»Und am Ende der Straße steht ein Haus am See. Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg. Ich hab 20 Kinder, meine Frau ist schön, mh. Alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugeh’n«, singt Peter Fox im Popklassiker »Haus am See«. Wer sich selbst den Traum vom Haus am See erfüllen möchte, sollte jetzt aufpassen. Zumindest, wer auf den See noch warten kann oder nicht allzu traurig ist, wenn der See erst gar nicht entsteht.
Der See ist nämlich noch ein riesiges Loch, in dem bis ins Jahr 2030 Kohle abgebaggert wird: der Tagebau Garzweiler. An dessen Rand gibt es die fünf zur Stadt Erkelenz gehörenden Dörfer Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath. Eigentlich sollten sie, wie viele andere Dörfer in der Region, dem Tagebau weichen. Doch die Entscheidung, in Nordrhein-Westfalen bis 2030 aus der Kohleförderung auszusteigen[1], rettete die Dörfer vor dem Abriss. Allerdings, als 2022 endgültig beschlossen wurde, die Dörfer nicht abzubaggern, befanden sich diese schon längst im Umsiedlungsprozess. Ein beträchtlicher Teil der Bewohner*innen hatte seine Häuser schon an RWE verkauft und war in die Neu-Dörfer umgezogen. Bis auf wenige Bewohner*innen waren die Orte zu Geisterdörfern geworden, die zahlreiche negative Erscheinungen mit sich brachten. Nachdem ehemalige Bewohner der Dörfer ein Rückkaufsrecht hatten, von dem in einem Fall Gebrauch gemacht wurde, hat RWE Immobilienmakler nun damit beauftragt, die mehr als 500 Häuser anzubieten. Seit wenigen Tagen finden sich 25 Häuser auf Immobilienportalen. Die Angebote reichen dabei von der alten Hofanlage mit fast 250 Quadratmetern und großem Grundstück für 325 000 Euro bis zur sanierungsbedürftigen Doppelhaushälfte für 97 000 Euro.
»Wir haben gefordert, dass die Häuser bevorzugt an Menschen vergeben werden, die es sonst nicht so leicht haben auf dem Immobilienmarkt.«
David Dresen Dörfergemeinschaft
David Dresen ist auf einem Hof in Kuckum[2] aufgewachsen. Seine Familie hat für die Rettung der Dörfer gekämpft[3] und ist nicht weggezogen. Dresen ist in der Dörfergemeinschaft »KulturEnergie – Dörfer der Zukunft«[4] aktiv, die sich für die sozial-ökologische Wiederbelebung der Dörfer einsetzt. Dass RWE die Häuser jetzt zum Verkauf anbietet, findet Dresen »grundsätzlich gut«. Wobei er kritisiert, dass der Prozess zu langsam gegangen sei. »Vandalismus, Kupferdiebstähle, allgemeiner Verfall schreiten mit jedem Monat voran, deswegen wäre es gut gewesen, wenn RWE die Häuser, wie eigentlich versprochen, schon im Sommer in den Verkauf gegeben hätte«, erzählt Dresen im Gespräch mit »nd«. Kritik übt er auch an einem Ratsbeschluss der Stadt Erkelenz, der Erkelenzer*innen als Käufer*innen bevorzugt. »Wir haben gefordert, dass die Häuser bevorzugt an Menschen vergeben werden, die es sonst nicht so leicht haben auf dem Immobilienmarkt.« Konservative Erkelenzer*innen, die auf das Haus am See spekulieren, passten nicht so gut zur klimagerechten Vision der Dörfergemeinschaft, wie etwa alternative Wohnprojekte oder solidarische Landwirtschaft, erklärt der Kuckumer.
Auf die Frage, wie es mit der Wiederbelebung der Dörfer läuft, sagt Dresen: »Da passiert so gut wie gar nichts.« Es gäbe keinerlei Instandsetzung oder Neugestaltung. Mitte November wurde in Kuckum immerhin eine Förderung des Landes an die Stadt Erkelenz übergeben. Mit dem Geld könne die Stadt »die fünf geretteten Dörfer wieder zu lebenswerten Orten« machen, bekundete Erkelenz’ Oberbürgermeister Stephan Muckel bei der Übergabe.
Für David Dresen und die Dörfergemeinschaft »KulturEnergie – Dörfer der Zukunft« verläuft der Förderprozess zu intransparent und hierarchisch. »Wir fordern vom Bürgermeister, dass es einen Bürgerrat aus den Dörfern gibt, der über die Vergabe der Fördermittel mitentscheidet«, erklärt Dresen. Eine Forderung, die bislang auf taube Ohren stößt.
Offene Ohren für mögliche Risiken sollte haben, wer wirklich vom Haus am See träumt. In den Immobilienanzeigen für die Häuser wird die »besondere Situation und Lage in unmittelbarer Nähe zum zukünftigen Garzweiler See« beworben, diese biete »gute Perspektiven für Sie«. So klar sind die Perspektiven allerdings nicht. Die Umweltorganisation BUND warnt schon vor den Seeplänen. Mit »großer Skepsis« betrachten die Umweltschützer*innen die Frage, ob der Rhein in Zukunft genug Wasser führt, um die Seen in den Tagebaulöchern zu füllen. Auch sei fraglich, ob das Rheinwasser nicht viel zu stark mit problematischen Schadstoffen belastetet sei. Über eine 45 Kilometer lange Leitung sollen die Tagebaue mit jährlich etwa 340 Millionen Kubikmeter Wasser geflutet werden. Das ist etwa das Fünffache des Wasserverbrauchs der Stadt Düsseldorf. Ein Haus am befüllten Tagebausee soll es nach den optimistischsten Berechnungen 2076 geben.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1195896.kohleausstieg-tagebau-garzweiler-haus-am-see.html