nd-aktuell.de / 01.12.2025 / Politik

Kambodscha: »Das sind beinahe nordkoreanische Verhältnisse«

Die kambodschanische Menschenrechtsaktivistin Mu Sochua sieht eine Verschärfung der diktatorischen Zustände in ihrer Heimat

Interview: Thomas Berger
Die kambodschanische Zivilgesellschaft steht enorm unter Druck: Hier protestieren Umweltaktivisten in Phnom Penh gegen ein Reiseverbot.
Die kambodschanische Zivilgesellschaft steht enorm unter Druck: Hier protestieren Umweltaktivisten in Phnom Penh gegen ein Reiseverbot.

Es sind acht Jahre seit dem Schlag gegen die Opposition vergangen, der auch Sie zum Gang ins Exil veranlasst hat. Wie stark vermissen Sie Ihre Heimat?

Ich bin ja gezwungen worden, Kambodscha zu verlassen. Nur zur Erinnerung: Es gab im November 2017 das Parteiverbot der Cambodia National Rescue Party (CNRP) und den Prozess gegen den Vorsitzenden Kem Sokha, der nach seiner Verurteilung immer noch unter Hausarrest steht. Damals gab es für uns als Oppositionelle realistisch nur drei Optionen: Entweder die Ausreise, den Gang ins Gefängnis oder im schlimmsten Fall den Tod. Bei Nummer drei möchte ich an den 7. Januar 2025 erinnern, als in Bangkok mein ehemaliger Abgeordnetenkollege Lim Kimya erschossen wurde. Dieser politische Mord ungeachtet dessen, dass Kimya sogar einen französischen Pass hatte, zeigt, wie gefährlich Gegner der heutigen Machthaber noch immer leben. Ein thailändisches Gericht hat den Attentäter Anfang Oktober schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt.

Das ist doch ein Erfolg.

Uns reicht das aber nicht, denn zwei weitere Beteiligte, die für die Anweisungen und das Geld an den Mörder verantwortlich waren, blieben bisher unbehelligt. Einer ist mit der regierenden Volkspartei (CPP) verbunden, der andere sogar ein Berater von Ex-Premier Hun Sen. Und natürlich vermisse ich meine Heimat. Ich bin in Kambodscha geboren und aufgewachsen. Als ich 18 war, haben mich meine Eltern nach Frankreich und in die USA gesandt. 18 Jahre später bin ich zurück – um meine Eltern zu suchen, die unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer verschwunden sind.

Wie waren Ihre Eindrücke bei der Heimkehr?

Damals habe ich ein gebrochenes Land vorgefunden. Meine Eltern habe ich nicht finden können. Aber es war mir wichtig, dass wir dieses Land gemeinsam mit den Überlebenden wieder aufbauen. 1991 gab es das Friedensabkommen, den Paris Accord, nachfolgend die ersten freien Wahlen unter dem Schutz der Vereinten Nationen. Und ich war in der Zivilgesellschaft aktiv, in der Frauenrechtsbewegung. In der Zeit zwischen 1991 und 2017 gab es zumindest Raum für Demokratisierung und gerade anfangs eine große Aufbruchstimmung mit freien Medien, Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften, vielen anderen Aktiven. Ich bin dann in die Politik gegangen und lange dort geblieben. Ganz ehrlich gesagt, die vergangenen acht Jahre, seit ich nun erneut fernab der Heimat bin, sind ziemlich schnell verflogen.

Sie sind schließlich nicht untätig. Im Frühjahr 2024 haben Sie das Khmer Movement for Democracy (KMD) gegründet, dessen Präsidentin Sie sind.

Ja. Das KMD ist keine Partei, keine explizite Opposition, aber sehr wohl eine politische Bewegung. Damit möchten wir uns vor allem auch an die jüngere Generation von Kambodschanern wenden, die außerhalb der Landesgrenzen leben. Junge Leute in ihren Dreißigern, die nun irgendwo im Ausland sind. Und einen Dialog zwischen den Generationen befördern, um etwas in Gang zu bringen, die Werte von Demokratie und Freiheit zu vermitteln. Es gibt viele Kambodschaner in Südkorea, in Japan. Und allein in Thailand leben rund eine Million.

Das KMD versteht sich laut eigener Aussage als »Stimme für Demokratie in der globalen kambodschanischen Dispora«. Doch wie schwer ist dieser Kampf aus dem Exil – und welchen Einfluss haben noch zivilgesellschaftliche Gruppen im Land selbst?

