Steine im Weg

Werner Hecht beschreibt Brechts Leben in schwierigen Zeiten

  • Klaus Bellin
  • Lesedauer: 5 Min.
Moskau, 25. Mai 1955: Konstantin Fedin gratuliert Bertolt Brecht zum Stalin-Preis.
Moskau, 25. Mai 1955: Konstantin Fedin gratuliert Bertolt Brecht zum Stalin-Preis.

Brecht, suggeriert eine schlichte Melodie, ist out. Einer von gestern. Wer als fein gilt, sagt Martin Walser, distanziert sich von ihm. Das war 1981, als Brecht 25 Jahre tot war. Daran hat sich, noch einmal 25 Jahre später, nichts geändert. »Es ist erstaunlich«, stand im August 2006 im Frankfurter Sonntagsblatt, »wieviel Amtlichkeit und Orthodoxie und Klassikerverehrung noch die Neuerscheinungen dieses Brecht-Jahres prägen … Sollte es sein, daß diese Menschen hinter ihren Bücherbergen noch nichts davon gehört haben, daß Brecht seit 50 Jahren tot ist?«

Die Worte sind noch nicht richtig verklungen, da kommt wieder ein Schwerhöriger daher, der nicht wahrhaben will, was die City seit langem predigt. Er heißt Werner Hecht und ist unter den Brecht-Kennern einer der namhaftesten, Mitherausgeber der Großen kommentierten Berliner und Frankfurter Ausgabe, Autor einer dicken, fulminanten Brecht-Chronik, die auch ein grandioses Zeitmosaik ist und im vorigen Jahr noch mit einem Nachtragsband ergänzt wurde. Allein in dieser schmalen Broschur, von der öffentlich kaum die Rede war, hat Hecht Fakten ans Licht gebracht, die noch nirgendwo standen. Er ist ein Mann, der sich den einfachen Antworten hartnäckig verweigert. Der fragt und bohrt und die Brecht-Verächter und Legendenhüter mit Kenntnissen straft.

Auch sein neues Buch, das morgen bei Suhrkamp Buchpremiere hat, ist aus dieser Haltung geboren. Es ist höchste Zeit, sagt Hecht, das Brecht-Bild unter der Schminke freizulegen. Die einen suchten, als alle Boykotte nicht halfen, lange und in intensiver, schizophrener Anstrengung den Dichter vor dem politischen Brecht zu retten, die anderen, nicht minder emsig, präparierten ihn nach seinem Tod zum feinen, makellosen Vorzeige-Dichter. Werner Hecht holt unter den ideologischen Trümmerhaufen nun die Zeugnisse hervor, die den Verzerrungen, Entstellungen und Vereinfachungen widersprechen. Er liefert keine neue Biografie. Sein Buch nähert sich Brecht punktuell. Er schreibt Geschichten, die zwischen Essay und Erzählung pendeln. Sie beginnen mit dem Kind Brecht, seiner Vaterliebe, dem Verhältnis zu den eigenen Kindern und enden mit dem Rückzug nach Buckow und dem Tod im August 1956. Dazwischen Kapitel über die Plagiatsvorwürfe und wie der rasante Autofahrer es schaffte, nach einem Unfall mit Totalschaden kostenlos zu einem neuen Steyr zu kommen, über den Umgang mit der Bibel, die Liebschaften, die Liebe zur Weigel (deren Schauspielkunst Brecht mit seinen Ansprüchen erst einmal formte) und die Flucht vor den Nazis. Das alles hat man schon irgendwo gelesen, etwa in Werner Mittenzweis großer, wunderbarer Biografie, aber noch nie so detailliert und verblüffend neu, angereichert mit neuen Fakten. Inzwischen stehen ja auch ein paar Archivtüren offen, die lange fest verriegelt waren.

