sein, die daran kein Interesse hat und deren Protagonisten teilweise menschenverachtende Positionen in Bezug auf Gaza geäußert haben. Aber wir müssen uns mit den Teilen der israelischen Gesellschaft gemein machen, die für den Ausgleich und für den Frieden werben – und die am 7. Oktober zu einem nicht geringen Teil auch zu Zielen geworden sind. Diese haben unsere volle Solidarität verdient, wir können sie nicht einfach ignorieren. Auf der anderen Seite muss eine Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung selbstverständlich sein. Auch ihr Leid kann man nicht ignorieren. Aber die palästinensische Zivilbevölkerung steht von zwei Seiten unter Druck: auf der einen Seite natürlich durch die israelische Kriegsführung. Auf der anderen Seite selbstverständlich auch durch und gerade durch die Hamas, die jeden Willen des Selbstbestimmungsrechts der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza negiert und gewaltsam unterdrückt.

Für Parteiausschlüsse gibt es in Deutschland hohe Hürden, bei der Linken wegen ihrer stalinistischen und staatssozialistischen Geschichte sind die Hürden noch mal höher. Vor diesem Hintergrund war der Ausschluss von Ramsis Kilani gerechtfertigt?

Selbstverständlich! Ramsis Kilani[9] hat jegliche Grenze überschritten, die eine legitime linke Position sein könnte. In einer feministischen und universalistischen Partei kann man sich so nicht äußern. Dementsprechend war der 20-seitige Beschluss der Berliner Schiedskommission vollkommen korrekt begründet. Den neuen Beschluss kenne ich noch nicht, aber ich gehe davon aus, dass man sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat. Und vor dem Hintergrund, dass Parteiausschlüsse bei uns wirklich selten und mit hohen Hürden verbunden sind, sollte man sich klarmachen, dass da keine »kritische Stimme« angegangen wird, sondern klare Verstöße gegen Grundsätze unserer Partei sanktioniert wurden. Das ist hinzunehmen.

Glauben Sie, Die Linke ist noch der richtige Ort für antisemitismuskritische Positionen, wie Sie sie vertreten? Gerade vor dem Hintergrund, dass Sie das andere Lager als sehr laut und nach Dominanz strebend beschreiben.

Ja, ich denke, die wenigsten, die sich der palästinensischen Sache besonders verbunden fühlen, sind Antisemiten. Viele fühlen sich durch emotionalisierende Botschaften der letzten zwei Jahre angesprochen. Und viele glauben wahrscheinlich, sich entscheiden zu müssen: Entweder oder. Das Entscheidende für eine linke Partei ist jedoch, die Grautöne zu sehen. Man kann sich nicht einfach mit der einen oder anderen Seite gemein machen. Unsere Solidarität gehört weder der israelischen Regierung noch Islamisten. In der Friedensfrage darf Die Linke es sich nicht einfach machen und muss immer an der Seite der Vernunft und der Menschen stehen. Genau deswegen engagieren wir uns. Wir haben in Deutschland nur diese eine linke Partei, und eine antizionistische oder im schlimmsten Fall antisemitische Linke können wir uns einfach nicht leisten.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195337.naher-osten-die-linke-und-israel-knapp-daneben-ist-auch-vorbei.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195421.landespolitik-berliner-linke-vor-landesparteitag-dissonanz-droht.html
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Jerusalemer_Erklärung_zum_Antisemitismus
  4. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1186145.nahost-debatte-linke-mit-innerparteilichem-friedensvertrag.html
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/International_Holocaust_Remembrance_Alliance#Arbeitsdefinition
  6. https://bag-shalom.de/
  7. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195737.naher-osten-palaestina-solidaritaet-deutschland-als-labor-der-repression.html
  8. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195782.linke-anfragen-statistik-des-bka-deutlich-weniger-antisemitische-straftaten.html
  9. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195649.naher-osten-krieg-in-gaza-die-linke-schliesst-ramsis-kilani-aus.html