Was Letzteres betrifft, schlicht keinen. Es gibt innerhalb Kambodschas derzeit keine Chance, die Stimme zu erheben. Kaum versammeln sich fünf Leute auf offener Straße, gibt es schon Verhaftungen. Das hat man auch kürzlich erst wieder gesehen, zum Jahrestag des Paris Accord, als geplante zivilgesellschaftliche Veranstaltungen zu diesem Anlass nicht erlaubt wurden. Als KMD haben wir aber die Möglichkeit, auf solche Themen zu verweisen, zu mobilisieren wie etwa in Südkorea, gegen die immense Korruption in der Heimat oder gegen dortige Öko-Verbrechen. Und nicht zuletzt, um eine Stimme zu sein für jene, die man ins Gefängnis gesteckt hat. Zudem organisieren wir in Einzelfällen die Ausreise in sichere Staaten für gefährdete Personen.

Die Tendenz zu autoritären Strukturen war vorher schon ersichtlich. Doch warum kam der vernichtende Schlag gegen die politische Opposition in Kambodscha ausgerechnet Ende 2017?

Das hängt ganz klar mit den Parlamentswahlen 2018 zusammen. Die CNRP hatte ja bereits bei den Kommunalwahlen im Jahr zuvor rund 40 Prozent der Stimmen erhalten. Hun Sen konnte sich ausrechnen, was das mit noch wachsender Unzufriedenheit der Bevölkerung für seine CPP bedeutet hätte. Auch wenn dieser nächste Urnengang unter den damaligen Umständen durchaus nicht gänzlich frei und fair gewesen wäre. Deshalb kam das als genau geplanter Schlag. Nach der Auflösung der CNRP per Gerichtsurteil wurden unsere 55 Abgeordnetensitze an die Regierungspartei übertragen; auch rund 5000 oppositionelle Vertreter in den Kommunen verloren ihre Mandate. Die CPP herrscht nunmehr zu 100 Prozent. Das Land ist komplett gleichgeschaltet.

Nach den Wahlen 2023 hat Langzeit-Herrscher Hun Sen offiziell die Macht an seinen ältesten Sohn Hun Manet übergeben, Kambodschas heutigen Premierminister. Was bedeutet das?

Hun Sen ist ein Schachspieler. Er hat sich das Amt des Senatspräsidenten gesichert und manipuliert immer stärker alle Regeln im System. Der älteste Sohn ist Regierungschef. Der zweite Sohn leitet die Polizei, der dritte steht der Jugendorganisation der CPP vor und indoktriniert auf diesem Weg die junge Generation. Das sind meiner Ansicht nach schon beinahe nordkoreanische Verhältnisse. Im Land ist es sozusagen totenstill, was offenen Dissens betrifft. Nicht zu vergessen sind zudem jene Menschen, geschätzt 120 000, die unter den Augen staatlicher Stellen teils hinter Stacheldraht und unter Folter in den diversen Cyberkriminalitäts-Zentren festsitzen. Wir fordern auch die deutsche Regierung auf, ihren Einfluss in der EU einzusetzen, damit diese ihre Macht über die Handelsverträge und dort gewährte Vergünstigen nutzt, um die Einhaltung von Menschenrechten in Kambodscha anzumahnen.

Sie haben sich intensiv gerade für Gleichberechtigung und Frauenrechte engagiert, waren 1998 bis 2004 knapp vier Jahre Frauenministerin. Wie sieht es heute aus Ihrer Sicht bei diesem Themenfeld aus?

Schlimm, ganz schlimm. Konflikte gehen fast immer in erster Linie zu Lasten von Frauen. Sie sind die ersten Opfer. Tatsächlich nehmen Gewalt und Übergriffe zu. Unter anderem in den vielen Textilfabriken des Landes. Es geht aber genauso um ökonomische Fragen. Der Mindestlohn liegt bei 206 US-Dollar. Viele Frauen schuften mit Zweitjobs, um irgendwie ihre Familien durchzubringen. von den Klein- und Kleinstbetrieben befinden sich rund 90 Prozent in der Hand von Frauen. Doch die sind in einer prekären Lage, viel schlechter als etwa im Nachbarland Vietnam, wo es für solche Fälle staatliche Unterstützung gibt. Das ist auch der Grund, warum die Überschuldung, vor allem unter Beteiligung der umstrittenen Mikrokreditbranche und deren hohen Zinsen, in Kambodscha so massiv ist.