Ein Aktivist in Friedrich-Merz-Maske posiert montagvormittags vor dem Reichstag in Berlin neben einer überdimensionalen Schere. Hinter ihm halten zwei Personen in orangen Windschutzjacken ein Transparent mit der Aufschrift »Die Schere schließen! Tax the rich. Demokratie geht nur gerecht!« Zwei Stunden später sagt die Attac-Aktivistin Julia Elwing im Petitionsausschuss des Bundestags: »Meine Kollegin demonstriert gerade sehr eindrücklich, warum es mehr Investitionen in die Schiene braucht.« Die Finanzexpertin Silke Ötsch betritt erst 20 Minuten danach den Raum. Ihr Zug hatte zwei Stunden Verspätung.
Knapp unter 70 000 Menschen hatten die Petition von Attac unterschrieben. Deren Ziel ist die Wiedereinführung einer progressiven Vermögensteuer[1] auf alle Vermögensarten, ab einem Freibetrag von einer Million Euro. Der Steuersatz soll mit wachsendem Vermögen ansteigen – bis zu 20 Prozent für Milliardär*innen. Die Organisation will so Mittel für Klimaschutz, soziale Sicherheit und öffentliche Infrastruktur generieren. In Deutschland besitze das reichste Prozent der Bevölkerung ein Drittel des Gesamtvermögens, die ärmere Hälfte habe nicht einmal zwei Prozent, kritisiert Elwing. Das werde durch hohe Steuern auf Arbeit und Verbrauch anstatt auf Kapitaleinkommen verstetigt.
»Die Vermögensteuer ist ein Relikt aus der Mottenkiste und entstammt einer Neiddebatte«, kritisiert Heiko Hain (CDU/CSU). Eine Einführung würde Investitionen mindern und könnte zu Kapitalflucht führen. »Die unfaire Verteilung und Ungleichheit und der Ausschluss von Menschen nahe der Armutsgrenze schadet der Wirtschaft«, entgegnet Elwing.
Zuletzt hatte der Verteilungsbericht der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung gezeigt[2], dass Ungleichheit die Gesellschaft destabilisiert. Kapitalflucht werde darüber hinaus in Deutschland durch die »Wegzugesbesteuerung« erschwert, so Elwing. Diese greift, wenn Personen bei der Verlagerung ihres Steuersitzes beispielsweise Anteile an Kapitalgesellschaften halten.
Wie es um potenzielle Vermögen und deren Wegzug bestellt ist, kann Michael Schrodi, parlamentarischer Staatssekretär des Finanzministers (SPD), nicht beantworten. Dafür habe die Bundesregierung keine valide Datengrundlage. »Da es nicht genügend Daten gibt, kommt es zu einer aggressiven Steuervermeidung«, urteilt Ötsch. Durch eine Vermögensteuer könnten künftig auch Vermögensbewegungen besser beurteilt werden, ist sie überzeugt.
Sören Pellmann (Die Linke), will wissen, welche anderen Pläne es zur Minderung der Vermögensungleichheit in Deutschland gebe. Dass diese seit Jahren steige, habe die Bundesregierung zur Kenntnis genommen, so Schrodi. »Im Koalitionsvertrag gibt es aber keine Verständigung darüber, ob oder welche Maßnahmen es dagegen geben soll.«
1995 hatte das Bundesverfassungsgericht die damalige Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt. Ausschlaggebend war die Unterbewertung und damit gleichheitswidrige steuerliche Begünstigung von Grund- und Immobilienvermögen. Ein abschließendes Votum zur Petition und einer etwaigen Empfehlung dazu fällt der Ausschuss in einer späteren Sitzung.