Bevor die Januarfröste einsetzen, gehört es in den südöstlichen Mittelgebirgsregionen um Dresden zur Tradition, ein lange haltbares, gehaltvolles Gebäck mit Hefeteig herzustellen, den Sächsischen, Erzgebirgischen und Thüringer Weihnachtsstollen[1]. Bereits zu heidnischen Zeiten wurden in vielen europäischen Ländern sogenannte Gebildbrote in Gestalt von Tieren, Menschen oder Symbolen geformt. Diese Figuren aus Hefeteig dienten vermutlich bis ins 13. Jahrhundert als Ersatz für tierische oder menschliche Opfer vor hohen Festtagen. Der Hefezopf erinnert noch an geopfertes, geflochtenes Haar.
Im Zuge der Christianisierung wurden diese Speiseopfer in menschlicher Gestalt verboten. Aber es gelang den Vertretern der Kirche nicht, das alte Brauchtum vollständig abzuschaffen. Daher adaptierte man religiöse, christliche Vorstellungen an bestehende ältere matriarchale Rituale, die der Großen Mutter huldigten. So durfte der Christstollen die Größe des neugeborenen Jesuskindes haben und dieses symbolisieren. Nach dem Backen wurde das Gebäckstück gebuttert, gezuckert und wie ein Säugling in Windeln oder Baumwolltücher gewickelt.
Die Hefen zählen zu den niederen einzelligen Pilzen, die unter dem Mikroskop rund bis eiförmig aussehen.
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Aber wehe, wenn der Stollenteig nicht aufging. Für derartige Missgeschicke gab es lange Zeit verschiedene Varianten von Aberglauben. Aufgeklärte (Hobby-)Bäcker wissen jedoch, wie ein Hefeteig gut gelingt. Alle Zutaten werden bereits am Vortag in der warmen Küche bereitgestellt. Sobald der Vorteig aus Mehl, Milch und Bäckerhefe angerührt wird, darf es keine Zugluft mehr in der Backstube geben.
Aber wie gesund ist dieses Festtagsgebäck nun? Sind es zu viele Kalorien bei zu wenig körperlicher Arbeit heutzutage? Wie gesund ist das Backtriebmittel Hefe?
Manchmal wird Menschen mit gesundheitlichen Problemen wie entzündlichen Darmerkrankungen geraten, jegliche Lebensmittel mit Hefe zu meiden. Für die Mehrzahl der Menschen ist ein vollständiger Verzicht nicht notwendig. Dennoch gibt es durchaus krankheitsverursachende Hefestämme, allen voran einige Candida-Arten.
Die Hefen zählen zu den niederen einzelligen Pilzen[2], die unter dem Mikroskop rund bis eiförmig aussehen. Insbesondere bei chronischen Darmentzündungen wie Morbus Crohn kann es zu allergischen Kreuzreaktionen nach dem Verzehr von Lebensmitteln mit Hefe kommen. Dabei reagieren bestimmte T-Zellen des Immunsystems auf eigentlich ungefährliche Bäckerhefe genauso heftig wie auf einen krankheitserregenden Hefestamm. Wer konsequent hefefrei essen will, kann auf Rezepte für Quarkstollen (auch mit veganen Quark- und Joghurtalternativen) mit Backpulver oder wie beim Magenbrot mit Pottasche ausweichen.
In der Regel kommt die Bäckerhefe der Gattung Saccharomyces cerevisiae zum Einsatz. Sobald diese mit Kohlenhydraten wie Mehl oder Zucker und handwarmer Flüssigkeit verarbeitet wird, beginnen sich die Hefezellen durch Knospung zu vermehren. (Unter Luftabschluss würde dabei auch Alkohol entstehen.) Wenn bei diesem Prozess Sauerstoff zur Verfügung steht, wird der Zucker hauptsächlich zu Kohlendioxid abgebaut. Dieses Gas bewirkt, dass der Kuchen- oder Brotteig aufgeht und locker wird.
