»Sind wir die Alternative?«, rief Jeremy Corbyn in den vollen Saal, und dieser brüllte zurück: »Ja!« So endete die Gründungskonferenz der jüngsten Partei Großbritanniens. Mehrere Monate nach der Ankündigung, dass ein neues linkes Wahlvehikel auf die Beine gestellt werden soll, haben die Delegierten in Liverpool die Partei aus der Taufe gehoben.
Sie heißt Your Party und hat sich zum Ziel gesetzt, das Westminster-Establishment von links herauszufordern. Führend beteiligt sind der frühere Labour-Chef Corbyn und seine Kollegin Zarah Sultana, die im Sommer aus der Labour-Partei austrat. »In wenigen Monaten haben wir etwas aufgebaut[1], was niemand in Westminster für möglich gehalten hatte«, sagte Sultana in ihrer Rede am Sonntag zu den über 2000 Delegierten. »Eine demokratische Massenbewegung der Arbeiterklasse – die größte sozialistische Partei in Großbritannien seit den 1940er-Jahren«
Allerdings ist der Gründungsprozess ausgesprochen chaotisch und missmutig verlaufen – zuweilen machte es den Anschein, als würde das ganze Projekt in sich zusammenbrechen. Es fing schon unheilvoll an. Als Sultana im Juli die neue Partei ankündigte und sagte, sie werde sie zusammen mit Corbyn anführen, ließ sich dieser geraume Zeit, bis er die Pläne bestätigte, und auch dann eher lustlos. Der Graben zwischen den beiden Führungsleuten wurde im Lauf der nächsten Monate immer größer. Im September kam es zum Eklat, als Sultana das Anmeldeportal für die Parteimitgliedschaft öffnete, offenbar ohne Zustimmung Corbyns. Beide Seiten publizierten wutentbrannte Statements, es war ein totales Debakel.
Im Kern geht es beim Zwist nicht nur um Personalien, sondern auch um unterschiedliche Vorstellungen darüber, wie die Partei gesellschaftlich verankert werden soll. Denn Your Party ist eine explizit basisorientierte Partei. Das heißt, die Mitglieder sollen die ideologische Ausrichtung und die Strategie zu einem wichtigen Teil selbst bestimmen können. Während Sultana zu diesem Zweck in erster Linie bestehende Bürgergruppen und Sozialkampagnen einbinden will, tendiert das Team um Corbyn dazu, den fünf unabhängigen Parlamentsabgeordneten, die im Juli 2024 vor allem dank ihrer pro-palästinensischen Haltung ins Unterhaus gewählt wurden, eine führende Rolle zuzusprechen.
Selbst am Gründungsparteitag am Wochenende krachte es. Manche Mitglieder linker Kleinparteien oder trotzkistischer Splittergruppen, die als Delegierte angereist waren, wurden am Eintritt in den Konferenzsaal gehindert. Daraufhin solidarisierte sich Sultana mit ihnen und boykottierte den ersten Tag der Konferenz. Am Sonntag hielt sie ihre Rede wie geplant, nutzte die Gelegenheit aber auch, um sich noch mal mit ihren Gegnern anzulegen und die »ungewählten Bürokraten« und ihre »undemokratischen Parteiausschlüsse« anzuprangern.
Einigkeit besteht jedoch bezüglich der ideologischen Ausrichtung von Your Party. Die »Reichen und Mächtigen« hätten das Land fest im Griff, sagte Sultana in ihrer zornigen, klassenkämpferischen Rede. Sie zog hart ins Gericht mit der Labour-Partei, die sich ihre Politik von ihren schwerreichen Geldgebern vorschreiben lasse, anstatt die Interessen der Lohnabhängigen an erste Stelle zu setzen. Sie solidarisierte sich mit den Bootsflüchtlingen, die über den Ärmelkanal kommen, und sagte: »Der wirkliche Feind reist per Privatjet, nicht per Gummiboot.« Auch eine pro-palästinensische Haltung ist ein zentraler Teil des Parteiprogramms.
Noch ist unsicher, ob es Your Party schafft, sich als linke Alternative zu Labour zu etablieren. Die parteiinternen Grabenkämpfe haben den Enthusiasmus vieler Basisaktivisten auf jeden Fall schon deutlich gedämpft. Im Sommer hatten sich fast 800 000 Interessierte[2] auf die Mailingliste von Your Party gesetzt – aber derzeit hat die Partei bloß etwas mehr als 50 000 Mitglieder, also deutlich weniger als die Liberaldemokraten, Reform UK oder die Grünen. Laut dem Institut Yougov würden zwölf Prozent der Briten ein Votum für Your Party erwägen – im Juli waren es noch 18 Prozent gewesen. Wenn es die Partei jedoch schafft, das interne Gezänk hinter sich zu lassen, könnte sie für die Labour-Regierung zu einem größeren Problem werden.