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Gegen Gewalt, Dämonen und autoritäre Zurichtung
Netflix startet die letzte Staffel »Stranger Things« und erzählt nahtlos weiter von Jugendlichen, die gegen finstere Mächte zu Felde ziehen
Endlich! Die fünfte und finale Staffel der Netflix-Kultserie »Stranger Things« ist angelaufen. Drei lange Jahre mussten Fans auf die Fortsetzung warten, die sich unter anderem wegen des Autoren-Streiks in Hollywood verzögerte. Nun sind die nerdigen Kleinstadtjugendlichen aus Hawkins wieder im Kollektiv unterwegs, um gegen finstere Mächte der Unterwelt zu kämpfen. Die seit fast einem Jahrzehnt laufende Serie funktioniert in ihrem Aufbau wie ein Dungeon-and-Dragons-Rollenspiel, nur dass die magischen Gefahren ganz »real« werden und eine Gruppe Jugendlicher ihre Welt gegen blutrünstige Monster und mörderische Dämonen verteidigen muss.
Das geht in der neuen Staffel genauso bildgewaltig und spannend weiter wie zuvor – inklusive genial eingesetzter Popmusik. Netflix lässt sich den achtteiligen Schlussakkord seines immer komplexer werdenden Serienaushängeschilds ganze 480 Millionen Dollar kosten, das Zehnfache dessen, was 2016 die erste Staffel kostete. Das ist der bisher höchste Produktionsetat des Streaminganbieters. Entsprechend laut wurde im Vorfeld die Werbetrommel gerührt. Das dazugehörige Merchandising von T-Shirts über Spielfiguren bis Kaffeetassen gipfelt hierzulande im vierwöchigen Stranger-Things-Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Ku’damm.
Sind Elfie, Dustin, Mike, Will, Lucas und Max eine Antifa-Gruppe, die mit der subversiven Macht des Pop gegen Unterdrückung und manipulative Zurichtung vorgeht?
Die ersten fünf Minuten der neuen Staffel waren schon vor Wochen online und Filmschnipsel fluten die Social-Media-Kanäle, wo fleißig Spannung erzeugt wird. Endlich, so heißt es vorab, würde aufgelöst, was es mit dem »Upside Down« auf sich hat. Diese dunkle Unterwelt, die unter der 80er Jahre Vintage-Kleinstadt Hawkins liegt, ist eine spiegelverkehrte Welt voll schleimiger Ranken, roter Blitze in einem schwarzen Himmel und einem weißlichen Fallout in der Luft, der an radioaktive Asche denken lässt.
In diese Gegenwelt werden immer wieder junge Menschen entführt, von dort gelangen grauenvolle Monster an die Oberfläche und im »Upside Down« herrscht ein Dämon, der in der letzten Staffel von den Kids mit Mollies beworfen und vermeintlich besiegt wurde. In Staffel fünf unterhält mittlerweile das Militär ein geheimes Labor im »Upside Down« und versucht die dortige finstere Magie waffentechnisch zu nutzen. Ganz Hawkins ist inzwischen militärisches Sperrgebiet. Die zu Beginn der Serie 12- und 13-Jährigen sind nun (nach vier Jahren erzählter Zeit) Teenager mit üblichen Identitäts- und Beziehungsproblemen.
In der neuen Staffel werden plötzlich wieder jüngere Kids in diese Unterwelt entführt, zahlreiche Monster überfallen die Kleinstadt und die über Superkräfte verfügende Elfie kehrt mit ihren Freunden zurück in den »Upside Down«, um die Entführten zu befreien. In Foren und Blogs wird von der weltweiten Fangemeinde natürlich fleißig gemutmaßt, was es mit dem »Upside Down« auf sich hat und welche politische Dimension die Serie eigentlich besitzt. Ist diese auf Angst, Gewalt, Missbrauch und autoritäre Zurichtung basierende spiegelverkehrte Welt als Allegorie auf das rechte Amerika und den Faschismus zu verstehen? Das wurde schon vor Jahren in Blogs gemutmaßt, sind es doch die unangepassten Einzelgänger und queeren Kids, die verschleppt werden.
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Die Serie startete 2016 während Donald Trumps heißer Wahlkampfphase für die erste Präsidentschaft. Nun kontrolliert das Militär Hawkins – ganz ähnlich wie ICE und Nationalgarde viele Städte in den USA. Eine gewisse Ähnlichkeit zur Serie »Buffy the Vampire Slayer« aus den 2000er Jahren fällt vielen auf. Wieder eine Gruppe Kids um eine taffe weibliche Figur, die über besondere Kräfte verfügt und gegen Dämonen zu Felde zieht.
Das Buffyverse löste eine ganze akademische Bewegung aus mit eigenen Publikationen und Kongressen. Die Dämonen standen dort für kapitalistische Entfremdung. Buffy, ihre Freunde und das dazugehörige Beziehungsgeflecht wurden als kollektiver linker Kleingruppenprozess interpretiert. Ist das bei »Stranger Things« auch so? Sind Elfie, Dustin, Mike, Will, Lucas und Max eigentlich eine Antifa-Gruppe, die mit der subversiven Macht des Pop gegen gewaltförmige Unterdrückung und manipulative Zurichtung vorgeht?
»Stranger Things« erzählt viel von sozialen Ausgrenzungsprozessen, vom Verarbeiten innerer Ängste und der Möglichkeit, sich gemeinsam zur Wehr zu setzen. Jenseits der immer wieder beschworenen Vintage-Ästhetik der 80er Jahre zeigt die Serie aber auch, wie verstohlen queere Beziehungen in diesem so trendig-verklärten Jahrzehnt geführt werden und mit welcher Ignoranz und Brutalität gegen andersartige Jugendliche Front gemacht wird. Die Heavy Metal hörenden Rollenspiel-Nerds kämpfen aber einfach weiter für ihre eigene, bessere Welt.
Die ersten vier Folgen verfügbar auf Netflix. Drei weitere am 25.12., Finalfolge am 31.12.
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