Die teuren Zutaten für Stollen wie Rosinen, Butter, Mandeln und Zitronat[3] machen den Teig vergleichsweise schwer, sodass in Backbüchern stets die doppelte Menge an Hefe bezogen auf das Mehlgewicht angegeben ist. Für einfaches Weißbrot genügen 30 Gramm Frischhefe pro 500 Gramm Mehl, für Stollenteig werden 60 Gramm Hefe auf diese Mehlmenge gerechnet.
Ebenso ist es möglich, einen Stollenteig mit Backferment anzusetzen. Zu dessen Herstellung wird eine Mischung aus Getreide, Hülsenfrüchten und Honig vor allem mit Milchsäurebakterien besiedelt. Die bei der Teigruhe vor dem Backen entstehende Milchsäure kann sich positiv auf die Darmgesundheit auswirken. Aber in geringfügiger Konzentration sind auch in Backferment noch natürliche Hefepilze vorhanden, so dass dabei kein komplett hefefreies Gebäck entsteht.
Insbesondere bei Unverträglichkeiten gilt es, Hefeprodukte, zu denen auch Suppenwürfel mit Hefeextrakt zählen, stark zu begrenzen oder ganz zu meiden. Andererseits werden viele Varianten, sogenannte Nährhefe, angeboten. Im Zuge einer pflanzenbetonten Nahrungsauswahl werden Hefeflocken, Hefewürze, Brotaufstrich mit Hefe sowie entbitterte Bierhefetabletten als Lieferanten von B-Vitaminen, Protein und Spurenelementen angepriesen. Sofern keine Allergie vorliegt, die sich auch durch Hautprobleme wie Ekzeme oder Akne zeigen kann, spricht nichts dagegen, bis zu 10 Gramm Nährhefe pro Tag zum Kochen und Anreichern pflanzlicher Speisen zu verwenden.
Nach der Machtergreifung der Nazis trieben kollaborierende deutsche Wissenschaftler, Unternehmen und Politiker die Herstellung von Futtereiweiß aus Hefe sowie Eiweißersatzstoffe zunächst für (zwangsrekrutierte) Angehörige der Wehrmacht ins Extrem. Um Nahrung aus Hefe herzustellen, bedienten sie sich der kapitalistischen Verwertung von wertlosen, umweltschädlichen Abfällen aus der Zellulose-Industrie. Anfangs veranschlagte man circa 20 Gramm »Nährhefe« pro Tag. Bereits bei diesen Verzehrmengen traten unerwünschte Nebenwirkungen wie Blähungen auf.
Später fanden sich Mengen von 600 Gramm Hefe pro Woche in sogenannten Musterverpflegungsplänen für das Militär. Der unangenehme Hefegeschmack sollte etwa mit Leber-Aroma überdeckt werden. Ein kurzzeitig als Vegetabil-Wurst bezeichneter Aufstrich wurde von der Wiener Untersuchungsanstalt für Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen. Hohn und Zynismus lagen in der Einschränkung, diesen nur noch ins KZ Mauthausen zu liefern.
Im August 1942 erging der Befehl des späteren Reichsinnenministers Heinrich Himmler zu jeder Art von Ernährungsversuchen in den Konzentrationslagern. Insgesamt 400 Tonnen Hefe-Eiweiß gelangten in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen, wo es in Hungerversuchen an 100 000 KZ-Häftlinge verabreicht wurde. Durch Verunreinigungen wie Zellstoffreste, Arsen-Belastungen oder enthaltene Schimmelpilzgifte verliefen diese Ernährungsexperimente bei der Mehrheit der als wertlos erachteten Menschen tödlich.
In der Gegenwart erfolgt die konventionelle Produktion von Bäckerhefe meistens aus Melasse, die bei der Verarbeitung von Zuckerrüben anfällt. Die entstehende zuckerreiche, sirupartige Substanz wird mit Schwefelsäure von Bakterien gereinigt und danach mit Natronlauge neutralisiert. Um heutzutage nicht dieses chemische Produkt aus der Fabrikzuckerherstellung zu verwenden, ist es möglich, auf ökologisch hergestellte Hefe zurückzugreifen. Seit 20 Jahren wird Bio-Hefe mithilfe von Getreideschrot aus ökologischem Landbau gezüchtet.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195895.weihnachtsbaeckerei-warum-der-teig-aufgeht.html