Wichtig und großartig ist dieses Buch vor allem in den Teilen, die den politischen Brecht zeigen, seine Haltung zu Stalin und zur Sowjetunion, zu den »Murxisten«, wie er die Verfechter der reinen Lehre spöttisch nannte, und zur DDR. Unter der Überschrift »Die Rückkehr« erzählt Werner Hecht, wie Brecht, endlich wieder in Europa, auf eine Tätigkeit an den Kammerspielen in München hoffte. In die Ostzone, wo man ihn beaufsichtigen und der Zensur unterwerfen würde, wollte er nicht. Aber der Münchner Traum platzte. Das Außenministerium in Washington verweigerte das Visum. Der Chef der amerikanischen Kulturabteilung in Westberlin empfahl seinem sowjetischen Kollegen Dymschitz daraufhin, den Heimkehrer nach Ostberlin zu holen. Brecht, auf der Suche nach einer Möglichkeit, sein neues Theater ausprobieren zu können, fuhr hin und sah sich vier Monate lang um. Die Skepsis blieb. Neuer Anlauf in der Schweiz, wo man ihm jedoch zu verstehen gab, die Aufenthaltsgenehmigung nicht ewig zu verlängern. Die nächste Hoffnung richtete sich auf Salzburg. Brecht beantragte die österreichische Staatsbürgerschaft (die man ihm im März 1950 zuerkannte), favorisierte dann aber nach all dem Hin und Her doch Ostberlin, den einzigen Ort mit einer realistischen Chance, sein Theaterprojekt verwirklichen zu können.

Vor ihm lagen die »Mühen der Ebenen«, die Konflikte, die Kämpfe, die neuen (und teilweise alten) Feindschaften. In mehreren Geschichten schildert Hecht minutiös, wie viel Kraft, Ausdauer und List Brecht aufbringen musste, um sich und sein Theater zu behaupten. Immerzu warf man ihm Steine in den Weg. Immer wieder war er gezwungen, sich vehement zu wehren: gegen die katastrophalen Einmischungspraktiken der Staatlichen Kunstkommission, die erst im Januar 1954 aufgelöst wurde. Gegen die Kunstverbote, die sogar (wegen »Papiermangels«) drei Romane Ludwig Renns betrafen. Gegen die Zensur seiner »Kriegsfibel« und die massiven Angriffe auf sein episches Theater. Gegen die Entscheidung des Zentralkomitees der SED, das Theater am Schiffbauerdamm nicht, wie versprochen, dem Berliner Ensemble zu überlassen, sondern es der Kasernierten Volkspolizei zu geben. Hecht hat diesen (nie bekannt gewordenen) Vorgang schon im Nachtragsband seiner Brecht-Chronik enthüllt. Jetzt kommt er ausführlich auf den Beschluss zurück, der, weil Brecht sich drohend empörte, schließlich zurückgenommen wurde. Immerhin machte der Fall sichtbar, wie sehr sich die Haltung der Partei gegenüber dem kritischen Brecht verändert hatte.

Das alles, sagt Werner Hecht, waren »natürlich keine Auseinandersetzungen von Gleichgesinnten, wie das in einer DDR-Legende verbreitet wurde«. Mancher verlor in diesen zermürbenden Kämpfen den Boden unter den Füßen, alle Hoffnung und alle Schaffenskraft. Brecht war stark genug, den »Murxisten« und ihrem Meinungsterror zu trotzen. Hilfe kam unverhofft aus Moskau, wo ihm (weil Thomas Mann abgelehnt hatte) im Mai 1955 der Stalin-Preis verliehen wurde, ein Augenblick, der auch die verblüffte Kulturbürokratie der DDR zu Kratzfüßchen zwang. Brecht hielt eine sorgfältig formulierte Rede über den Frieden, die das Kunststück fertigbrachte, Stalin nicht ein einziges Mal zu erwähnen und die er sich, trotz sowjetischer Einwände, auch noch von Boris Pasternak hatte übersetzen lassen, dann begab er sich wieder nach Berlin in sein »freiwilliges Exil«.

Man bereitete ihm dort, schreibt Hecht, viele Schwierigkeiten, andererseits hatte er »nicht die geringsten Probleme mit einer Politik, deren Ziel damals der Frieden und die Einheit Deutschlands waren«. Für manchen im Westen freilich war er nun »Staats- und Hofdichter von Pankows Gnaden«.

Werner Hecht: Brechts Leben in schwierigen Zeiten. Suhrkamp Verlag. 308 Seiten, geb., 22,80 ¤€. Buchvorstellung mit Lesung und Gespräch morgen, 21. November, um 20 Uhr im Literaturforum im Brecht-Haus, Chausseestraße 125, 10115 Berlin.

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