Die Zukunft liegt in der Vergangenheit

Eine Wiederentdeckung: Die Müntzer-Biografie von Ernst Bloch

  • Marion Dammaschke
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Philosoph und Schriftsteller Ernst Bloch war von Thomas Müntzer begeistert.
Der Philosoph und Schriftsteller Ernst Bloch war von Thomas Müntzer begeistert.

»Blochs Müntzer: Kontexte. Rezeption. Potenziale« – unter diesem Motto fand jetzt die erste wissenschaftliche Tagung über die Entstehung, den Inhalt und die Wirkung von Ernst Blochs Buch »Thomas Münzer als Theologe der Revolution« statt. Gemeinsam hatten die Ernst-Bloch-Gesellschaft, die Thomas-Müntzer-Gesellschaft, die Stiftung Leucorea und die Luther-Museen dazu nach Wittenberg eingeladen.

Ernst Blochs (1885–1977) Arbeit erschien 1921 im Münchner Kurt-Wolff-Verlag. Für den Philosophen – vor den Nazis musste er 1933 fliehen und kehrte nach dem Mauerbau 1961 nicht nach Leipzig zurück, sondern lehrte in Tübingen – war es »ein Jugendwerk mit bedeutendem Gegenstand«, wie es in seiner Nachbemerkung zur 1960 im Aufbau-Verlag Berlin verlegten Neuausgabe heißt.

Das Werk war unter Exilbedingungen während des Ersten Weltkriegs und im Wissen um die revolutionären Ereignisse in Russland und Deutschland entstanden. Erfüllt von der Hoffnung auf die kommunistische Weltrevolution und auf das noch nicht verwirklichte menschenwürdige Zusammenleben künftiger Generationen, erinnerte der Philosoph an den radikalen Reformator. Er wandte sich der Aufstandsbewegung Unterdrückter während des deutschen Bauernkrieges von 1524/26 zu. Für ihn – hier stimmte er Friedrich Engels und anderen Sozialisten zu – war es die erste Revolution in der deutschen Geschichte.

Das aktuelle Gedenken an den Bauernkrieg vor 500 Jahren und an den reformatorischen Theologen Thomas Müntzer (um 1489–1525), der eine gottgewollte weltliche neue Ordnung charismatisch predigte, bot den Anlass für einen lebhaften Gedankenaustausch, an dem sich Philosophen, Historiker, Kirchenhistoriker und Politikwissenschaftler beteiligten. Eröffnet vom Vortrag des Schweizer Bloch-Kenners Beat Dietschy, in dem der Theologe und Philosoph Blochs Müntzer-Buch im Kontext seines Denkens analysierte, schlossen sich Beiträge zur Entstehungs- und Editionsgeschichte an, über Kontexte der Luther-Kritik in Blochs Müntzer-Buch (Karl Tetzlaff, Leucorea), zur Rezeption innerhalb der zeitgenössischen evangelischen Kirchengeschichte (Stefan Michel, TU Dresden) sowie zur Rezeption Müntzers und Blochs im Denken des Religionssoziologen und Judaisten Jacob Taubes (Martin Treml, Universität Tifls).

Der Philosoph Marcus Döller (Universität Erfurt) ging der Frage nach, worauf Bloch insistierte, wenn es heißt, »die revolutionäre, niemals opportunistische Existenz von Thomas Müntzer« zu denken. Loren Goldmann (University of Pennsylvania) sprach zur Rezeption des Buches im englischen Sprachraum, wobei es mit seiner in wenigen Wochen vorliegenden Übersetzung jetzt auch auf Englisch gelesen werden kann.

Blochs Arbeit, so das einhellige Urteil, zeugt von großer Affinität des Philosophen zu Müntzer als revolutionärem Denker und Kämpfer, verbunden mit dem Hoffen auf neue, wahrhaft freiheitlich-gerechte Verhältnisse. Dem ordnet sich die Kritik an Blochs nicht selten fantasievollem Umgang mit Müntzers Vita und anderen historischen Fakten unter. Konstatierte der Berliner Historiker Günter Vogler 1997 noch, dass diese Arbeit im Gegensatz zu den meisten anderen Bloch-Schriften eher eine periphere Rolle spiele, so rückte jetzt diese Abhandlung erstmals in den Fokus einer Tagung, mit der vermutlich ein Stück Wissenschaftsgeschichte geschrieben wurde. Im kommenden Jahr werden die Beiträge in der Reihe »Junges Forum Leucorea« im Mitteldeutschen Verlag unter der Herausgeberschaft von Thomas T. Müller und Karl Tetzlaff zu lesen sein.

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