Christian Wück[1] ist es gewohnt, viel zu pendeln. Frau und Kinder wohnen in Bielefeld, sein Elternhaus steht in Gänheim in Unterfranken, und natürlich ist auch der DFB-Campus in Frankfurt am Main ein regelmäßiger Anlaufpunkt. Nun aber bilden die spanische Hauptstadt Madrid und Nyon in der Schweiz wichtige Schauplätze für den Bundestrainer des deutschen Frauen-Nationalteams. Binnen 24 Stunden fallen in seiner Anwesenheit zwei elementare Entscheidungen für die Zukunft des deutschen Frauenfußballs: erst im Finalrückspiel in der Nations League gegen Spanien im Estadio Metropolitano an diesem Dienstag, dann bei der Vergabe der Frauen-EM 2029[2] durch das Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union in deren Zentrale am Genfer See am Mittwoch.
Mit dem Gewinn der Trophäe könnten die DFB-Frauen einen ersten Akzent setzen, obwohl das von den Männern dominierte Entscheidungsgremium der Uefa sicherlich andere Parameter für die Abstimmung bevorzugt. Aber einen Zusammenhang hatte Wück ja nach dem torlosen Hinspiel vor mehr als 40 000 Fans in Kaiserslautern selbst hergestellt: »Wir haben die Stadien, wir haben die Zuschauer, wir können im Moment – und ich hoffe, das bleibt noch lange so – die Menschen begeistern mit unserem Spiel. Wir tun alles dafür, diese EM nach Deutschland zu bekommen«, versprach der 52-Jährige. Er hoffe, dass die Uefa bei der schönen Atmosphäre in der Pfalz »aufgepasst« habe.
Tatsächlich hat sein Ensemble zuletzt wie ein Magnet die Massen in Städte gelockt, die früher von seinen Fußballerinnen nicht bespielt wurden: Bremen, Düsseldorf und nun auch Kaiserslautern. Insofern: Es gibt gute Argumente, Deutschland zum ersten Mal seit 2001 wieder mit der Ausrichtung einer EM zu beauftragen, denn das Fundament beim Publikum ist inzwischen breiter als die Basis an Spielerinnen.
Was damit zu tun hat, dass Wück seit Amtsantritt im Oktober 2024 ganz viel richtig gemacht hat. Anders als Martina Voss-Tecklenburg verliert er sich nicht in einem zu kleinteiligen, zu rücksichtsvollen Ansatz, in dem auch noch gesellschaftliche Grundsatzdebatten geführt werden, sondern überzeugt als Fußballlehrer, der klare Entscheidungen trifft. Der einen Spielstil[3] fördert, der viel attraktiver, weil offensiver als unter Interimslösung Horst Hrubesch ist.
Der lange im Nachwuchsbereich tätige Franke hatte 2023 die U17-Junioren zu Welt- und Europameistern gemacht – nun hat der Quereinsteiger den Frauen eine andere Haltung vermittelt. Zur Krönung einen ersten Titel einzuheimsen – auch wenn es nur die Nations League ist –, wäre ein exzellentes Zwischenzeugnis mit Blickrichtung auf die Weltmeisterschaft 2027 in Brasilien und die Europameisterschaft 2029 – vielleicht in Deutschland. Bei einem Zuschlag könnten sich Dortmund, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hannover, Köln, Leipzig, München und Wolfsburg über EM-Partien freuen.
Vor dem zweiten Kräftemessen mit dem vermutlich von mehr als 50 000 Anhängern unterstützten Fifa-Weltranglistenersten in Madrid verlangt Wück von seinem Team, alles in die Waagschale zu werfen: »Wir haben einen sehr guten Anfang in Kaiserslautern gehabt. Wir wissen, dass wir den Anfang auch zum Ende bringen müssen.« Es gebe überhaupt keinen Grund, »in der Herangehensweise, in der Taktik und im Selbstbewusstsein gegen Spanien etwas zu verändern. Deshalb hoffen wir alle, dass wir die Fortsetzung hinbekommen.«
Zumal der Gegner durch den Wadenbeinbruch der dreimaligen Weltfußballerin Aitana Bonmatí – entscheidende Torschützin im EM-Halbfinale[4] dieses Sommers – eine erhebliche Schwächung erlitten hat. Die 27-Jährige habe sich im Training »nach einer unglücklichen Landung bei einer unglücklichen Kollision« verletzt, teilte der spanische Verband mit. Damit fehlt »La Roja« die Taktgeberin aus dem Mittelfeld. Für die Deutschen kommt es darauf an, in der Heimstätte von Atlético Madrid erneut hohe Ballgewinne zu erzielen, um den iberischen Spielfluss zu brechen. Passivität ist der schlechteste Ansatz.
Aber wofür sind denn mutige Talente wie Linksverteidigerin Franziska Kett auf der Überholspur? Die 21-Jährige war lange nur Randfigur beim FC Bayern[5], ehe sich Wück bei einer Inspektionsreise vor seinem Einstand als Bundestrainer so angetan von dem Münchner Eigengewächs zeigte, dass er sich fest vornahm, ihre Anlagen zu fördern. Nun könnte sie ein Gesicht sein, das nicht nur das Nations-League-Finale 2024, sondern auch die EM 2029 prägt. Für Kett wäre es der »Traum von jeder einzelnen Spielerin«, wenn der DFB den Zuschlag erhalten würde. Es steht viel auf dem Spiel. Erst in Madrid, dann in Nyon.