Herzzerreißende Kälte

Andreas Kriegenburg inszeniert Mozarts »Idomeneo« in Magdeburg

  • Laura Naumburg
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Fernsehen läuft Krieg und nur der Privatsekretär schaut hin. Er wartet auf seinen König, voller Angst. Zwei junge Menschen wollen einander etwas sagen. Sie bewegen unaufhörlich die Lippen und können es doch nicht. Einander liebend gehören sie zu verfeindeten Völkern, Idamante, der Grieche, und Ilia, die Trojanerin. Eine zweite Frau, Elektra, vor den Gräueln ihrer Mörderfamilie hierher geflohen, hockt allein am Fenster und ertränkt ihr Leid. Sie liebt Idamantes, ohne dass ihr Gefühl auch nur wahrgenommen würde.

Wie durch den Raum gespannte Drahtseile verlaufen die Linien eingefrorener Verzweiflung am Beginn der Magdeburger »Idome- neo«-Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Vor allem dieser erste Akt ist makellos in seiner herzzerreißenden Kälte; herzzerreißend bleibt der Abend bis zum Schluss. Kühl ist auch die großzügige Bühne von Harald Thor. Ein helles Milchglasfenster schließt den eleganten Wohnraum nach hinten ab, eine an der Vorderseite herabfahrbare mächtige Betonwand kann ihn in einen Bunker verwandeln, in den niemand mehr hineinsehen kann. Diese Wand kann auch ein Flutwall sein. Vom Sturm herangeschleudert presst sich Idomeneo an diese Wand, König der Kreter, siegreicher Heimkehrer von Troja. Mit knapper Not entging er vor der heimatlichen Küste noch dem Schiffbruch.

Wie er nach zehn Jahren sein Haus betritt, ist ein überwältigender Theatermoment. Den Mantel, die Stiefel, die Hosen, die Jacke tut er von sich, als könne er damit den Kämpfer endgültig von sich abstreifen und im frischen weißen Hemd wieder ein Mensch sein. Die Königswürde ist ihm so wichtig wie die Zeitungspapierkrone, die er sich bastelt und auf den Kopf setzt. Als Idomeneo erkennt, dass er Gewalt und Schuld nicht mit der Soldatenkleidung ablegen kann, weil die Bedingung, um lebend Kreta zu erreichen, der Zwang ist, seinen Sohn zu opfern, bricht die hilflose Wut über sein verdorbenes Leben aus ihm heraus: »Fuor del mar«.

Der 24-jährige Mozart schrieb dem vom Krieg gezeichneten König eine wütende, machtvolle Arie. Mozart bewegt sich im gesamten »Idomeneo« noch im Stil der alten Opera seria, aber er bricht ihn immer wieder auf. Die standardisierten Affekte setzt er zwar ein, aber es gelingt ihm gerade mit diesem Mittel, echte Emotionen zum Klingen zu bringen. Noch in der »Zauberflöte« wird er stellenweise diesen Kunstgriff nutzen.

Im zweiten Teil der Handlung wird nur weniges besser. Idomeneo scheitert mit dem Versuch, die Götter auszumanövrieren. Sie wollen das Opfer, das er ihnen zuschwor und rächen sich für die Verweigerung an seinem ganzen Volk. Idamante besiegt zwar das würgende Ungeheuer, aber nun haftet das im Kampf empfangene Stigma der Todeserfahrung an ihm. Als Idomeneo, im Finale vom Deus ex Machina der Königswürde entkleidet, an seiner alten Wunde stirbt, lässt er den Krieg bei seinem Sohn und dessen Braut zurück. Elektra hat sich inzwischen das Leben genommen.

Trotz allen Desasters gelingt es Kriegenburg, den Funken der Aufklärung, den das Stück trägt, nicht ausgehen zu lassen. Der bestünde, wie er erklärt, in der Utopie, dass zwei Menschen, die verfeindeten Lagern angehören, sich mittels der Liebe über dieses Feindschaft erheben und am Ende die Zukunft übertragen bekommen. Andererseits lässt der Regisseur den Krieg bis in ihren sicheren privaten Raum hinein und zerstört so die Naivität dieser Liebe. Die Intensität dieser Inszenierung erklärt sich vor allem aus Kriegenburgs schauspielgeschultem Umgang mit den Sängern. Das gilt selbst für den sehr präsent singenden Chor.

Alle Darsteller, vor allem aber Ulrike Mayer (Idamantes) und Anita Bader (Elektra) haben sich der Regie bis zur körperlichen Selbstvergessenheit hingegeben. Sie stürzen und fallen, stehen wieder auf, suchen etwas, schleppen sich dahin. Dennoch bewahrt die Körpersprache aller Sänger ein ästhetisches Höchstmaß an Stil und Form. Die einzige Liebesszene des Abends ist ein Ineinanderverschlingen der Stimmen im Duett, dem ein inniges Spiel der Arme und Hände Ilias und Idamantes nur behutsam folgt, Lichtjahre weit von der Peinlichkeit ausgestellter Nacktheit, von Bühnenblut und Körpersäften. Das zweite theatralische Mode-Accessoire, das Video, wird sinnvoll und sparsam eingesetzt. Auf dem Bildschirm läuft der sowjetische Film »Geh und sieh«, aus dem Fenster sieht man die kretischen Opfer des mythischen Ungeheuers.

Francesco Corti am Pult der Magdeburgischen Philharmonie trug die inszenatorischen Intentionen dezidiert mit. Eine motorisch getriebene Unruhe teilte sich bereits in der Ouvertüre mit, weich und elegant abgefederte Phrasen versucht man in dieser Mozart-Interpretation vergeblich zu erlauschen. Es bleibt den Sängern überlassen, ein Mindestmaß an Wärme mitzuteilen. In den Rezitativen sorgt das Cembalo für kleinste Inseln emotionaler Entlastung. Ulrike Mayer und Anita Bader schufen den vokalen Mozart-Sog des Abends, die eine in der Affektsprache des sehnsüchtigen Jünglings, dem es bis zur Selbstaufgabe um die Liebe des Vaters und der Freundin geht, die andere mit der lodernden Verzweiflung der Zurückgestoßenen. Alexander Fedin in der Titelpartie trug die Verhärtung seiner Figur bis in den vokalen Gestus und das Timbre seiner Stimme hinein. Evmorfia Metaxakis Ilia ließ immer wieder die subversive Stärke der Zärtlichkeit erklingen.

Diese »Idomeneo«-Produktion bereichert die inzwischen beachtliche Reihe bemerkenswerter Magdeburger Operninszenierungen ein weiteres Mal und fand am Ende den angemessenen langen und ungeteilten Jubel des Publikums.

Nächste Aufführung am 25.11.

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